Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Der Bart rutscht und die Brille beschlägt
Die SZ-Redakteurin hat als Knecht Ruprecht auch mit frechen Hunden und großen Geschenken zu kämpfen
MENGEN - Ein bisschen überrumpelt haben mich die Männer der Mengener Nikolausgilde schon, als sie mich gefragt haben, ob ich nicht einen Nikolaus als Knecht Ruprecht begleiten möchte. Das einzige Gegenargument, das mir auf die Schnelle einfiel – „Aber das ist doch ein Mann“–, ließen sie nicht gelten. Und verpflichteten mich für den Nikolaustag.
Als ich am späten Nachmittag im Rettungszentrum eintreffe, um mich in Knecht Ruprecht zu verwandeln, ahne ich noch nicht, welche Stolperfallen in dieser stummen Rolle als Begleiter des Heiligen Nikolaus lauern. Ich darf Martin Fischer, der diesen Part übernimmt, getrost das Reden überlassen und mich dezent im Hintergrund halten. Was soll da groß schief gehen? Ich steige recht entspannt in die braune Kutte, stopfe meine Haare unter die Perücke und befestige den buschigen Bart mit einem Gummiband. Die Rute aus Weidenästen und der Jutesack liegen schon bereit.
Schon nach wenigen Minuten verstehe ich, was Holger Mayer meinte, als er in unserem Vorgespräch sagte, dass der Bart das Schlimmste sei. Er kratzt und piekst, versperrt mir die Sicht und wenn ich was sagen will, bekomme ich die borstigen Kunsthaare in den Mund. „Warm wird es darunter auch“, prophezeit Martin Fischer.
Termine sind eng getaktet
Sein Bruder Klaus Fischer wird uns zu den Familien fahren, die sich Besuch vom Nikolaus gewünscht haben. „Das ist entspannter, als wenn der Nikolaus selbst fahren muss und ich kann zwischendurch schon nach der nächsten Adresse gucken oder anrufen, wenn es etwas später wird“, sagt er. Die Termine sind in Abständen von 25 Minuten gelegt. Das reicht locker, wenn eine Familie mit einem Kind besucht wird, kann aber knapp werden, wenn es vier oder mehr sind. Schließlich soll der Nikolaus zu jedem etwas sagen und oft haben die Kinder auch Gedichte oder Lieder vorbereitet. „Und wenn es dann ganz viele Geschenke zu verteilen gibt, dauert das noch einmal länger.“Geparkt wird aus Sicherheitsgründen nie direkt vor dem Haus. „Sonst erkennt hinterher ein Kind das Auto vom Nikolaus wieder oder sieht gar, wie er die letzten Handgriffe an seinem Outfit anlegt“, sagt Martin Fischer. „Das soll ja nicht passieren.“
Meine Aufgaben sind schnell definiert: Ich stecke die von den Eltern vorbereiteten Gaben in den Sack und helfe beim Verteilen. Mit der Rute soll ich maximal drohen und wenn, dann den Vätern. Klingt übersichtlich. Doch die vier Besuche, die ich zu absolvieren habe, sprechen eine andere Sprache.
Der Kurzdurchlauf: Bei der ersten Familie sind die Geschenke für das kleine Mädchen so sperrig verpackt, dass ich sie gar nicht mehr aus dem Sack bekomme und ganz ungeschickt herumhantiere. Außerdem wirft mir die Kleine ganz ängstliche Blicke zu, hoffentlich hat sie nicht von mir geträumt. Bei der zweiten Familie muss Martin Fischer improvisieren, weil die Eltern gar keinen Zettel mit den Dingen vorbereitet haben, die der Nikolaus über das Kind sagen soll. Klappt aber super, da macht sich die lange Erfahrung bemerkbar. Ich weiß nicht, wie ich meine Stimme beim Nikolauslied-Singen verstellen soll und bin froh, als wir wieder gehen.
Hund verbeißt sich in der Rute
Von der dritten Familie habe ich kaum etwas mitbekommen, weil mir, kaum dass wir zur Tür hinein sind, der Bart halb aus dem Gesicht rutscht. Das Gummiband hat sich gelöst und lässt sich auf die Schnelle nicht fixieren. Dann ist da auch noch dieser winzige freche Hund, der am Sack herumkratzt und ihn anknabbern will. Ich will ihn mit meiner Rute verscheuchen und habe damit wohl das ultimative Spielangebot gemacht. Der Hund verbeißt sich in der Rute und lässt sich nicht abschütteln. Die Erwachsenen im Raum sind maximal amüsiert.
Nachdem der Bart wieder befestigt wurde, geht es zur vierten Familie. Vater Dieter Kuhn ist eingeweiht und hat erlaubt, dass Vera Romeu zum Fotografieren mit dabei ist. Hier läuft endlich alles rund und ich kann unseren Auftritt richtig genießen. Wir werden mit einem Lied begrüßt und der achtjährige Jonas trägt ein tolles Herbstgedicht vor. Martin Fischer lobt die fünf anwesenden Kinder und lässt sich auch das eine oder andere versprechen.
Besonders gut gefällt mir, dass die Kinder nicht mit vielen teuren Geschenken überhäuft werden. Stattdessen hat mir Dieter Kuhn am Anfang einen vorbereiteten Sack in die Hand gedrückt. Darin befindet sich ein Schokoladen-Nikolaus mit Mitra aus Pappe für jeden und jede Menge Nüsse, Obst, Schokolade und Bonbons. Den Sack darf ich mitten im Zimmer entleeren, was einige „Ohhhs“und „Ahhhs“hervorruft. „Das war in meiner Kindheit so, ganz nach Theodor Storm: Apfel, Nuss und Mandelkern essen fromme Kinder gern“, erklärt Dieter Kuhn. „Ich fand diese Tradition erhaltenswert und habe sie für meine Kinder über die Zeit gerettet.“Beschwerden habe es nicht gegeben. Marius (12) und Mona (15) sind natürlich längst eingeweiht, wer da vor ihnen steht.
Draußen darf ich den Bart dann endlich abnehmen. Schön war’s, aber auch aufregender als gedacht...