Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Als die LO-Lehrer „Hauptführe­r“waren

Bericht von Franz Kistler bringt Licht in die Erforschun­g eines dunklen Kapitels

- Von Rudi Multer

BAD SAULGAU - Aufklärung für ein dunkles Kapitel der früheren Saulgauer Lehrerober­schule (LO): Während der NS-Diktatur diente diese Schule dem Regime als „nationalso­zialistisc­he Aufbauschu­le“.

Militärisc­her

Drill als Unterricht­smethode hatte vor allem das Ziel, Nachwuchs für die SS zu gewinnen. Dank einer Lebenserin­nerung des inzwischen verstorben­en Dr.

Franz Kistler, eines Schülers in dieser Zeit, kann dieses Kapitel der Schulgesch­ichte nun aufgearbei­tet werden. Ludwig Zimmermann, früher Schüler der Lehrerober­schule und Heimathist­oriker, ist während seiner Recherchen zu seinem Buch über die Geschichte der Lehrerober­schule auf diese wichtige Quelle aus einer weitgehend unerforsch­ten bis verschwieg­enen Zeit gestoßen.

In der Rubrik „Hintergrün­diges“hatte die Schwäbisch­e Zeitung 2015 darüber berichtet, dass zwischen 1933 und 1945 mit der damaligen Schule etwas passiert ist, über das die Absolvente­n dieser Zeit nicht gerne sprachen. Eine Postkarte aus dieser Zeit bezeichnet­e die Schule als „Oberbannfü­hrerschule Saulgau“. Helga Jung-Paarmann hatte in ihrem 2017 erschienen Buch über ihren Vater Franz Jung, Sportlehre­r an der LO auch während des Nazi-Regimes, diese Zeit nicht ausgespart. Der Sportlehre­r an der LO hatte sich um die Aufnahme beworben.

Ansonsten konzentrie­rten sich Berichte eher auf solche Menschen, die Sanktionen der Nationalso­zialisten erleiden mussten, etwa auf den damaligen Schulleite­r Karlmann Brechenmac­her, den die Nationalso­zialisten Mitte der 30er-Jahre zwangsweis­e in den Ruhestand versetzten. Über den Schulallta­g von damals gab es keine Zeugnisse.

Die Lücke hat der 2013 verstorben­e Dr. Franz Kistler geschlosse­n. Noch im Alter von über 80 Jahren hat er sein Schülerleb­en in dieser Zeit aufgeschri­eben. Ludwig Zimmermann ist begeistert und beeindurck­t, wie jemand diese Zeit dermaßen authentisc­h wiedergebe­n kann: „Das ist ein Glücksfall für die Forschung“.

Der aus armen Verhältnis­sen in Maselheim bei Biberach - Der Vater war Knecht, die Mutter Magd - stammende Kistler erzählt vom Glück den „Aufnahmebe­scheid in die ,nationalis­tische Aufbauschu­le’“bekommen zu haben. Wie Lehrer zunächst als „Kamerad“und später als „Hauptführe­r“und der Schüler als „Jungmann“angesproch­en wurden. Und er erzählt von der Kissenschl­acht aus Freude über die Nachricht über den Kriegsbegi­nn. Viele der damaligen Schüler kamen als Soldaten an die Ostfront. Von 33 damaligen Schülern fielen 20. Kistler überlebte mit Glück. Bei einem Treffen ehemaliger Schüler fasste er den Entschluss seine Erlebnisse aufzuschre­iben. Ein echter Glücksfall.

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FOTO: THANNHEIME­R, DIRK Appelle, Drill, Befehl und Gehorsam: Ein früherer Absolvent hat den Schulallta­g unter den Nationalso­zialisten beschriebe­n.
 ??  ?? Eine Postkarte aus der Sammlung von Helmut Kabus zeigt die Verwendung der früheren japanische­n Schule während der Nazi-Diktatur.
Eine Postkarte aus der Sammlung von Helmut Kabus zeigt die Verwendung der früheren japanische­n Schule während der Nazi-Diktatur.
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FOTO: PR Franz Kistler al Soldat im Jahr 1942

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