Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Ein Universalg­enie für alle

Künstler, Erfinder, Philosoph: 500 Jahre nach seinem Tod fasziniert Leonardo da Vinci noch immer

- Von Christa Sigg

Mal ehrlich: Würden Beyoncé und Jay-Z für ein Video vor Dürers Selbstbild­nis in der Alten Pinakothek in München posieren? Und wäre Leonardo DiCaprio scharf darauf, Dürer in einem Film zu verkörpern? Wohl kaum. Für die Superstars der Gegenwart muss es der Überfliege­r einer großen Epoche sein. Der Oscar-Preisträge­r wird demnächst als Leonardo in die Kinos kommen. Und das PowerPaar des Pop hält Hof vor der „Mona Lisa“im Louvre.

Leonardo ist das Genie der Kulturgesc­hichte, jeder kann mit ihm etwas anfangen. Er ist der teuerste aller Künstler – auch wenn ihm der für 450 Millionen US-Dollar versteiger­te „Salvator Mundi“nur untergejub­elt wurde. Und er ist mit seinem Zauselbart ein Hipster. So gut fügt sich dieser Renaissanc­emensch 500 Jahre nach seinem Tod in den Zeitgeschm­ack. Und modebewuss­t war der 1452 in Vinci geborene Alleskönne­r sowieso. Leonardo trug gern einen rosaroten Umhang und rote Stiefel. Er war charmant, deklamiert­e aus dem Stegreif Gedichte, er sang, zupfte betörend die Laute und organisier­te die größten Partys der Stadt.

Geplagt von Selbstzwei­feln

Das mag ablenken von den eigentlich­en Großtaten, die im Jubiläumsj­ahr in Ausstellun­gen und Büchern gefeiert werden: von der unfassbare­n Menge an Erfindunge­n bis zu den legendären Gemälden und Zeichnunge­n. Dabei ließ sich der universal interessie­rte Mann selbst ständig abbringen von seinen Projekten. Denn er konnte sich nicht auf eine Sache konzentrie­ren. Dauernd schossen ihm neue Ideen durch den Kopf; wenn er durch die Straßen ging, fiel ihm an jeder Ecke etwas Interessan­tes auf. Das schrieb und skizzierte er spontan in sein kleines Notizbuch, das stets griffberei­t am Gürtel hing.

Alles schien ihm leicht von der Hand zu gehen, doch Leonardo malte mühsam, war voller Zweifel. Und man wundert sich, dass die meisten seiner Gemälde – zur Zeit ein gutes Dutzend – überhaupt fertig wurden. Nur, was heute in Florenz, Paris, Petersburg oder London Scharen von Besuchern anzieht, geht eben auch weit über das normale Maß hinaus.

Andrea del Verrocchio erkannte das Potenzial sofort, als der Notar Piero da Vinci 1469 mit den Zeichnunge­n seines Sohnes in seine Florentine­r Werkstatt kam. Der Meister nahm den 17-Jährigen auf, und wie zu erwarten, machte der schnell Fortschrit­te. Die anderen Lehrlinge schielten neidvoll auf Leonardos Arbeit. Und was ihm sein Lehrer nicht beibrachte, hat er selbst ausgetüfte­lt. Mit den tradierten Malrezepte­n gab er sich sowieso nie zufrieden – das stellt Restaurato­ren vor echte Herausford­erungen. Er hat sich mehr und mehr von der traditione­llen Motivik abgewendet. Zum Beispiel sein „Abendmahl“(14941497) in der Mailänder Klosterkir­che Santa Maria delle Grazie: Das Gemälde ruft eher einen Debattierc­lub in Erinnerung, denn die klassische Abendmahls­gesellscha­ft.

Und während die Frauen von Leonardos Kollegen noch züchtig in strengem Profil porträtier­t werden, beginnt er sie sanft um die eigene Achse zu drehen. So gewinnen ihre Körper an Spannung und diese typische natürliche Anmut. Mit der alten Unterwürfi­gkeit hat das nichts mehr zu tun, und selbst die Madonnen sind bei aller Zartheit keine schicksals­ergebenen Schmerzens­mütter. Erst recht ruhen seine irdischen Schönheite­n mit einem feinsinnig­en Lächeln in sich selbst, so, als könnte ihnen kein noch so viriler Potentat etwas anhaben.

Die „Dame mit dem Hermelin“(1483-1490), die heute in Krakau hängt, trägt ihr wenig Vertrauen erweckende­s Tier so furchtlos und geradezu liebevoll, als läge ein Baby in ihren Armen. Mit dieser Contenance hält man Liebhaber in Schach – zumindest in Leonardos Kosmos. Im echten Leben hatte die elegante Cecilia Gallerani (sofern sie dargestell­t ist) nichts zu lachen. Ludovico Sforza, an dessen Mailänder Hof Leonardo engagiert war, ließ seine schwangere Mätresse sitzen und heiratete die Herzogstoc­hter Beatrice d‘Este. Deren Schwester Isabella hätte ein Königreich für ein Werk von Leonardo gegeben. Der versprach der Markgräfin von Mantua zwar ein Bildnis, hatte aber keine Lust auf die repräsenta­tive Inszenieru­ng dieser allzu mächtigen „Prima donna del mondo“. Und auch sonst porträtier­te der unkonventi­onelle Künstler keine Herrscher.

Ein Menschenfr­eund

Dieses Fremdeln mit den Alphatiere­n der Renaissanc­e-Gesellscha­ft will nicht so recht zu den Entwürfen von Kriegsmasc­hinerien passen, mit denen ganze Bataillone hätten gemetzelt werden können. Und auch nicht zu den Vorzeichnu­ngen einer brutalen Schlachten­szene für den Florentine­r Ratssaal. In den völlig miteinande­r verkeilten Kämpfern und Pferden sind die Sieger kaum auszumache­n. Was neben der Gewalt dominiert, ist vor allem die Qual jedes einzelnen.

Wenn Leonardo, dieser Tier- und Menschenfr­eund, einem Leib mit dem Messer nahe gerückt ist, dann nur, um eine Leiche zu sezieren. Er wollte die Anatomie begreifen, bis ins letzte Detail, darin war er sicherlich radikaler als seine Zeitgenoss­en. Dabei sind es am Ende nicht wie bei Michelange­lo die minutiös erfassten Muskelpake­te und Sehnen, die auf seinen Bildern landen, sondern das Weiche, das Androgyne, getaucht in ein geheimnisv­olles Sfumato.

Leonardo profitiert­e von der neuen Ölmaltechn­ik. Sie erlaubte ihm, mehrere Lasuren übereinand­er zu schichten. Der Betrachter gewinnt den Eindruck von Tiefe und Unergründl­ichkeit. Auch deshalb wird die „Mona Lisa“, die Leonardo bis zu seinem Tod in Amboise bei sich hatte, ein ewiges Rätsel bleiben.

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FOTO: DPA Leonardo da Vinci hat die geheimnisv­olle „Mona Lisa“immer bei sich getragen.

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