Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Hier leben Schwerstkranke in einer WG
In Jungnau erhalten austherapierte Patienten Unterstützung.
JUNGNAU - Seit August 2017 gibt es in Jungnau eine ambulant betreute Wohngemeinschaft für tracheotomierte (von Tracheotomie: Luftröhrenschnitt) und/oder beatmete Patienten, die beispielsweise an neuromuskulären Krankheiten wie ALS oder den Folgen eines Schlaganfall leiden oder nach einem Unfall eine Hirnblutung erlitten haben und nicht mehr selbstständig atmen oder schlucken können. Das Haus, in dem früher das Awo-Kinderheim untergebracht war, war bis vor wenigen Jahren als Ferienhof Jungnauer Höhe bekannt und liegt idyllisch auf einer Anhöhe am Waldrand auf einem 30 000 Quadratmeter großen Grundstück.
Derzeit leben dort vier Menschen, die nach klinischer Definition austherapiert sind, deren Leiden also nicht geheilt werden können. Manche von ihnen sind als Wachkomapatienten eingestuft, andere hingegen können sich mitteilen. Zwei der Patienten leben seit Start der Einrichtung in dem eigens umgebauten Haus mit 800 Quadratmetern Wohnfläche, von denen jedoch noch nicht alle Zimmer genutzt werden. Die Wohngemeinschaft ist darauf ausgelegt, dass die Bewohner längerfristig dort leben können. Pfleger und sogenannte Alltagsbegleiter helfen bei den Aufgaben des täglichen Lebens, auch nachts ist Personal zugegen. Platz für sechs Patienten gibt es dort. Gemeinschaftsräume, eine Küche sowie ein Übernachtungsraum für Angehörige sind ebenfalls vorhanden. Betreiber Roland Kley würde gern die räumlichen Kapazitäten besser nutzen und alle zwölf vorhandenen Zimmer belegen, doch das lässt die personelle Situation derzeit nicht zu. Kley betreibt die ambulant betreute Wohngemeinschaft mit den 24 Mitarbeitern seines eigenen Pflegedienstes „Ambulante Pflegeleistung Kley“mit Sitz in Albstadt-Ebingen, der auch häusliche Intensivversorgung in den Landkreisen Sigmaringen und dem Zollernalbkreis sowie angrenzenden Regionen abdeckt. Die Mitarbeiter werden in wechselnder Besetzung für die WG und die anderen Tätigkeitsfelder eingesetzt.
Um mehr als das Maximum von sechs Patienten zu betreuen, bräuchte er weitere elf Vollzeit-Pflegekräfte, realistischer sei eine Kombination aus zusätzlichen 20 Voll- und Teilzeitkräften. „Der Arbeitsmarkt ist leergefegt“, sagt er. Dabei sei die ambulant-betreute WG kein unattraktives Arbeitsumfeld, Schichtdienst sei möglich, die Bezahlung liege im oberen Durschnitt für die Branche und das Betreuungsumfeld weniger anonym als in einem Heim. „Aber man ist hier natürlich mit dem Thema Sterben und Tod konfrontiert, das muss man aushalten können“, sagt der 54-Jährige.
Lebenserwartung variiert
Auch wenn die Lebenserwartung der Patienten extrem variieren könne – einige leben jahrelang mit ihren Einschränkungen, bei manchen ist sogar eine leichte Besserung zu erwarten und sie können irgendwann wieder nach Hause – für manchen Bewohner ist die WG auf der Jungnauer Höhe aber die letzte Station. Eine private Investorin aus Calw hatte den Wunsch, eine solche Einrichtung ins Leben zu rufen. Über Roland Kley kam die Verbindung nach Jungnau zustande. Als Betreiber mietet er die Räumlichkeiten bei der Investorin, die das Haus laut Kley für einen siebenstelligen Betrag hat sanieren lassen.
Die Lage sei optimal, es sind nur vier Kilometer bis zum Sigmaringer Krankenhaus. Ein in Sigmaringen ansässiger Hausarzt übernimmt zudem Hausbesuche in der WG. Im Vergleich zu einem Pflegeheim ist die WG kleiner, man könne daher flexibler auf die Wünsche, etwa Essensvorlieben, der Bewohner eingehen und nehme Patienten ab dem 16. Lebensjahr auf. Auf einen Pfleger kommen drei Patienten. Fürs Kochen, Essen, Reinigen sind sogenannte Alltagsbegleiter im Einsatz.
Ab 500 Euro pro Zimmer
Die Bewohner mieten das Zimmer bei Roland Kley, zwischen 500 und 550 Euro kostet ein Zimmer, für Lebensmittel werden je nach Bedarf etwa 150 Euro monatlich fällig. Die pflegerische und betreuerische Leistung werde von Kostenträgern wie Krankenkasse oder Pflegeversicherung abgedeckt.
Über den Kontakt zu umliegenden Kliniken bewirbt der gelernte Krankenpfleger seine Einrichtung. Die Konkurrenz auf dem Tätigkeitsfeld der ambulanten Intensivpflege sei groß, aber der Bedarf auf diesem Gebiet wachse in gleichem Maße. Kley macht sich daher gerade Gedanken, wie er seine WG breiter aufstellen und sie etwa für andere Krankheitsbilder öffnen und neu ausrichten kann. Psychische oder demenzielle Erkrankungen als Zielgruppe schließt Kley jedoch aufgrund der von den Patienten ausgehenden Weglaufgefahr aus: „Wenn hier im Wald jemand abgängig ist, findet man ihn schwer wieder und ich will die Leute ja nicht einsperren“, sagt er.
Wichtig sei ihm, dass die Jungnauer Höhe eine Wohngemeinschaft bleibe. Die Rahmenbedingungen dafür gibt das Wohn- und Teilhabegesetz vor. Mit vier von sechs Bewohnern sei die WG zwar nicht optimal ausgelastet, aber in Kombination mit dem eigenen Pflegedienst sei das Geschäft dennoch rentabel.