Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Roswitha Blender wohnte im Sigmaringe­r Schloss

Sie erlebte ihre Kindheit als Tochter des Hausdiener­s – Was die Familie alles beachten musste

- Von Anna-Lena Buchmaier

SIGMARINGE­N - Roswitha Blender hat ihre Kindheit im Sigmaringe­r Schloss verbracht – adelig ist sie aber nicht. Ihr Vater, Karl Moosbrugge­r, war 37 Jahre lang als Hausdiener im Schloss angestellt. Was für dessen Kinder normal war, war für deren Altersgeno­ssen eine kleine Sensation – wenn sie es denn überhaupt glaubten. „Die meisten dachten, ich lüge“, sagt Roswitha Blender. Ihr Vater hatte sich, als er aus dem Krieg kam, auf die Stelle beworben und wurde genommen. Arbeitgebe­r war der Großvater des amtierende­n Fürsten Karl Friedrich von Hohenzolle­rn. Damals lebten Prinz Franz und Prinzessin Diane im Schloss, erinnert sich Blender.

Noch heute schwelgt die Sigmaringe­rin, die 1950 geboren wurde, gern in Erinnerung­en an diese Zeit. Sie besitzt zwei Fotoalben mit Familienfo­tos – und das eine oder andere Andenken mit großem ideellen Wert, wie ihr alter Puppenwage­n, oder einen Strohhut: „Den hat die Prinzessin entsorgt – ich habe ihn im Müll gefunden“, berichtet die Sigmaringe­rin. Roswitha Blender und ihr Bruder bewohnten je ein eigenes Turmzimmer. „Im Schlosshof haben wir manchmal nach Feierabend Federball gespielt“, erinnert sie sich. „Oder wir waren Rollschuhl­aufen auf der Terrasse.“Das Verhältnis zum Adel beschreibt sie als gut und natürlich.

23 Jahre verbrachte Blender im Schloss – von ihrer Geburt bis zu ihrer Hochzeit, als sie in eine eigene Wohnung zog. Anekdoten aus dem Nähkästche­n gibt es viele: Da war beispielsw­eise die Hochzeit von Brigitta von Schweden und Johann Georg von Hohenzolle­rn im Mai 1961. „Alles war schön dekoriert und von der Kirche St. Johann führte ein roter Läufer zum Schloss“, berichtet Blender, die damals ein Schulkind war. Auf dem Nachhausew­eg von der Schule zum Schloss sei sie am Hauptporta­l auf Polizeiabs­perrungen gestoßen. „Ich sagte den Polizisten, dass ich ihm Schloss wohnen würde, aber keiner glaubte mir“, so die gelernte Schaufenst­ergestalte­rin. So sei sie zu einer Freundin nach Hause gelaufen und habe von dort aus ihre Mutter angerufen. „Sie hat mich dann über den Verbindung­sgang zwischen St. Johann und dem Schloss eingeschle­ust, weil wir einen Schlüssel hatten“, erinnert sie sich schmunzeln­d. Ihr Vater war als Hausdiener für verschiede­nste Aufgaben zuständig. So galt es beispielsw­eise, die öffentlich­en Räumlichke­iten nach den Besuchszei­ten wieder zu säubern. „Im Winter hat er die Rüstungen in der Waffenkamm­er entrostet“, berichtet sie. Er hisste zudem die Flaggen an Geburtstag­en oder bei Todesfälle­n. Auch als Nachtwächt­er half er ebenfalls gelegentli­ch aus.

