Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Probleme mit dem Mieterstrom
Nutzer, Verbände und Umweltminister fordern Vereinfachung des Gesetzes
STUTTGART (kab) - Besitzer von Mehrfamilienhäusern erhalten Fördermittel vom Bund, wenn sie Solaranlagen aufs Dach bauen und ihre Mieter direkt mit regenerativem Strom beliefern. Aber das 2017 in Kraft getretene Mieterstromgesetz „ist gescheitert“, wie Ottmar Wernicke von Haus und Grund Württemberg feststellt. Schuld daran ist offenbar eine ausufernde Bürokratie. „Es gibt ein halbes Dutzend Gesetze, die hier zum Tragen kommen. Das nimmt eine Komplexität an, die oft für beide Seiten kein Spaß ist“, erklärte ein Sprecher von Netze BW, dem örtlichen Netzbetreiber im Zollernalbkreis.
STUTTGART - Das sollte die Energiewende befeuern: Besitzer von Mehrfamilienhäusern bauen Solaranlagen aufs Dach und beliefern ihre Mieter direkt mit regenerativem Strom. Dafür bekommen sie Förderung vom Bund. Die Grundlage dafür sollte das Mieterstromgesetz sein, das im Sommer 2017 in Kraft getreten ist. Nach mehr als einem Jahr sagt Ottmar Wernicke, Vorsitzender von Haus und Grund Württemberg: „Das Mieterstromgesetz ist gescheitert.“Dirk Hafner aus Geislingen im Zollernalbkreis sieht das ähnlich. Sein Kampf mit der Bürokratie zeigt, woran es bei der aktuellen gesetzlichen Regelung hapert.
Dirk Hafners Familie wohnt mit zwei weiteren in einem Haus in Geislingen, das den drei Parteien gemeinsam gehört. Als die Heizung vergangenes Jahr ausgetauscht werden musste, entschieden sich die Eigentümer, den Strom durch Sonnenenergie selbst zu erzeugen. Im Oktober 2017 stellten sie den Antrag auf Mieterstromförderung – damit gehörten sie zu den Pionieren. Das Ringen mit der Netze BW, dem örtlichen Netzbetreiber, begann. „Anscheinend waren die damit überfordert und wussten nicht, wie sie das handhaben sollen“, sagt Hafner.
Monatelang habe die Netze BW gar nicht reagiert – bis sich Hafner an Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) wandte. Dennoch vergingen weitere Monate, in denen der Netzbetreiber laut Hafner immer wieder neue Messverfahren und Stromzähler zur Bedingung machte. „Wir hatten das Gefühl, dass der Netzbetreiber blockieren wollte.“Zehn Monate nachdem Hafner und seine Miteigentümer die Solaranlage aufs Dach montieren ließen, kann die Förderung nun endlich fließen.
„Wir sind nicht die, die aus Lust an der Bürokratie die Leute quälen wollen – wir halten uns an Recht und Gesetz“, erklärt ein Sprecher von Netze BW und verweist auf einen Wust an Faktoren, die beim Erstellen eines Messkonzepts beachtet werden müssten. „Es gibt ein halbes Dutzend Gesetze, die hier zum Tragen kommen. Das nimmt eine Komplexität an, die oft für beide Seiten kein Spaß ist.“Damit ist der Aufwand für Mieterstromerzeuger aber noch nicht erledigt. Die Eigentümer sind nun Stromerzeuger und haben alle Rechte und Pflichten wie ein großer Stromversorger. Sie müssen sich selbst Rechnungen schreiben und sich mit komplexen steuerlichen Rahmenbedingungen auseinandersetzen. „Es ist schon enorm, wie viel Zeit man braucht“– ohne einen Steuerexperten in seinem Umfeld wäre er verloren gewesen, sagt Hafner. All das für eine Mietstromförderung in Höhe von etwa 220 bis 240 Euro pro Jahr, wie er errechnet hat. Die gibt es für ihn aber erst seit Juli, nachdem alle Unklarheiten beseitigt waren.
„Die Idee des MieterstromgesetBaden-Württemberg zes war gut“, sagt Ottmar Wernicke vom Verband Württembergischer Haus-, Wohnungs- und Grundstückseigentümer. „Es hapert an der Umsetzung. Man muss einen anderen Weg finden, der unbürokratischer ist und für die Leute einfacher umzusetzen.“Die Zahlen scheinen ihm recht zu geben. Das Mieterstromgesetz sieht vor, dass Solaranlagen mit einer Spitzenleistung von insgesamt 500 Megawatt dazukommen dürfen – jedes Jahr, deutschlandweit. 15 Monate nachdem das Gesetz in Kraft getreten ist, ist die Bilanz ernüchternd: Aktuell erzeugen Solaranlagen deutschlandweit 4,1 Megawatt Mieterstrom. Für ein Viertel davon sind Hausbesitzer in Baden-Württemberg verantwortlich.
„Regelungen sind zu restriktiv“
„Das Gesetz erfüllt die Erwartungen noch nicht“, erklärt auch eine Sprecherin von Umweltminister Untersteller. Das sei nicht überraschend, denn „die Regelungen sind zu restriktiv und in der praktischen Umsetzung zu kompliziert“. Einige Vorschläge habe Untersteller in den Gesetzgebungsprozess eingebracht – vergeblich. Ein Beispiel: „Es kann nicht sein, dass der Vermieter eines kleinen Mehrfamilienhauses, in dem er selbst wohnt und den Strom aus der Solaranlage auf dem Dach seinen Mietern verkauft, die gleichen Pflichten hat wie ein überregionales Energieversorgungsunternehmen“, erklärt die Sprecherin. Deshalb habe vorgeschlagen, kleine Anlagen mit einer Spitzenleistung bis zehn Kilowatt von den meisten Lieferantenpflichten zu befreien. Untersteller plädiert zudem für klarere, einfachere Messkonzepte und dafür, dass Mieterstrom auch an Nachbarhäuser fließen darf – nicht nur im eigenen Haus.
Ein Bündnis aus elf Verbänden hat an den Bund appelliert, das Gesetz zu entschlacken. „Die Hürden für Mieterstromprojekte sind nach wie vor zu hoch. Mieterstrom bleibt wirtschaftlich für Eigentümer und Mieter unattraktiv“, erklärte etwa jüngst Lukas Siebenkotten, Bundesdirektor des Deutschen Mieterbundes. Er plädiert dafür, dass der Mieterstrom von der Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)-Umlage befreit wird. Bei Hausbesitzern, die Strom nur zum Eigenverbrauch erzeugen, ist das so.
Ottmar Wernicke von Haus und Grund fordert eine radikale Änderung: Um den enormen bürokratischen Aufwand zu reduzieren, schlägt er eine Stromkostenverordnung nach dem Vorbild der bestehenden Heizkostenverordnung vor. Die Stromkosten würden so auf der Nebenkostenabrechnung auftauchen. Das Umweltministerium äußert sich hierzu skeptisch – es müsse sicher sein, dass keine Seite benachteiligt werde, sagte die Sprecherin. Stattdessen beteuert sie: „Wir werden weiterhin bei künftigen EEGNovellen darauf drängen, dass es hier Vereinfachungen gibt.“