Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Putin bedrängt Erdogan wegen Syrien
Türkische Truppen sollen schärfer gegen Terrorgruppe HTS in Idlib vorgehen
ISTANBUL - Sie sind die Gewinner der amerikanischen Entscheidung zum Truppenrückzug aus Syrien: Der russische Präsident Wladimir Putin und sein türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdogan haben am Mittwoch in Moskau bei ihrem ersten Gipfeltreffen in diesem Jahr über die Konsequenzen aus dem US-Abzug beraten. Die beiden Politiker, die seit 2016 in Syrien zusammenarbeiten, wollen ihren Einfluss auf jenes Viertel des syrischen Staatsgebietes ausdehnen, das bisher von den Amerikanern und deren kurdischen Verbündeten beherrscht wird. Doch es fällt Putin und Erdogan nicht leicht, das Fell des Bären zu zerteilen.
Offiziell ist aus Sicht der Türkei alles in Ordnung im Verhältnis zu Moskau. Erdogan und Putin würden das „Durcheinander in der Region entwirren“, schrieb Ibrahim Karagül, Chefredakteur der Erdogan-treuen Zeitung „Yeni Safak“. Die Staatschefs hatten sich allein im vergangenen Jahr siebenmal getroffen und kommen gut miteinander aus. Nur mit ihren Dolmetschern an der Seite setzten sie sich am Nachmittag zusammen und tauschten Höflichkeiten über die gute Entwicklung des bilateralen Handels aus.
Bei netten Bemerkungen dürfte es bei der Begegnung jedoch nicht geblieben sein. Russland und die Türkei kooperieren zwar in Syrien, doch das wird nicht zuletzt durch die Ausklammerung von Streitpunkten möglich – die durch den geplanten Rückzug der USA nun stärker in den Vordergrund treten. Russland unterstützt die syrische Regierung und deren Ziel, alle Teile des Staatsgebietes wieder zu erobern, also auch die bisherigen US-Gebiete. Die Türkei möchte ihren Einfluss in Nord-Syrien jedoch weiter ausbauen.
Kurz vor dem Gipfel hatte eine Erklärung des russischen Außenministeriums bereits klargemacht, dass Moskau nicht völlig zufrieden ist mit der türkischen Politik in Syrien. Die Lage in der Provinz Idlib sei sehr besorgniserregend und verschlimmere sich rapide, sagte Außenamtssprecherin Maria Sacharowa.
Die Feststellung war ein Nadelstich gegen den Gast aus Ankara. Obwohl die Türkei laut einer Vereinbarung mit Russland aus dem vergangenen Jahr in der von Rebellen gehaltenen Provinz für Ruhe sorgen soll, hat Erdogan nichts gegen die kürzliche Machtübernahme der extremistischen Milizen-Allianz HTS dort unternommen. Von der HTS, die AlKaida nahesteht, gehe eine Gefahr für die syrische Regierungstruppe und eine russische Luftwaffenbasis in der Nähe aus, betonte Sacharowa.