Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Bissig wie am ersten Tag
Der 356er wird 70 Jahre alt – Ohne ihn würde es alle anderen Porsche-Modelle nicht geben
STUTTGART (dpa) - Er sieht stylish aus und ist ein echtes Spaßmobil. Damit hatte der 356er schon alles, was man heute von einem Porsche erwartet. Kein Wunder, dass mit ihm vor
70 Jahren die Geschichte eines Sportwagenklassikers begonnen hat.
1948 denkt in Deutschland noch niemand an Luxusautos. Die Städte liegen in Trümmern, die Alliierten haben in weiten Teilen des öffentlichen Lebens das Sagen. Wenn überhaupt ein Auto zum Thema wird, dann der Käfer, der langsam aus den Ruinen krabbelt. Doch auf einem Hofgut in Gmünd in Österreich sieht ein gewisser Ferry Porsche die Welt mit anderen Augen.
Geburtsstunde eines Klassikers
Der Sohn des Ingenieurs Ferdinand Porsche knüpft dort an, wo der Vater mit Autos wie dem Berlin-Rom-Wagen vor dem Krieg aufgehört hat: Unter der Projektnummer 356.49.001 beginnt er im Sommer 1947, seinen Traum vom eigenen Sportwagen zu verwirklichen. Und als der am 8. Juni 1948 die allgemeine Betriebserlaubnis der Kärntner Landesregierung erhält, ist das die Geburtsstunde eines späteren Klassikers. Zum ersten Mal öffentlich zu sehen ist der silberne, offene Zweisitzer am 4. Juli 1948 vor dem damals gut besuchten Grand Prix der Schweiz in Bern. Seine eigentliche Publikumspremiere feiert er im März 1949 auf dem Automobilsalon in Genf.
So, wie Porsche sich auch heute mit der Nähe zur Rennstrecke rühmt, ist es schon damals. Denn die amtliche Maßzeichnung vom 6. Januar 1948 zeigt einen zweisitzigen Roadster mit Gitterrohrrahmen und Mittelmotor – ein Grundkonzept aus dem Rennwagenbau. Auch gibt es bereits eine große, auch technische Nähe zu Volkswagen – Ferrys Vater Ferdinand hatte den Käfer entwickelt. Von der Karosserie abgesehen, sind Volkswagen-Komponenten für Motor, Getriebe und Fahrwerk vorgesehen, die porschetypisch modifiziert werden, wie in der PorscheChronik nachzulesen ist.
Im Klartext heißt das: eine spärlich geformte Alu-Karosserie über ein paar Gitterstreben und darunter die Achsen, die Lenkung, die Räder und die Bremsen des VW Käfers. Und auch der 1,1 Liter große Boxermotor kommt aus Wolfsburg, wird aber von Porsche dank neu konstruierter Zylinderköpfe um zehn PS gestärkt, was immerhin 35 PS bedeutet. Bei 585 Kilogramm Gesamtgewicht reicht das für 135 km/h Spitzengeschwindigkeit – und für ein respektvolles Raunen im Kreis der Sportwagen-Enthusiasten.
Heute kommt schon der schwächste Sportwagen von Porsche auf 300 PS, beschleunigt in 4,7 Sekunden von 0 auf 100 km/h und erreicht 275 km/h Spitze – da wirkt der
356er fast lächerlich. Das gilt für den Erstling genauso wie für spätere Evolutionsstufen wie den 356 A Super Speedster von 1958, der zum Geburtstag noch mal aus der Garage geholt wurde und immerhin schon auf
75 PS, 14,5 Sekunden für den Sprint und ein Spitzentempo von 175 km/h kommt. Doch aus dem hämischen Lächeln wird ein freudiges Grinsen, sobald man es mal hinter das Steuer eines solchen Oldtimers schafft. Denn auch im hohen Alter hat der
356er seinen Biss noch nicht verloren und wirkt in der Praxis viel schneller, als es die technischen Eckdaten vermuten lassen. 75 PS fühlen sich eben ganz anders an, wenn sie gerade mal
760 Kilo zu bewegen haben.
Giftig und gierig
Und selbst wenn heute jeder Polo schneller ist als der erste Porsche, kann man in der silbernen Flunder sehr wohl einen Geschwindigkeitsrausch erleben. Leichtfüßig tänzelt der Wagen durch die Kurven, giftig hängt er am Gas und gierig verbeißt er sich in das Heck des Vordermanns. Vor allem wirkt er mit seinen 3,87 Metern so klein, zierlich und unscheinbar wie ein Spielzeugauto. Aber im Grunde ist er das ja auch. Denn wer ein praktisches Auto will oder ein vernünftiges, der kauft schon damals keinen Porsche.
