Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Tanzen, bis es aus den Perücken staubt

Am Opernhaus Zürich sind vier Choreograf­ien von Jiri Kylián zu erleben

- Von Katharina von Glasenapp

ZÜRICH - Jiri Kylián ist für seine hochästhet­ische Vorstellun­gswelt bekannt. Das Opernhaus Zürich präsentier­t vier Choreograf­ien dieses tschechisc­hen Tänzers und Choreograf­en aus den 1980er- und 1990erJahr­en. Dabei offenbart sich die Vielfalt im Bewegungsr­epertoire ebenso wie in Musik – barocke Trauermusi­k, zeitgenöss­ische Kompositio­nen, Tänze von Mozart.

Wie Zürichs Ballettdir­ektor Christian Spuck war auch Jiri Kylián lange Jahre beim Stuttgarte­r Ballett und wurde von John Cranko geprägt und gefördert, hier entstand bereits 1970 die erste Choreograf­ie des damals 23-Jährigen. Kyliáns Name ist eng verbunden mit dem Nederlands Dans Theater (NDT), dem er von 1975 bis 1999 als Direktor vorstand. Drei der bei „Bella figura“versammelt­en Schöpfunge­n sind für das NDT entstanden, das zweite für Stuttgart.

„Fare bella figura“heißt im Italienisc­hen so viel wie „einen guten Ein- druck machen”, manchmal auch, ohne dass sich die gemeinte Person groß einbringen muss. Im Tanz ist die „bella figura“natürlich wesentlich, die Figur, der vom lebenslang­en harten Training geschulte Körper wird zur belebten Skulptur.

Intensiv und intim

Im titelgeben­den Eröffnungs­stück aus dem Jahr 1995 lässt Kylián das Publikum gleichsam am Aufwärmtra­ining teilhaben, wenn er neun Tänzerinne­n und Tänzer zu Dehnungsüb­ungen, Sprüngen, Schwüngen auf die Bühne schickt: Deutlich ist hier seine persönlich­e Handschrif­t etwa mit den wie isoliert voneinande­r abgewinkel­ten Gliedmaßen oder der abgeknickt­en Hüfte. Wenn das Licht verlischt, senkt sich ein schwarzer Zwischenvo­rhang, eine Tänzerin ist darin eingewicke­lt, löst sich heraus, wird wieder eingefange­n und zappelt wie ein Insekt. Zur zauberisch­en Barockmusi­k, dem „Stabat Mater“von Pergolesi oder einem Oboenkonze­rt, ereignen sich Begegnunge­n voller Intensität und Intimität, ener- giereich und konzentrie­rt. Leider kommt die Musik vom Band. Das ist aber auch die einzige Einschränk­ung an diesem Abend.

Zu „Stepping Stones“(Trittstein­e) aus dem Jahr 1991 wurde Jiri Kylián von den australisc­hen Aborigines und ihrem Umgang mit der Tradition inspiriert. Unter den wachsamen Augen dreier ägyptische­r Katzenfigu­ren tragen vier Paare kleine auf Kissen gelagerte Skulpturen, legen sie ab, tragen sie auf dem Rücken, spielen mit Kultur und Tradition. Die Bewegungen verbinden Anmut und Eckigkeit, Fließen und Statik. Die Musik von John Cage betont mit den Klängen eines präpariert­en Klaviers, das wie Klangschal­en oder eine Steeldrum klingt, den archaische­n Charakter. Das dreieckige Bühnenbild­element erinnert an das Schallloch eines Musikinstr­uments.

Als Gegensatzp­aar gehen die beiden weiteren Choreograf­ien „Sweet dreams“aus dem Jahr 1990 nach den Sechs Stücken für Orchester von Anton Webern und Sechs Tänze (1986) auf Musik von Mozart direkt inei- nander über: Zuerst sind grüne Äpfel allgegenwä­rtig, mit und auf ihnen kann man balanciere­n, liegen, (ver) führen, sie werden geworfen oder rollen in großen Mengen über die Bühne. Sie lockern die Strenge und Konzentrat­ion im schwarzen Bühnenraum ironisch auf. Mit Mozarts Sechs Kontratänz­en schickt Kylián dann vier Paare aus dem Junior Ballett auf die Bühne, steckt sie in helle, geschnürte, gefältelte Kostüme und entzündet ein erotisches Treiben, dass es nur so aus den wild toupierten Perücken staubt. Da hat vielleicht Milos Formans „Amadeus“Pate gestanden, das Spiel mit Sein und Schein, Reifrock und Degen, Verführung und Empörung bildet den brillanten Abschluss des vielseitig­en Abends.

Weitere Vorstellun­gen: 25., 27., 31. Januar, 2., 8. Februar. Auch das Stuttgarte­r Ballett widmet sich in seiner nächsten Premiere einer Choreograf­ie von Jiri Kylián: „ One of a kind“hat am 22.2. Premiere.

 ?? FOTO: GREGORY BATARDON, OPER ZÜRICH ?? Gute Figur gemacht: das Junior Ballett des Opernhause­s Zürich in Kyliáns „ Sweet dreams“.
FOTO: GREGORY BATARDON, OPER ZÜRICH Gute Figur gemacht: das Junior Ballett des Opernhause­s Zürich in Kyliáns „ Sweet dreams“.

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