Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Soldat muss um seinen Job bangen
Bei Strafprozess geht es auch um die Entlassung des Verdächtigen.
SIGMARINGEN - Für den Oberstabsgefreiten geht es um alles: Sollte ihn das Amtsgericht Sigmaringen wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilen, ist seine Zukunft ruiniert. Für zwölf Jahre hat er sich bei der Bundeswehr verpflichtet. 2022 scheidet er aus. Danach steht ihm eine fünfjährige Berufsförderung zu. All diese Ansprüche sind in Gefahr. Bei einer Verurteilung würde er aus dem Dienstverhältnis entlassen.
Was ist geschehen? Der Hundeführer der Bundeswehr kommt zu einer Weihnachtsfeier in die Albkaserne nach Stetten am kalten Markt. Es wird viel Alkohol konsumiert. Erst Bier, später Rum mit Cola. Die Soldaten trinken nach dem offiziellen Teil auf einer Stube weiter. „Ich hatte einen Filmriss und bin erst wieder zu mir gekommen, als auf mich eingeschlagen wurde“, sagt der 29-jährige Angeklagte vor dem Amtsgericht.
Der Vorwurf von Staatsanwältin Tugba Kalkan: Der Oberstabsgefreite soll einem Kameraden eine Bierflasche über den Kopf gezogen ha- ben. Der Geschädigte trägt eine Platzwunde an der Stirn davon. Er muss im Krankenhaus mit mehreren Stichen genäht werden. Weil die Staatsanwaltschaft davon überzeugt ist, dass der Oberstabsgefreite die Tat begangen hat, hat sie ihn wegen Körperverletzung per Strafbefehl zu einer siebenmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt werden sollte. Hätte er dieses Urteil akzeptiert, wäre er aus der Bundeswehr entlassen worden. Der Soldat legte Widerspruch ein.
Deshalb kommt es zur Verhandlung in Sigmaringen, bei der so viele Zeugen aussagen, dass die Bundeswehr einen Bus von Stetten nach Sigmaringen hätte fahren lassen können. 14 Zeugen warten vor der Tür des Gerichtssaals. Vielen von ihnen geht es so wie dem Angeklagten. Ihre Erinnerungen sind verblasst.
Nicht einmal der Geschädigte, der dem Jägerbataillon angehört, kann den Angeklagten eindeutig belasten. „Vermutlich war er es, ich erinnere mich aber nur, dass wir gemeinsam am Boden lagen.“Die Befragung der Zeugen entwickelt sich für das Ge- richt zum Geduldspiel. „Kann sein“, „Ich habe es nicht gesehen“, „Ich weiß es nicht“sind die häufigsten Aussagen.
Fakt ist, dass eine Reihe von Soldaten in die Schlägerei verwickelt ist. Zeugen wollen zehn bis 15 Beteiligte gesehen haben. Andere sogar mehr als 20. „Im Flur sah’s aus wie auf einem Schlachtfeld“, sagt ein Soldat. Die Gruppe der Hundeführer flüchtet aus dem Gebäude der Pioniere, dabei verletzt sich auch der Angeklagte, als er an der Treppe stürzt. Er berichtet von einem Hämatom am Gesäß und einer Schürfwunde am Hinterkopf.
Keine eindeutigen Beweise
Dass der Oberstabsgefreite mit der Flasche zugeschlagen hat, das lässt sich nicht eindeutig beweisen. Ein Zeuge will ihn erkannt haben, als ihm die Polizei zwölf Fotos von zwölf unterschiedlichen Soldaten zeigte. Die Mehrzahl der Soldaten bleibt in ihren Aussagen jedoch vage.
„Vor 20 Jahren hätte die Bundeswehr solche Vorfälle unter den Teppich gekehrt“, sagt der Anwalt des Angeklagten, Stefan Jaeger aus Wiesbaden, der selbst diente. Er habe große Zweifel, dass sein Mandant die Tat begangen habe, deshalb schlägt er die Einstellung des Verfahrens vor.
„Ich kann mir vorstellen, mit dem Strafrahmen runterzugehen“, lautet die erste Reaktion von Staatsanwältin Kalkan. „Das hilft uns wenig“, entgegnet der Anwalt, denn der Angeklagte würde trotzdem entlassen werden. Erst als Richterin Elisabetta Carbotta andeutet, dass sie den Angeklagten mangels Beweisen freisprechen wird, willigt die Staatsanwältin ein. „Die Disziplinaranwaltschaft der Bundeswehr wäre an unser Urteil gebunden, nun muss sie sich selber Gedanken machen“, sagt die Richterin.
Der Soldat verdient knapp 2000 Euro netto im Monat. Nun wird das Verfahren gegen eine Geldstrafe in Höhe von 3000 Euro, die er an Mariaberg bezahlen muss, eingestellt. „Wenn Sie nicht zahlen, treffen wir uns wieder“, sagt die Richterin. „Ich werde zahlen“– der Angeklagte wirkt in diesem Augenblick sehr erleichtert.