Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Geheimnisvoller Milchgigant
Von der kleinen Molkerei zum ungeliebten Konzern – Die Geschichte von Lactalis
PARIS - Die Geschichte von Lactalis beginnt am 19. Oktober 1933, als André Besnier in Laval in Westfrankreich eine Molkerei gründet und am ersten Tag 17 Camemberts herstellt. Seinen Aufschwung erlebt das Unternehmen aber unter Besniers Sohn Michel, der 1955 neuer Firmenchef wird.
Als in den 1960er-Jahren die ersten Supermärkte entstehen, baut Michel Besnier das Unternehmen aus und schafft die Camembert-Marke „Président“, die künftig sein Aushängeschild ist. Außerdem bietet er die erste H-Milch im Tetra Pak an. In den 1970er-Jahren breitet sich der Milchkonzern in den USA aus, wo
1981 die erste Niederlassung entsteht. In den 1990er-Jahren kauft Besnier das italienische Unternehmen Locatelli, die drittgrößte MozzarellaMarke des Landes. 1990 schluckt der Milchgigant seinen französischen Konkurrenten Bridel. Neun Jahre später benennt sich das Familienunternehmen Besnier in Lactalis um – ein Name, der außerhalb Frankreichs leichter auszusprechen ist. Im Jahr
2000 stirbt Michel Besnier und sein Sohn Emmanuel folgt ihm nach. Unter seiner Leitung kauft Lactalis den italienischen Käsegiganten Galbani und wird 2011 durch die Übernahme des italienischen Konkurrenten Parmalat zur Nummer 1 für Molkereiprodukte weltweit.
Laut seiner französischen Website zählt Lactalis, das seinen Firmensitz nach wie vor in Laval hat, 240 Produktionsstätten in 47 Ländern und beschäftigt 80 000 Mitarbeiter –
15 000 davon in Frankreich. Der Umsatz liegt bei 18,4 Milliarden Euro, davon 59 Prozent in Europa. 34 Prozent des Umsatzes wird mit Käse erzielt, gefolgt von Trinkmilch mit 25 Prozent und Joghurts und Milchspeisen mit 13 Prozent. Seine Bilanzen hält das Unternehmen unter Verschluss.
Ende 2017 erschüttert ein Skandal um Babymilchpulver der Marken Picot und Milumel den Konzern. Im Lactalis-Werk im französischen Craon werden Salmonellen festgestellt, an denen mehr als 30 Babys erkranken. Doch erst nachdem die Behörden im Dezember den Rückruf anordneten, wird die Babynahrung aus dem betroffenen Werk vom Markt genommen. Insgesamt werden zwölf Millionen Packungen in 83 Ländern zurückgezogen. Wirtschaftsminister Bruno Le Maire spricht von einem „versagenden Unternehmen“.
Vorwurf der Steuerhinterziehung
Die Affäre bringt den sonst völlig zurückgezogen lebenden Firmenchef Emmanuel Besnier dazu, sich erstmals in zwei Zeitungsinterviews zu äußern. Im Gespräch mit dem Magazin „Le Point“räumt er ein, dass die Arbeit der Milchbauern, die Lactalis regelmäßig wegen zu niedriger Milchpreise kritisieren, nicht „genug wertgeschätzt wird.“Die Schuld dafür sieht er aber nicht bei sich selbst, sondern bei den Verbrauchern. „Die Verbraucher müssen akzeptieren, dass sie ihre Nahrungsmittel etwas teurer bezahlen“, sagt der 48-Jährige dem Magazin „Le Point“. Laut dem US-Wirtschaftsmagazin „Forbes“ist Emmanuel Besnier mit einem Vermögen von 14,7 Milliarden Dollar der fünftreichste Franzose.
Die Bauerngewerkschaft Confédération paysanne wirft dem Unternehmen vor, in den Jahren 2015 und 2016 mehr als zwei Milliarden Euro an Gewinnen mit Hilfe einer Luxemburger Firma am Fiskus vorbeigeschleust zu haben. In der vergangenen Woche schaltete die Gewerkschaft deshalb die Finanzstaatsanwaltschaft ein, wie die Zeitung „Le Figaro“berichtete. Die Gewerkschafter wollen Lactalis mithilfe eines früheren Geheimdienstagenten auf die Spur gekommen sein.