Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Für Kinderpornos ausgebeutet
Wie Pädophile über das Internet Jungs und Mädchen auf den Philippinen missbrauchen
MANILA - „Ich musste alles machen, was sie von mir verlangten. Ich habe Dinge getan, von denen ich nicht dachte, dass ich sie jemals tun würde. Ich habe mich so schmutzig gefühlt.“Rubys (Name geändert) Stimme zittert, dann laufen ihr Tränen über die Wangen – zu viele für das Taschentuch, das sie beim Erzählen in winzige Fetzen zerrissen hat. Als 16-Jährige wurde sie gezwungen, sich vor einer Webcam auszuziehen und zu tun, was Pädophile von ihr verlangten. Ruby wurde befreit, doch Tausende Jungs und Mädchen auf den Philippinen werden für Livestreams im Internet immer noch sexuell missbraucht. Manche der Opfer sind erst wenige Monate alt, viele werden von ihren eigenen Eltern verkauft. Die Kunden stammen aus aller Welt, auch aus Deutschland. Aktuell stehen die mutmaßlich Verantwortlichen der Kinderpornografie-Plattform „Elysium“in Limburg vor Gericht, die sich auch auf den Philippinen bedient haben sollen.
Ruby war elf Jahre alt, als ihre Eltern starben. Danach gab es immer wieder Streit mit ihren neun älteren Geschwistern, oft wurde die Jüngste mit einem Kabel geschlagen. Ruby wollte weg, aber sie wusste nicht, wohin. Da blinkte die vermeintliche Rettung plötzlich auf ihrem Smartphone auf. Eine junge Frau bot Ruby über Facebook einen Job im Internetcafé an und schickte Geld für die Fahrt. Erst als nach einer 24-stündigen Reise die Tür eines kleinen Hauses hinter ihr ins Schloss fiel, begriff Ruby, dass sie betrogen worden war. „Ich war total schockiert, als plötzlich halbnackte Mädchen aus den Zimmern kamen. Ich dachte, es passiert nur im Film, dass Kinder verschleppt werden, um sich vor der Kamera auszuziehen.“
Selbstachtung verloren
Ruby wollte sofort zurück zu ihren prügelnden Schwestern, doch ihre „Facebook-Freundin“sagte, sie könne erst gehen, wenn sie ihre Schulden für die teure Anreise abbezahlt habe. Schon am nächsten Tag stand Ruby so vor der Webcam – und zog sich aus. „Einige der anderen Mädchen hatten überhaupt keine Scham und keine Selbstachtung mehr. Manche waren innerlich tot und haben wie Maschinen funktioniert, andere haben getrunken, um es zu ertragen. Aber ich ekelte mich vor mir selbst. Ich musste mich selbst missbrauchen, und andere sahen mir dabei zu“, erzählt Ruby und wieder laufen ihr Tränen über das Gesicht.
Erreichte sie in ihrer Acht-Stunden-Schicht nicht die Umsatzvorgaben oder weigerte sie sich, die perversen Wünsche der Kunden zu erfüllen, bekam sie weniger zu essen. Zwischen zehn und 30 Euro zahlten die Kunden für einen Live-Sex-Chat mit der Minderjährigen. Ruby bekam davon nichts ab, ihre Schulden blieben. Immer wieder versuchte sie, aus ihrem Internet-Sex-Gefängnis zu fliehen, doch ein Wachmann passte rund um die Uhr auf die sechs eingesperrten Mädchen und Frauen auf. Als Ruby laut um Hilfe rief, wurde sie mit einem Messer bedroht. Die Nachbarn hörten nichts – oder wollten nichts hören. Nach einem zweimonatigen Martyrium wurde sie von schwer bewaffneten Polizisten befreit. „Ich war so glücklich, aber ich sah die Panik in den Augen der anderen Mädchen. Die Jüngste war erst acht“, berichtet Ruby. Um sie gefügig zu machen, hatten die Betreiber des Kinderpornographie-Chats ihren minderjährigen Opfern eingeimpft, dass sie und ihre Eltern ins Gefängnis kämen, sollte die Polizei das Versteck finden.
Doch statt ins Gefängnis, kam Ruby ins Wohnheim einer Partnerorganisation der International Justice Mission (IJM). Die IJM setzt sich weltweit gegen Sklaverei und Zwangsarbeit ein. Auf den Philippinen steht der Kampf gegen die sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen im Internet ganz oben auf der Agenda. „Die Philippinen sind laut dem FBI das Epizentrum der Cybersex-Kriminalität mit Kindern. Wir kämpfen für ein Ende dieser abscheulichen Verbrechen“, sagt Landesdirektor Sam Inocencio. Im von Präsident Duterte autoritär regierten Land kann die sexuelle Ausbeutung von Kindern mit lebenslanger Haft bestraft werden. IJM will jetzt dafür sorgen, dass die strengen Gesetze konsequent umgesetzt werden. „Wir müssen die Risiken für Anbieter und Konsumenten so sehr erhöhen, dass Angebot und Nachfrage stark zurückgehen“, sagt Inocencio. „Auf den Philippinen und in allen Ländern, in denen die pädophilen Kunden sitzen.“
Etwa in Deutschland. So verurteilte das Landgericht Traunstein im April den Malermeister Martin R. wegen Anstiftung zum sexuellen Missbrauch von philippinischen Kindern zu einer Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren. In Frankfurt am Main nahm das Bundeskriminalamt (BKA) zudem Mitte Januar einen 52jährigen Deutschen fest. Über das Internet soll er sich zum schweren sexuellen Missbrauch philippinischer Kinder verabredet haben.
Mit Hilfe der IJM fanden auf den Philippinen in den letzten Jahren zahlreiche Operationen gegen Cybersex-Anbieter statt. Fast 90 Prozent der Befreiten waren minderjährig, mehr als die Hälfte sogar unter zwölf Jahre alt, das jüngste Kind war gerade einmal zwei Monate alt. In rund 80 Prozent der Fälle wurden die Kinder von ihren eigenen Eltern oder Verwandten missbraucht. Die Aktionen führten bislang zur Verhaftung von rund 130 Verdächtigen, 24 von ihnen wurden bereits zu meist langjährigen Haftstrafen verurteilt.
Auch das Ehepaar, das Ruby zum Webcam-Sex zwang, sitzt derzeit eine 15-Jahre-Strafe ab. Rubys Aussage hat dazu entscheidend beigetragen.