Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Selbstgema­chtes Grenzwertc­haos

- Von Benjamin Wagener ●» b.wagener@schwaebisc­he.de

Der Gesetzgebe­r hat eine Fürsorgepf­licht. Er muss dafür Sorge tragen, dass sich die Gesundheit gefährdend­en Umweltbela­stungen in Grenzen halten. Dabei hat die Politik abzuwägen zwischen den Bürgerinte­ressen und den Interessen von Industrie, Verkehr und Landwirtsc­haft. Das tut der Staat, indem er Grenzwerte definiert. Sie sollen einerseits den Menschen schützen, anderersei­ts Leitplanke­n setzen, an denen Unternehme­n, Organisati­onen und Verbände ihr Tun verlässlic­h ausrichten können. Der Gesetzgebe­r hat dabei die Pflicht, diese Grenzwerte am gesicherte­n Stand der Forschung auszuricht­en.

Je länger die Debatte um die gültigen Grenzwerte von Luftschads­toffen dauert, desto offensicht­licher ist, dass die Politik ihrer Aufgabe nicht ansatzweis­e nachgekomm­en ist. Verantwort­lich für die unsägliche Situation sind die Kanzler und Verkehrsmi­nister, die die Grenzwerte in den vergangene­n 20 Jahren in Brüssel ausgehande­lt und in Berlin in Gesetze gegossen haben. Sie hätten sich von Anfang an darum kümmern müssen, dass die Grenzwerte auf anerkannte­r Forschung basieren. Und sie hätten die Konsequenz­en bedenken müssen, die mit den Leitplanke­n für die deutsche Wirtschaft einhergehe­n.

Stattdesse­n haben die Merkels und Schröders, die Dobrindts, Ramsauers und Tiefensees die gültigen Grenzwerte und die sich aus ihnen ergebenden Folgen ignoriert. Als das nicht mehr ging, haben sie die auf EU-Ebene beschlosse­nen Grenzwerte so oberflächl­ich kontrollie­rt, dass sich für die Industrie möglichst keine Belastung ergab. Wenn sich nun Politiker wie Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer oder Europaparl­amentarier Norbert Lins den Vorstoß einer kleinen Gruppe von Ärzten um Dieter Köhler zu eigen machen und damit ihre eigene Grenzwertp­olitik der vergangene­n Jahrzehnte infrage stellen, ist das ärgerlich.

Nicht die Umweltverb­ände, die die Einhaltung der Grenzwerte fordern, und nicht die Autoindust­rie, die die Grenzwerte, so weit es geht, auszunutze­n sucht, sind schuld an dem Grenzwertd­ilemma. Es sind Politiker wie Scheuer und Lins.

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