Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Plattform der Unzufriedenen
Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht stellt ihre Sammlungsbewegung „Aufstehen“vor
BERLIN - Mit der Sammmlungsbewegung „Aufstehen“will die LinkenFraktionschefin Sahra Wagenknecht das Land verändern. „Ich bin es leid, die Straße den Rechten und Pegida zu überlassen“, sagte Wagenkencht bei der Vorstellung der Bewegung in Berlin. „Die Zerstörung des sozialen Zusammenhalts, wachsende Unzufriedenheit und empfundene Ohnmacht schaffen einen Nährboden für Hass und Intoleranz“, erklärte Wagenknecht. Es gebe eine „handfeste Krise der Demokratie“. Wenn jetzt nicht gegengesteuert werde, „wird dieses Land in fünf bis zehn Jahren nicht wiederzuerkennen sein“. Es gehe um mehr Gerechtigkeit und sozialen Zusammenhalt.
Die Idee an eine solche Sammlungsbewegung sei geboren worden, „als wir gesehen haben, dass nach der Bundestagswahl keine Schlüsse gezogen wurden“, sagte Wagenknecht. Zusammen mit ihrem Mann Oskar Lafontaine, dem früheren SPD-Chef, appelliert sie an die Gesellschaft, das soziale Gesicht des Landes zu stärken und die Kräfte der Linken zu bündeln. Wagenknecht denkt dabei an neue Koalitionen von SPD, Grünen und Linken. Die anderen Parteien reagierten skeptisch. Grünen-Chef Robert Habeck meinte, er verstehe nicht, was das ganze Projekt solle. Ein Ansatz außerhalb der Parteienlandschaft sei falsch.
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil sagte, die Bewegung sei nur ein Produkt des Machtkampfs bei den Linken. Sahra Wagenknecht ist wegen ihrer Äußerungen in der Flüchtlingspolitik wiederholt auf Kritik in ihren eigenen Reihen gestoßen. Ihr wurde vorgeworfen, von links die gleichen Ressentiments zu bedienen wie die AfD von rechts. Die linke Parteispitze sieht keine Notwendigkeit für eine solche Bewegung und distanzierte sich.
Zum Auftakt von „Aufstehen“haben sich bundesweit rund 100 000 Menschen als Unterstützer eingetragen. Für Wagenknecht ist dies der Beweis, dass der Vorwurf, die Bewegung komme von oben, nicht stimme. Zusammen mit Wagenknecht machen sich das grüne Gründungsmitglied Ludger Volmer und die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange für die neue Plattform stark.
BERLIN - Von einer „handfesten Krise der Demokratie“spricht die Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht. Spätestens die Vorfälle von Chemnitz zeigten doch, dass es so nicht weitergehen könne. Ihr Appell: Alle linken Kräften bündeln und sich um die kümmern, die sich von der Politik im Stich gelassen fühlen. Also vielleicht um auch diejenigen, die der AfD anhängen.
Das Interesse an ihrer Vorstellung der Sammlungsbewegung „Aufstehen“ist fast so groß wie bei Pressekonferenzen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Journalisten drängen in die Bundespressekonferenz, um den gemeinsamen Auftritt der Initiatoren der neuen Bewegung zu erleben. Es sind teils altbekannte Gesichter, die an Wagenknechts Seite mitstreiten, zum Beispiel das Grünen-Gründungsmitglied und späterer Staatssekretär Ludger Volmer, oder Simone Lange, die Flensburger SPD-Oberbürgermeisterin, die beim vergangenen SPD-Parteitag als linke Alternative gegen Andrea Nahles antrat.
Die Enttäuschten
Lange will Hartz IV wieder abschaffen und ist in diesem Punkt enttäuscht vom Kurs ihrer Partei. Dieses Schicksal teilt sie mit dem Alt-Grünen Ludger Volmer. Er ist nicht einverstanden mit der Entwicklung seiner Partei, die für ihn jetzt „fast liberal-konservativ“sei und ihre Gründungsmotive weitgehend aufgegeben habe. All das, was die Grünen früher Basisdemokratie nannten, fehlt ihm. Vor allem aber: Die Zahl der Abgehängten in der Gesellschaft wachse, klagt Volmer. Diese Diagnose wird von Theatermann Bernd Stegemann und dem Kommunikationsexperten Hans Albers geteilt. Sie begleiten die Politiker, um zu zeigen; Auch Kunst und Kultur sind mit an Bord.