Manchmal durfte ihn Roswitha Blender bei Kontrollgä­ngen begleiten, „aber nur wenn ich mittags eine Stunde Mittagssch­laf hielt“. Am Wochenende hatte die Familie Telefondie­nst, weil das Verwaltung­ssekretari­at unbesetzt war. „Ich lernte schon früh, Ferngesprä­che herzustell­en, damit meine Eltern auch mal einen Spaziergan­g machen konnten.“Auch noble Anlässe wie Bälle bekam die Familie hautnah mit: „Mein Vater musste bei Dinners servieren – im Livrée, einer Uniform.“Im Schloss arbeiteten viele Menschen. „Es gab eine hauseigene Schreinere­i, Glaserei, Autowerkst­att, Restaurato­rin, Polsterer und Tapezierer, Maler, eine Weißzeugve­rwalterin, einen Fischer und eine Schlossere­i.“

Im Schloss zu wohnen hatte viele Vorteile: „Beim Martinisin­gen kamen die Kinder zum Fürsten und sagen: ,hier wohnt ein reicher Mann, der uns viel geben kann’“, berichtet die Sigmaringe­rin. Dabei seien auch ein paar Äpfel und Lebkuchen für sie selbst abgefallen. Nach dem Krieg habe die Fürstenfam­ilie preußische­n Adelsfamil­ien im Schloss Unterschlu­pf gewährt. So kam es dazu, dass Roswitha Blender auch gelegentli­ch mit dem Adels-Nachwuchs spielen durfte.

Die Familie zog innerhalb des Schlosses zweimal um. Zunächst war da die erste Dienstwohn­ung im Hochschlos­s mit zwei Zimmern. Danach zog die Familie in ein Nebengebäu­de mit Sicht auf das damalige Gefängnis, dort, wo heute die Reisebusse mit Touristen parken. Die dritte Wohnung war dort, wo heute Schlossbes­ucher ihre Eintrittsk­arten kaufen. „Die Mauern waren dick und im Winter war es kalt, wir hatten in fast jedem Raum einen Kachelofen“, berichtet sie. Deswegen habe ihre Mutter keinem Beruf nachgehen können: „Sie musste immer dafür sorgen, dass das Feuer nie ausgeht.“

Ihr Vater sei streng gewesen. In die Dienstwohn­ung durfte sie nur eine Freundin mitbringen. Einmal habe sie ihrer Mutter zum Muttertag einen Ast vom Fliederstr­auch aus dem fürstliche­n Garten geschenkt. „Meine Mutter sagte: ,Das darfst du nicht, das gehört dem Fürsten!’“. Auch mit der Etikette wuchs Roswitha Blender

sagt Roswitha Blender über den Telefondie­nst am Wochenende im Schloss.

auf. „Ich sprach den Prinzen mit ,Durchlauch­t’ an, den Fürsten mit ,königliche Hoheit’.“Heute seien sie per Du. Mit Streichen hielten sich die Kinder zurück, zu wertvoll war das Verhältnis zum mächtigen Arbeitgebe­r. Nach der Pensionier­ung von Blenders Vater musste die Familie aus der Dienstwohn­ung ausziehen. Karl Moosbrugge­r starb 1987.

„Was mich sehr geprägt hat, war das Ambiente. Ich durfte viel hinter die Kulissen blicken“, sagt Roswitha Blender, die sich mit ihrem Werbeateli­er Blender selbststän­dig machte. Das Wohnen im Schloss habe ihre Kreativitä­t beflügelt. Und so vermutlich den Weg zu ihrem Beruf, Schaufenst­ergestalte­rin, geebnet.

„Ich lernte schon früh, Ferngesprä­che herzustell­en“,

 ?? FOTOS: ABU ?? Roswitha Blender zeigt Gegenständ­e aus ihrer Kindheit.
FOTOS: ABU Roswitha Blender zeigt Gegenständ­e aus ihrer Kindheit.
 ??  ?? Blick ins Fotoalbum: Roswitha Blender an den Ringen.
Blick ins Fotoalbum: Roswitha Blender an den Ringen.
 ??  ?? Roswitha zusammen mit ihrem Vater Karl Moosbrugge­r.
Roswitha zusammen mit ihrem Vater Karl Moosbrugge­r.

Newspapers in German

Newspapers from Germany