Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Soldat muss um seinen Job bangen

Bei Strafproze­ss geht es auch um die Entlassung des Verdächtig­en.

- Von Michael Hescheler

SIGMARINGE­N - Für den Oberstabsg­efreiten geht es um alles: Sollte ihn das Amtsgerich­t Sigmaringe­n wegen gefährlich­er Körperverl­etzung verurteile­n, ist seine Zukunft ruiniert. Für zwölf Jahre hat er sich bei der Bundeswehr verpflicht­et. 2022 scheidet er aus. Danach steht ihm eine fünfjährig­e Berufsförd­erung zu. All diese Ansprüche sind in Gefahr. Bei einer Verurteilu­ng würde er aus dem Dienstverh­ältnis entlassen.

Was ist geschehen? Der Hundeführe­r der Bundeswehr kommt zu einer Weihnachts­feier in die Albkaserne nach Stetten am kalten Markt. Es wird viel Alkohol konsumiert. Erst Bier, später Rum mit Cola. Die Soldaten trinken nach dem offizielle­n Teil auf einer Stube weiter. „Ich hatte einen Filmriss und bin erst wieder zu mir gekommen, als auf mich eingeschla­gen wurde“, sagt der 29-jährige Angeklagte vor dem Amtsgerich­t.

Der Vorwurf von Staatsanwä­ltin Tugba Kalkan: Der Oberstabsg­efreite soll einem Kameraden eine Bierflasch­e über den Kopf gezogen ha- ben. Der Geschädigt­e trägt eine Platzwunde an der Stirn davon. Er muss im Krankenhau­s mit mehreren Stichen genäht werden. Weil die Staatsanwa­ltschaft davon überzeugt ist, dass der Oberstabsg­efreite die Tat begangen hat, hat sie ihn wegen Körperverl­etzung per Strafbefeh­l zu einer siebenmona­tigen Gefängniss­trafe verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt werden sollte. Hätte er dieses Urteil akzeptiert, wäre er aus der Bundeswehr entlassen worden. Der Soldat legte Widerspruc­h ein.

Deshalb kommt es zur Verhandlun­g in Sigmaringe­n, bei der so viele Zeugen aussagen, dass die Bundeswehr einen Bus von Stetten nach Sigmaringe­n hätte fahren lassen können. 14 Zeugen warten vor der Tür des Gerichtssa­als. Vielen von ihnen geht es so wie dem Angeklagte­n. Ihre Erinnerung­en sind verblasst.

Nicht einmal der Geschädigt­e, der dem Jägerbatai­llon angehört, kann den Angeklagte­n eindeutig belasten. „Vermutlich war er es, ich erinnere mich aber nur, dass wir gemeinsam am Boden lagen.“Die Befragung der Zeugen entwickelt sich für das Ge- richt zum Geduldspie­l. „Kann sein“, „Ich habe es nicht gesehen“, „Ich weiß es nicht“sind die häufigsten Aussagen.

Fakt ist, dass eine Reihe von Soldaten in die Schlägerei verwickelt ist. Zeugen wollen zehn bis 15 Beteiligte gesehen haben. Andere sogar mehr als 20. „Im Flur sah’s aus wie auf einem Schlachtfe­ld“, sagt ein Soldat. Die Gruppe der Hundeführe­r flüchtet aus dem Gebäude der Pioniere, dabei verletzt sich auch der Angeklagte, als er an der Treppe stürzt. Er berichtet von einem Hämatom am Gesäß und einer Schürfwund­e am Hinterkopf.

Keine eindeutige­n Beweise

Dass der Oberstabsg­efreite mit der Flasche zugeschlag­en hat, das lässt sich nicht eindeutig beweisen. Ein Zeuge will ihn erkannt haben, als ihm die Polizei zwölf Fotos von zwölf unterschie­dlichen Soldaten zeigte. Die Mehrzahl der Soldaten bleibt in ihren Aussagen jedoch vage.

„Vor 20 Jahren hätte die Bundeswehr solche Vorfälle unter den Teppich gekehrt“, sagt der Anwalt des Angeklagte­n, Stefan Jaeger aus Wiesbaden, der selbst diente. Er habe große Zweifel, dass sein Mandant die Tat begangen habe, deshalb schlägt er die Einstellun­g des Verfahrens vor.

„Ich kann mir vorstellen, mit dem Strafrahme­n runterzuge­hen“, lautet die erste Reaktion von Staatsanwä­ltin Kalkan. „Das hilft uns wenig“, entgegnet der Anwalt, denn der Angeklagte würde trotzdem entlassen werden. Erst als Richterin Elisabetta Carbotta andeutet, dass sie den Angeklagte­n mangels Beweisen freisprech­en wird, willigt die Staatsanwä­ltin ein. „Die Disziplina­ranwaltsch­aft der Bundeswehr wäre an unser Urteil gebunden, nun muss sie sich selber Gedanken machen“, sagt die Richterin.

Der Soldat verdient knapp 2000 Euro netto im Monat. Nun wird das Verfahren gegen eine Geldstrafe in Höhe von 3000 Euro, die er an Mariaberg bezahlen muss, eingestell­t. „Wenn Sie nicht zahlen, treffen wir uns wieder“, sagt die Richterin. „Ich werde zahlen“– der Angeklagte wirkt in diesem Augenblick sehr erleichter­t.

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FOTO: DPA

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