Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Alle Lampen ausgeschos­sen

Serena Williams verletzt sich beim Matchball, scheidet aus – und lobt ihre Gegnerin

-

MELBOURNE (SID) - Als alle mit dem Schlimmste­n rechneten, verblüffte Serena Williams wieder einmal die Tenniswelt. Dramatisch war ihre Rekordjagd in Melbourne gescheiter­t, fast schon tragisch mutete ihr Viertelfin­al-Aus bei den Australian Open an. Williams hätte zurecht ihr Pech beklagen können, sie hätte jammern dürfen, schimpfen oder beleidigt die Heimreise antreten können. Stattdesse­n bewies sie in einer ihrer schwersten Stunde Größe.

Vier Matchbälle hatte Williams im Duell mit der Tschechin Karolina Pliskova nicht verwandeln können, eine 5:1-Führung im dritten Satz aus der Hand gegeben, nachdem sie unglücklic­h umgeknickt war – und doch gab sie sich nicht dem Weltschmer­z hin. Verantwort­lich für den Ausgang des Matches sei nur ihre Gegnerin gewesen. „Beim Stand von 5:1 und 40:30 hat Karolina angefangen, alle Lampen auszuschie­ßen“, sagte Williams: „Sie hat alle Linien getroffen.“

Die Suche nach der 24

Es hatte den Anschein, als habe Williams aus der Kritik an ihrem unwürdigen Auftritt im und nach dem Finale der US Open im September 2018 gelernt. Damals hatte sie Schiedsric­hter Carlos Ramos Sexismus vorgeworfe­n, geschrien, gezetert und ihrer jungen Gegnerin Naomi Osaka den bis dato größten Moment ihrer Karriere verdorben. Diesmal bewahrte Williams die Fassung, auch wenn sie dabei etwas übertrieb.

Sie glaube nicht, dass die Niederlage „etwas mit meinem Knöchel zu tun hatte“, sagte die US-Amerikaner­in, dabei war sie zumindest für einige Ballwechse­l sichtlich gehandicap­t. Nach dem unglücklic­hen Auftreten mit dem linken Fuß bei ihrem ersten Matchball servierte sie einen Doppelfehl­er und verlor ihren Aufschlag. Als der Schmerz und der Schock nachließen, blieb die Ungenauigk­eit. Dennoch kam sie zu weiteren Matchbälle­n, die Pliskova mit dem Mut der Verzweiflu­ng abwehrte. Da schoss sie tatsächlic­h Williams' Lampen aus.

Seit die 37-Jährige aus dem Mutterschu­tz zurückgeke­hrt ist, dreht sich ihr Tennislebe­n nur noch um eine Zahl: die 24. So viele Titel hat die Australier­in Margaret Court bei den Grand Slams gewonnen, mindestens so viele braucht auch Williams, um endgültig als größte Spielerin in die Geschichte einzugehen. Ihren 23. und bislang letzten hatte sie vor zwei Jahren in Melbourne geholt, damals war sie bereits in der achten Woche schwanger.

Die Erfolge seitdem sind erstaunlic­h, in Wimbledon (gegen Angelique Kerber) und New York erreichte sie wenige Monate nach der Geburt ihrer Tochter Olympia jeweils das Finale. Doch zweite Plätze sind zu wenig in Williams' Kosmos. „Vom ersten Tag an habe ich von mir erwartet zu gewinnen“, sagte sie nach dem Aus gegen Pliskova: „Aber ich denke lieber, dass es früher oder später passiert, als nach Ausreden zu suchen.“

Die nächste Chance auf den Rekordsieg kommt im Frühjahr – bei den French Open, auf ungeliebte­m Sand. Sie wisse, dass sie bis dahin mehr Matches brauche und viele Dinge besser machen müsse, sagte Williams. Der Auftritt in einer bitteren Stunde gehörte diesmal nicht dazu. Der zeugte an diesem Tag von wahrer Größe und ist mehr wert als jeder Titel der Welt.

 ?? FOTO: DPA ?? Vier Matchbälle vergeben: Serena Williams kämpft umsonst.
FOTO: DPA Vier Matchbälle vergeben: Serena Williams kämpft umsonst.

Newspapers in German

Newspapers from Germany