Doch Porsche fährt gut mit seinem kleinen Spaßmobil. Noch in Gmünd baut er für einen Großabnehmer in der Schweiz unter einfachsten Verhältnissen 53 Exemplare seines Erstlings, bevor er 1949 zurück nach Stuttgart-Zuffenhausen kommt. Weil die Amerikaner das Stammwerk noch besetzt halten, mietet sich Porsche in den Karosseriewerken Reutter ein, wo 1950 die Serienproduktion eines etwas abgespeckten Modells beginnt: Es bleibt zwar beim Vierzylinder von VW, aber statt Rohrrahmen, Alukarosse und Mittelmotor bekommt der 356er für stolze Preise ab 10 200 Mark nun einen Stahlblechrahmen und den Motor wie der Käfer im Heck.
Mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem ersten Sportwagen ist Porsche längst eine andere Firma. Mittlerweile verkaufen sie in Zuffenhausen mehr Geländewagen als Coupés, Cabrios und Roadster, und wenn im nächsten Jahr der Taycan kommt, wollen sich die Schwaben auch noch zum Tesla-Konkurrenten aufschwingen.
Die Keimzelle der Firma
Doch der 356er ist nicht vergessen. Bis 1965 wurden in mehreren Evolutionsstufen knapp 78 000 Exemplare gebaut. Der Elfer, der ihn abgelöst hat, mag mit seiner bislang knappen Million Einheiten auf größere Stückzahlen kommen, mittlerweile sehr viel berühmter sein und mehr Rennsiege eingefahren haben. „Aber der 356er ist die Keimzelle der Firma, und ohne ihn würde es alle anderen Porsche-Modelle nicht geben“, sagt Heinrich Besserer aus Überlingen, der den über 600 Mitgliedern des deutschen 356er-Clubs vorsteht. „Der 911er ist eine Weiterentwicklung des 356er, luftgekühlter Boxermotor im Heck, und auch die Karosserieform ähnelt dem 356er, so wie selbst die heutigen 911er die Urform fortgesetzt haben.“Kein Wunder also, dass der erste für ihn auch der wichtigste Porsche ist.
Happige Preise
Sein Club-Kollege Wolfgang Köhler vom 356er-Stammtisch Rhein-Main in Frankfurt hat dafür noch eine weitere Theorie: „Die meisten Menschen schwärmen doch für die Autos, die in ihrer Jugend berühmt und begehrt waren, und bei unserer Generation war das eben der 356er“, sagt der 74-Jährige über sich und seine Stammtischbrüder. Doch die Fans der ersten Stunde müssen so langsam ihrem Alter Tribut zollen. Das führt dazu, dass die Autos immer mal wieder in den Handel kommen, sagt Köhler. Denn die Generation der Enkel und Erben schaut dann doch lieber nach einem Elfer, hat der 356erFahrer gelernt.
Doch ganz so gering kann das Interesse am Erstling dann auch bei den nachwachsenden Porsche-Fans nicht sein. Sonst wären die Preise nicht so hoch: „Wenn man ein auch nur halbwegs brauchbares Projekt starten will, muss man für das Basisfahrzeug schon mit 30 000 bis
40 000 Euro rechnen – und danach reichlich Zeit und Geld investieren“, taxiert Besserer den Markt. Für ein fertig restauriertes Coupé seien deshalb je nach Zustand zwischen
60 000 und 120 000 Euro fällig. Die Cabrios würden zwischen 100 000 und 250 000 Euro gehandelt.
Und wie immer bei Porsche gibt es natürlich Ausreißer nach oben:
„356er mit einer besonderen Historie, berühmten Vorbesitzern oder wichtigen Erfolgen im Motorsport erzielen längst hohe sechsstellige Preise.“
Die Preise mögen happig sein, aber zumindest die Auswahl ist relativ groß, sagt Köhler. „Denn über zwei Drittel aller je gebauten 356er sind noch immer auf der Straße.“Selbst der erste hat bis heute überlebt und befindet sich längst wieder im Besitz des Herstellers.