Die empfundene Ohnmacht und die Wut seien der Nährboden für Hass und Hetze, sagt Sahra Wagenknecht. Der Sozialstaat gebe keine ausreichende Sicherheit mehr, deshalb sei es wichtig, dass Deutschland wieder ein sozialeres Gesicht bekomme. Zusammen mit ihrem Mann Oskar Lafontaine, dem ehemaligen SPD-Chef, der aus Protest gegen die in seinen Augen neoliberale Politik des Ex-Bundeskanzlers Gerhard Schröder einst zurücktrat, will sie dafür kämpfen. Und nicht zufällig datiert Wagenknecht den Anfang der Misere auf Schröders Amtsantritt: „Die SPD hat seit 1998 zehn Millionen Wähler verloren.“Doch den Linken sei es nicht gelungen, diese Kräfte zu bündeln. „Wenn die alle links wählen würden, hätte man keine Probleme.“
Hass und Hetze, wie sie sich in Chemnitz zeigten, haben die Republik aufgerüttelt. Allerdings waren weder Sahra Wagenknecht noch Simone Lange oder Ludger Volmer in Chemnitz, um bei der Demonstration gegen rechts teilzunehmen. Wagenknecht warnt davor, das Problem auf den Osten zu reduzieren, auch im Ruhrgebiet gebe es große AfD-Erfolge. Und Simone Lange fügt hinzu: „In Schwäbisch Hall ist die SPD auch nur die viertstärkste Kraft“. Hier hat Lange allerdings etwas verwechselt, derzeit ist die SPD die zweitstärkste Kraft sowohl im Gemeinderat als auch bei der Bundestagswahl.
Als halbwegs prominente Mitglieder hat die neue Bewegung aus den Reihen der SPD neben Lange nur den Bundestagsabgeordneten Marco Bülow gewinnen können. Im WillyBrandt-Haus winkt man, nach der Gefahr durch die neue Bewegung gefragt, müde ab. „Auf so etwas fallen aufrechte Sozis nicht rein“, sagt SPD-Vize Ralf Stegner. Zu vielen ist noch der Abgang des ehemaligen Parteichefs Oskar Lafontaine und die Neugründung der Linken in Erinnerung. Lafontaine gilt in der SPD als Spalter. Und was Wagenknecht und Lafontaine jetzt machten, sei keine Bewegung, sondern ein Machtkampf innerhalb der Linkspartei, sagt SPDGeneralsekretär Lars Klingbeil.
Linke gespalten
Tatsächlich ist die Linke gespalten. Linken-Chefin Katja Kipping interessiert sich nicht für „Aufstehen“. „Ich habe schon eine politische Heimat, das ist die Linke“, sagt Kipping. Wagenknechts Co-Fraktionsvorsitzender Dietmar Bartsch gibt sich versöhnlicher. Alles, was zur Stärkung der Linken beitrage, sei gut. Aber begeistert ist auch er nicht. Auch die Grünen-Spitze wehrt ab. „Eine Bewegung entsteht von unten und nicht von oben“, sagt GrünenChefin Annalena Baerbock. Wagenknecht kontert in der Bundespressekonferenz, dass eine Bewegung, die mit 100 000 Menschen starte, nicht von oben sei.
Ludger Volmer wünscht sich, dass „Aufstehen“die drei Parteien des linken Spektrums stärkt und dann am Ende einmal Koalitionen möglich macht. Der SPD-Generalsekretär ist da skeptisch: „Wir brauchen ernsthafte Gespräche über ein progressives rot-rot-grünes Bündnis statt Internetseiten ohne politische Konsequenz,“sagt Lars Klingbeil.