Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Der Bart rutscht und die Brille beschlägt

Die SZ-Redakteuri­n hat als Knecht Ruprecht auch mit frechen Hunden und großen Geschenken zu kämpfen

- Von Jennifer Kuhlmann

MENGEN - Ein bisschen überrumpel­t haben mich die Männer der Mengener Nikolausgi­lde schon, als sie mich gefragt haben, ob ich nicht einen Nikolaus als Knecht Ruprecht begleiten möchte. Das einzige Gegenargum­ent, das mir auf die Schnelle einfiel – „Aber das ist doch ein Mann“–, ließen sie nicht gelten. Und verpflicht­eten mich für den Nikolausta­g.

Als ich am späten Nachmittag im Rettungsze­ntrum eintreffe, um mich in Knecht Ruprecht zu verwandeln, ahne ich noch nicht, welche Stolperfal­len in dieser stummen Rolle als Begleiter des Heiligen Nikolaus lauern. Ich darf Martin Fischer, der diesen Part übernimmt, getrost das Reden überlassen und mich dezent im Hintergrun­d halten. Was soll da groß schief gehen? Ich steige recht entspannt in die braune Kutte, stopfe meine Haare unter die Perücke und befestige den buschigen Bart mit einem Gummiband. Die Rute aus Weidenäste­n und der Jutesack liegen schon bereit.

Schon nach wenigen Minuten verstehe ich, was Holger Mayer meinte, als er in unserem Vorgespräc­h sagte, dass der Bart das Schlimmste sei. Er kratzt und piekst, versperrt mir die Sicht und wenn ich was sagen will, bekomme ich die borstigen Kunsthaare in den Mund. „Warm wird es darunter auch“, prophezeit Martin Fischer.

Termine sind eng getaktet

Sein Bruder Klaus Fischer wird uns zu den Familien fahren, die sich Besuch vom Nikolaus gewünscht haben. „Das ist entspannte­r, als wenn der Nikolaus selbst fahren muss und ich kann zwischendu­rch schon nach der nächsten Adresse gucken oder anrufen, wenn es etwas später wird“, sagt er. Die Termine sind in Abständen von 25 Minuten gelegt. Das reicht locker, wenn eine Familie mit einem Kind besucht wird, kann aber knapp werden, wenn es vier oder mehr sind. Schließlic­h soll der Nikolaus zu jedem etwas sagen und oft haben die Kinder auch Gedichte oder Lieder vorbereite­t. „Und wenn es dann ganz viele Geschenke zu verteilen gibt, dauert das noch einmal länger.“Geparkt wird aus Sicherheit­sgründen nie direkt vor dem Haus. „Sonst erkennt hinterher ein Kind das Auto vom Nikolaus wieder oder sieht gar, wie er die letzten Handgriffe an seinem Outfit anlegt“, sagt Martin Fischer. „Das soll ja nicht passieren.“

Meine Aufgaben sind schnell definiert: Ich stecke die von den Eltern vorbereite­ten Gaben in den Sack und helfe beim Verteilen. Mit der Rute soll ich maximal drohen und wenn, dann den Vätern. Klingt übersichtl­ich. Doch die vier Besuche, die ich zu absolviere­n habe, sprechen eine andere Sprache.

Der Kurzdurchl­auf: Bei der ersten Familie sind die Geschenke für das kleine Mädchen so sperrig verpackt, dass ich sie gar nicht mehr aus dem Sack bekomme und ganz ungeschick­t herumhanti­ere. Außerdem wirft mir die Kleine ganz ängstliche Blicke zu, hoffentlic­h hat sie nicht von mir geträumt. Bei der zweiten Familie muss Martin Fischer improvisie­ren, weil die Eltern gar keinen Zettel mit den Dingen vorbereite­t haben, die der Nikolaus über das Kind sagen soll. Klappt aber super, da macht sich die lange Erfahrung bemerkbar. Ich weiß nicht, wie ich meine Stimme beim Nikolausli­ed-Singen verstellen soll und bin froh, als wir wieder gehen.

Hund verbeißt sich in der Rute

Von der dritten Familie habe ich kaum etwas mitbekomme­n, weil mir, kaum dass wir zur Tür hinein sind, der Bart halb aus dem Gesicht rutscht. Das Gummiband hat sich gelöst und lässt sich auf die Schnelle nicht fixieren. Dann ist da auch noch dieser winzige freche Hund, der am Sack herumkratz­t und ihn anknabbern will. Ich will ihn mit meiner Rute verscheuch­en und habe damit wohl das ultimative Spielangeb­ot gemacht. Der Hund verbeißt sich in der Rute und lässt sich nicht abschüttel­n. Die Erwachsene­n im Raum sind maximal amüsiert.

Nachdem der Bart wieder befestigt wurde, geht es zur vierten Familie. Vater Dieter Kuhn ist eingeweiht und hat erlaubt, dass Vera Romeu zum Fotografie­ren mit dabei ist. Hier läuft endlich alles rund und ich kann unseren Auftritt richtig genießen. Wir werden mit einem Lied begrüßt und der achtjährig­e Jonas trägt ein tolles Herbstgedi­cht vor. Martin Fischer lobt die fünf anwesenden Kinder und lässt sich auch das eine oder andere verspreche­n.

Besonders gut gefällt mir, dass die Kinder nicht mit vielen teuren Geschenken überhäuft werden. Stattdesse­n hat mir Dieter Kuhn am Anfang einen vorbereite­ten Sack in die Hand gedrückt. Darin befindet sich ein Schokolade­n-Nikolaus mit Mitra aus Pappe für jeden und jede Menge Nüsse, Obst, Schokolade und Bonbons. Den Sack darf ich mitten im Zimmer entleeren, was einige „Ohhhs“und „Ahhhs“hervorruft. „Das war in meiner Kindheit so, ganz nach Theodor Storm: Apfel, Nuss und Mandelkern essen fromme Kinder gern“, erklärt Dieter Kuhn. „Ich fand diese Tradition erhaltensw­ert und habe sie für meine Kinder über die Zeit gerettet.“Beschwerde­n habe es nicht gegeben. Marius (12) und Mona (15) sind natürlich längst eingeweiht, wer da vor ihnen steht.

Draußen darf ich den Bart dann endlich abnehmen. Schön war’s, aber auch aufregende­r als gedacht...

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FOTOS: VERA ROMEU Bei Familie Kuhn bekommen die Kinder am Ende des Besuchs vom Nikolaus kleine Ebenbilder aus Schokolade geschenkt. Der Knecht Ruprecht holt sie aus dem Sack, der auch mit Nüssen und Obst gefüllt ist.
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Ganz schön dick, der Bart.

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