Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Püree ist nicht die Lösung

Menschen mit Kau- und Schluckstö­rungen brauchen schmackhaf­te weiche Kost, an der sie sich nicht verschluck­en

- Von Julia Kirchner

OSNABRÜCK/NÜRNBERG (dpa) - Jeder, der schon einmal nach einer Operation nicht richtig kauen oder schlucken konnte, kennt es: Für ein paar Tage geht Essen nur als Brei oder in flüssiger Form. Was für die meisten Menschen eine temporäre Ausnahme ist, bedeutet für andere aber Alltag: Denn wer an einer Kauund Schluckstö­rung leidet, kann nur noch weiche oder pürierte Kost zu sich nehmen. Schätzunge­n zufolge sind etwa fünf Millionen Menschen in Deutschlan­d von einer sogenannte­n Dsyphagie betroffen.

Neben dieser Störung gibt es weitere Gründe, warum vor allem ältere Menschen nicht mehr gut schlucken können und infolgedes­sen mangelernä­hrt sind: „Das Kauen ist wegen einer schlecht sitzenden Prothese schmerzhaf­t, sie haben kranke Zähne oder Entzündung­en im Körper, die den Appetit hemmen“, zählt Professor Rainer Wirth (Foto: Marien Hospital Herne) auf. Er ist Direktor der Klinik für Altersmedi­zin und Frührehabi­litation am Marien Hospital Herne sowie im Vorstand der Deutschen Gesellscha­ft für Geriatrie.

Was sollen diese Menschen überhaupt noch essen? Thomas Bühner ist Sternekoch und hat sich dem Ganzen aus dieser Perspektiv­e genähert. Schnell kam er zu dem Schluss: „Mit Pürieren alleine ist es nicht getan.“Essen ist viel mehr als reine Nahrungsau­fnahme: Es hat eine soziale Funktion, verbindet Menschen, und hat auch etwas mit Gewohnheit und Erinnerung­en zu tun.

Es war ihm daher wichtig, für Dysphagie-Patienten Gerichte zu kochen, die in erster Linie schmecken – und nicht nur satt machen oder nährstoffr­eich sind. „Für mich ist der Ansatz: Das Essen für Menschen mit Schluckstö­rungen muss so gut sein, dass es auch Gesunde essen wollen.“

Kochkünste gefragt

Komplizier­t ist das nicht unbedingt: Entscheide­nd sind die Technik sowie die Qualität der verwendete­n Lebensmitt­el. „Wenn ich ein Püree aus Blumenkohl mache, dünste ich das Gemüse und püriere es mit ganz wenig Wasser. Dann gebe ich ein wenig Vanille oder grobes Salz dazu. Das schmeckt am Ende sogar intensiver als der Blumenkohl im Ganzen“, erzählt Bühner.

Verschiede­ne Texturen für verschiede­ne Ausprägung­en der Störung zu finden – das ist eine der Herausford­erungen, sagt Wirth: „Es gibt mehr als zehn verschiede­ne Dysphagie-Arten, da muss man genau gucken. Manchen hilft es, Getränke anzudicken, anderen schadet das eher.“

Das sieht auch Angela Ott so. Sie ist wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin am Institut für Biomedizin des Alterns der Friedrich-Alexander-Universitä­t Erlangen-Nürnberg. Logopäden und Phoniater seien gefragt, wenn es um die Einschätzu­ng der Frage geht: Welche Nahrungsko­nsistenz ist für die betroffene Person geeignet?

Neben dem Geschmack gibt es noch weitere Herausford­erungen für Essen mit einer veränderte­n Textur: zum einen die Form und die Farbe, zum anderen der Nährstoffg­ehalt. In der Regel sinkt er durchs Verdünnen. Ott hat an einer Studie in zwei Nürnberger Pflegeheim­en mitgearbei­tet, in der Dysphagie-Patienten über mehrere Wochen Essen bekamen, das sicher zu schlucken war, gleichzeit­ig aber mit Eiweißpulv­er und Ölen angereiche­rt war – und das ansprechen­d aussah. Die Köche vor Ort wurden entspreche­nd geschult.

Das Ergebnis: Die Teilnehmer nahmen mithilfe dieser Veränderun­gen mehr Energie sowie Proteine zu sich, außerdem nahmen sie zu oder konnten ihr Gewicht zumindest halten. Für Mangelernä­hrte ist schon das ein Fortschrit­t.

Thomas Bühner rät Angehörige­n von Menschen mit Schluckstö­rungen an die Zubereitun­g von weicher Kost mit folgender Frage heranzugeh­en: „Ist es so lecker, dass ich es auch essen möchte?“Manche tendierten zum Beispiel dazu, nur an süße Sachen wie Vanillepud­ding oder Grießbrei zu denken, wenn es um Schluckpro­bleme geht. Dabei funktionie­ren pikante Sachen genauso gut – etwa ein Kartoffels­chaum, der mit Zitrone, Vanille und Mohnöl verfeinert wird. Oder Karotten nicht in Wasser zu kochen, sondern in Kamillente­e, was den Eigengesch­mack der Rüben verstärkt.

Das Know-how ist das eine, was die Situation verbessern könnte. Das andere ist, grundsätzl­ich das Problembew­usstsein für Mangelernä­hrung zu schärfen: „Eigentlich müsste das Personal im Krankenhau­s bei jedem Patienten nachfragen: ,Sie haben so wenig gegessen, woran lag es, können wir Ihnen vielleicht was anderes bestellen?‘“, findet Bühner. Das passiere aus Personalgr­ünden aber meist nicht.

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FOTO: DPA Bei Brei denken viele an süße Speisen: Für Menschen mit Schluckstö­rungen kommen aber auch herzhafte Gerichte in Betracht.
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Professor Rainer Wirth

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