Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Im Zweifel für den Angeklagten
Landgericht Ravensburg vertagt sich im Prozess gegen einen 40-Jährigen aus Bad Schussenried, dem Vergewaltigung und versuchter Mord vorgeworfen wird
RAVENSBURG - Ist der Mann gefährlich oder nicht? Das ist nun die Frage, deren Beantwortung vertagt wurde. Im Prozess gegen einen 40jährigen Mann aus Bad Schussenried, dem Vergewaltigung und versuchter Mord an seiner 39-jährigen Sexgespielin vorgeworfen wird, fiel am siebten Verhandlungstag nicht wie erwartet das Urteil. Weil das Damoklesschwert „Sicherheitsverwahrung“über dem Angeklagten schwebt, hat das Gericht kurz vor der geplanten Urteilsverkündung einem Hilfsbeweisantrag stattgegeben. Nun wird noch eine Therapeutin des Angeklagten gehört werden.
„Es wird verfügt, dass ein weiterer Verhandlungstag angehängt wird. Um die Therapeutin aus dem Zentrum für Psychiatrie Bad Schussenried sowie noch einmal den psychiatrischen Sachverständigen zu hören“, sagte der Vorsitzende Richter Maier um kurz nach 14 Uhr. Zu einem Zeitpunkt, als sich das Gericht nach dem Schlussplädoyer der Karlsruher Verteidigerin eigentlich nach einer Pause mit dem Urteil zurückmelden wollte. Die Beweisaufnahme war bereits am sechsten Verhandlungstag geschlossen, die Plädoyers des Staatsanwaltes, des Nebenklägervertreters und des Pflichtverteidigers schon vorgetragen worden.
Die Wahlverteidigerin plädierte jedoch in ihrer Schlussrede nicht nur auf „Gefährliche Köperverletzung“und forderte die Unterbringung ihres alkoholkranken Mandanten in einer Entziehungsanstalt, sie stellte auch einen sogenannten Hilfsbeweisantrag. Die in den Jahren 2016 und 2017 für ihren Mandanten zuständige Therapeutin aus dem Zentrum für Psychiatrie (ZfP) in Bad Schussenried soll gehört werden. Von der Spezialistin, die eine Station für Sexualstraftäter im ZfP leitet, erwartet das Verteidigergespann offenbar eine umfängliche Aussage dazu, ob es sich beim Angeklagten um einen Mann mit „destruktivem Frauenbild“handelt. Oder eben nicht. Dem psychiatrischen Sachverständigen, der dem Angeklagten Tage zuvor in seinem Gutachten eben diese Neigung attestiert hatte, lagen keine Akten aus dem ZfP Schussenried vor. Der Angeklagte hatte die Therapeutin explizit nicht von ihrer ärztlichen Schweigepflicht enthoben.
Nun, da das Gericht offensichtlich eine Sicherungsverwahrung für den Angeklagten in Betracht zog, hat der 40-Jährige quasi auf den letzten Drücker sein Einverständnis dazu gegeben, dass die Therapeutin zu seiner Person Stellung nehmen darf. Die juristischen-medizinischen Formulierungen, die abgeklopft werden sollen heißen „Hang“beziehungsweise „Gefährlichkeitsprognose“. Dazu befragt, hatte der psychiatrische Gutachter, der mit dem Angeklagten in vier Sitzungen gesprochen hatte, eine klare Einschätzung gegeben: „Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit kommt es zu vergleichbaren Delikten“. Der Gutachter soll für die Befragung der Therapeutin auch noch einmal vor Gericht erscheinen.
In ihrem Plädoyer hatte die Verteidigerin darauf verwiesen, dass ihr Mandant mit 2,7 Promille Blutalkohol in der Tatnacht des 2. Juli 2018 „relevant enthemmt“gewesen sei, sich jedoch nach der Tat selbst gestellt habe. Das Opfer habe keine bleibenden Verletzungen davongetragen. Außerdem liege die letzte Gewalttat ihres Mandanten neun Jahre zurück. „Er hat zugestochen, und das war schlimm. Aber als gelernter Metzger hätte er zu einem anderen Werkzeug als einer Bastelschere greifen können“, führte sie aus. Mehrfach berief sie sich auf den Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“. Der hatte, wie üblich, das vorerst letzte Wort. Und sagte: „Ausführen möchte ich nichts. Das ist nach wie vor ein trauriges Thema.“
Die Verhandlung wird am 8. Januar (14 Uhr) in öffentlicher Sitzung fortgesetzt. Nach den Aussagen der Therapeutin und einer etwaigen Ergänzung des psychiatrischen Sachverständigen darf noch einmal plädiert werden.