Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Windräder stellen vieles in den Schatten

Kettenacke­r hat weit mehr zu bieten als den Protest gegen einen geplanten Windpark

- Von Sebastian Korinth

KETTENACKE­R - Seit etwa zehn Jahren dominiert im Gammerting­er Ortsteil Kettenacke­r ein Thema: Windkraft. Das, sagt Ortsvorste­her Matthias Gulde, sei angesichts der Bedeutung zwar nachvollzi­ehbar, aber auch schade. Denn der Ortsteil habe noch so viel mehr zu bieten – vom Vereinsleb­en über die regelmäßig­en Theaterauf­führungen bis hin zur Backhaus-Tradition. Deshalb bleibe die Zahl von rund 260 Einwohnern konstant, auch die Nachfrage nach Bauplätzen halte an. „Durch das Thema Windkraft ist sie allerdings stark zurückgega­ngen“, sagt Gulde.

Seit Energieunt­ernehmen den Bau von Windkrafta­nlagen in Kettenacke­r ins Auge gefasst haben, regt sich im Ort Widerstand gegen diese Pläne. Federführe­nd ist dabei der „Verein für Mensch und Natur Kettenacke­r“. Grund zur Freude hatte dieser zuletzt vor gut einem Jahr, als in der Nähe des geplanten Windparks ein brütendes Rotmilanpa­ar entdeckt wurde. Daraufhin zogen die vier Energiever­sorger, die den Windpark bauen möchten, ihren Antrag zurück. In den kommenden Jahren wird sich entscheide­n, ob es einen erneuten Anlauf für das Projekt gibt.

„Eine Umfrage hat ergeben, dass 95 Prozent der Einwohner hinter den Positionen des Vereins für Mensch und Natur stehen“, sagt Matthias Gulde. Er selbst spricht sich nicht grundsätzl­ich gegen Windkraft aus, ist aber entschiede­ner Gegner des Projekts in Kettenacke­r. Der vorgesehen­e Abstand zur Wohnbebauu­ng reiche bei Weitem nicht aus, sagt er. Zudem dürften Windräder nur dort gebaut werden, wo es sich auch wirklich rechnet. Dass das beim Windpark in Kettenacke­r der Fall wäre, daran hat Gulde erhebliche Zweifel.

Explosion im Backhaus

Doch Kettenacke­r zeichnet sich durch mehr aus als durch den Widerstand gegen Windräder. Stolz ist Matthias Gulde zum Beispiel auf die 2001 gegründete Backgemein­schaft, die die Backhaus-Tradition pflegt. Mehrere Familien bringen zusätzlich ihren selbst hergestell­ten Teig ins Backhaus, wo verschiede­ne Brotsorten im Ofen landen. Unter Schock standen die Verantwort­lichen nach einer Explosion im Frühjahr 2015. Eine Tür wurde aus den Angeln gerissen, Rauch drang durch die geschlosse­nen Fenster – aber wie durch ein Wunder wurde niemand verletzt. Die Versicheru­ng bezahlte einen Großteil des Schadens. Ein Jahr nach der Explosion wurden zwei neue Öfen in Betrieb genommen.

Die Ledigenges­ellschaft ist eine weitere Besonderhe­it des Ortsteils. „Mit dem 18. Geburtstag kann man aufgenomme­n werden, mit der Hochzeit scheidet man wieder aus“, sagt Matthias Gulde. Es gibt in Kettenacke­r eine Theatergru­ppe, eine Frauengeme­inschaft, die Feuerwehr, einen Jugendvere­in, einen Musikverei­n, die Narrenzunf­t Tischles-Rucker und die Sportgemei­nschaft Kettenacke­r-Feldhausen-Harthausen. Deren Fußballer hoffen für das kommende Jahr auf eine Erneuerung der maroden Duschen in den Umkleideka­binen im Bürgerhaus. „Denn die Heimspiele der neuen Spielgemei­nschaft mit Gammerting­en in der Rückrunde sollen allesamt in Kettenacke­r ausgetrage­n werden“, sagt Gulde.

Doch die Duschen sind nicht die einzigen Dinge, die im Bürgerhaus auf Vordermann gebracht werden sollen. Noch in diesem Jahr soll die Küche modernisie­rt werden. Außerdem ist ein barrierefr­eier Zugang geplant, der möglichst ebenfalls bis Ende des Jahres eingericht­et werden soll – zumindest teilweise. Fenster sollen zum Teil erneuert, ansonsten ausgebesse­rt werden und zusammen mit der Fassade einen neuen Anstrich bekommen. Umgesetzt werden diese Projekte voraussich­tlich aber erst im kommenden Jahr. Letzte Modernisie­rungen am Gebäude habe es vor rund 25 Jahren gegeben, sagt Gulde. „Und der Saal im Bürgerhaus ist der größte im Stadtgebie­t.“

Kapelle dient als Rückzugsor­t

Relativ groß ist auch die in den 50erJahren erbauten Kirche St. Martin. Die Ausstattun­g stammt noch aus der Vorgängerk­irche in unmittelba­rer Nachbarsch­aft, die dem Neubau hatte weichen müssen. Kanzel und Altäre tragen deshalb die Jahreszahl

1693. Mit der St.-Georgs-Kapelle südöstlich des Ortskerns gibt es einen weiteren geistliche­n Rückzugsor­t.

Arbeitsplä­tze in Kettenacke­r bieten zwei Landmaschi­nen-Betriebe, viele Einwohner arbeiten außerdem in Gammerting­en oder bei einem großen Werkzeugma­schinen-Unternehme­n in Hettingen. Mit dem Brauereiga­sthof „Zum Löwen“hat sich im Ort bis heute die Gaststätte gehalten. Bier gebraut wird inzwischen zwar nicht mehr. „Aber mit Feierabend­hock an Wochentage­n und als Speiseloka­l an Sonn- und Feiertagen wird die Brauereiga­ststätte sehr geschätzt“, sagt Matthias Gulde.

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FOTOS: SEBASTIAN KORINTH Auf die Backhaus-Tradition ist Ortsvorste­her Matthias Gulde stolz. Das Holz für die Öfen spaltet die Ledigenges­ellschaft.
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Mit dem „Löwen“gibt es im Ort eine gefragte Gaststätte.
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Den Bau von Windrädern wollen die Einwohner auf jeden Fall verhindern.

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