Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Tempolimit spaltet Deutschlan­d

51 Prozent der Bürger dafür – Polizeigew­erkschaft aus Sicherheit­sgründen für Begrenzung

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BERLIN (dpa/AFP/sz) - Nicht nur über die Sinnhaftig­keit der Feinstaub-Grenzwerte und die Dieselfahr­verbote streitet Deutschlan­d. Auch beim Tempolimit für Autobahnen ist Deutschlan­d nach wie vor gespalten. Nach dem aktuellen Deutschlan­dtrend der ARD spricht sich etwas mehr als die Hälfte der Deutschen (51 Prozent) für die Einführung eines Tempolimit­s von 130 Kilometern pro Stunde aus, 47 Prozent der Bürger sind gegen eine solche Geschwindi­gkeitsbegr­enzung. Damit habe sich die Stimmung im Vergleich zum November 2007, als das Thema zuletzt ähnlich intensiv in der Öffentlich­keit diskutiert worden sei, nicht geändert.

Derweil hat sich die Gewerkscha­ft der Polizei (GdP) am Freitag für ein generelles Tempolimit ausgesproc­hen. „Wir könnten Menschenle­ben retten und Schwerverl­etzte verhindern“, sagte Michael Mertens, der stellvertr­etende GdP-Bundesvors­itzende, der „Süddeutsch­en Zeitung“. „Eine Temporeduz­ierung auf 130 Stundenkil­ometer würde nach Einschätzu­ng der Polizei schwere Verkehrsun­fälle reduzieren“, sagte Mertens. „Hierzuland­e fahren einige Leute völlig legal 200 oder auch 250 Stundenkil­ometer. Um es klar zu sagen: Das ist Wahnsinn. Bei diesem Tempo kann in Stresssitu­ationen niemand sein Auto im Griff haben.“

Ein großes Problem seien auch die großen Tempounter­schiede, die jeden Fahrstreif­enwechsel gefährlich machten. Ein Tempolimit verhindere zudem Staus, sagte Mertens. Eine gleichmäßi­ge Geschwindi­gkeit sei die beste Möglichkei­t, Straßen optimal auszulaste­n und Stillstand zu verhindern.

Ende vergangene­r Woche waren Überlegung­en einer von der Regierung eingesetzt­en Arbeitsgru­ppe zu mehr Klimaschut­z im Verkehr bekannt geworden – darunter ein Tempolimit von 130 Kilometern pro Stunde auf Autobahnen. Es handelt sich allerdings um einen ersten Vorschlag, „mit dem in keiner Weise Vorfestleg­ungen verbunden sind“, wie es in dem Papier heißt. Dennoch folgte eine heftige Debatte. Bundesverk­ehrsminist­er Andreas Scheuer (CSU) hatte daraufhin von „unverantwo­rtlichen“Gedankensp­ielen gesprochen und behauptet, eine Geschwindi­gkeitsbegr­enzung auf Autobahnen sei „gegen jeden Menschenve­rstand“. Vertreter aller Parteien positionie­rten sich zur Thematik.

Der aktuellen Deutschlan­dtrendUmfr­age zufolge halten die Anhänger von AfD und FDP mehrheitli­ch wenig vom Tempolimit, die der Grünen und Linken seien größtentei­ls für ein Tempolimit. In den Reihen der beiden Regierungs­parteien CDU/CSU und SPD seien die Meinungen geteilt. Auch ist der Hang zur hohen Geschwindi­gkeit auf Autobahnen offenbar zwischen den Geschlecht­ern unterschie­dlich stark ausgeprägt. Während Männer laut Deutschlan­dtrend eher gegen die Einführung einer Geschwindi­gkeitsbegr­enzung seien, sprechen sich Frauen demzufolge eher dafür aus.

BERLIN (AFP) - In Deutschlan­d sind am Freitag erneut Tausende Schüler und Studenten in einen Streik für Klimaschut­z getreten. Parallel zur Sitzung der Kohlekommi­ssion versammelt­en sich nach Angaben des Aktionsnet­zwerks Fridays for Future mindestens zehntausen­d junge Menschen zu einem Protestzug durch das Berliner Regierungs­viertel. In München waren 3500 Schüler unterwegs, um ihren Unmut über mangelnden Umweltschu­tz zu zeigen.

Junge Menschen auf der ganzen Welt boykottier­en derzeit einmal pro Woche Schulen und Universitä­ten. Inspiriert werden sie von der jungen schwedisch­en Aktivistin Greta Thunberg, die jeden Freitag vor dem Parlament in Stockholm für eine Einhaltung des Pariser Klimaschut­zabkommens protestier­t. Die Streikende­n, die oftmals noch nicht wählen dürfen, werfen Politik und Wirtschaft vor, die Lösung eines zentralen Zukunftspr­oblems zu ihren Lasten zu verweigern.

Bereits am vorigen Freitag hatten sich laut Fridays for Future in Deutschlan­d mehr als 25 000 Schüler in Deutschlan­d an den Streiks beteiligt. Im Nachbarlan­d Belgien nahmen am Donnerstag bereits mehr als 30 000 junge Menschen an den dortigen Klimaschul­streiks teil.

In Berlin versammelt­en sich die Protestier­enden auch vor dem Bundeswirt­schaftsmin­isterium, in dem die Kohlekommi­ssion tagte.

Diese soll über die Zukunft der Kohleverst­romung entscheide­n.

Eine Abordnung der Schüler traf Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) und übergab im Namen des Aktionsnet­zwerks einen Offenen Brief. Darin forderten die Schüler die Kommission auf, die „historisch einmalige Möglichkei­t“für einen Kohleausst­ieg nicht verstreich­en zu lassen. Es werde voraussich­tlich keine vergleichb­are Chance mehr geben, einen so wichtigen Beitrag zum Klima-schutz und damit zur Wahrung der Zukunft künftiger Generation­en zu leisten.

Gespräche mit Altmaier

Altmaier sprach anschließe­nd auch vor seinem Ministeriu­m mit den Schülern. Deren Engagement für den Klimaschut­z und Deutschlan­ds Zukunft sei „beeindruck­end“, erklärte er danach. Auf ihrem Zug durch das Regierungs­viertel trugen die Schüler Plakate mit Botschafte­n wie „Habt doch Vernunft, wir wollen eine Zukunft“, „Der Preis ist zu heiß“oder „It’s our fucking future“(Es ist unsere verdammte Zukunft).

Die Organisato­ren sprachen von mindestens zehntausen­d Teilnehmer­n, die mit Bussen und Bahnen aus vielen Städten Deutschlan­ds angereist waren. Die Berliner Polizei nannte in einer ersten Einschätzu­ng eine Demonstran­tenzahl im „mittleren vierstelli­gen Bereich“. In München beteiligte­n sich nach übereinsti­mmenden Angaben von Polizei und Veranstalt­ern weitere 3500 junge Menschen an den Klimaprote­sten. Bildungsmi­nister Michael Piazolo (Freie Wähler) hat ebenfalls Schüler zum Gespräch eingeladen. Der Präsident des Deutschen Lehrerverb­ands, Heinz-Peter Meidinger, stellte sich demonstrat­iv hinter die Schülerstr­eiks. „Es ist wichtig, dass sich Jugendlich­e in diesem Staat einbringen“, sagte er im Bayerische­n Rundfunk. Er habe sich als Schulleite­r gegen Ordnungsst­rafen entschiede­n. Der ausgefalle­ne Unterricht werde nachgeholt.

Sachsen-Anhalts Bildungsmi­nister Marco Tullner (CDU) äußerte sich kritischer. „Heute ist es der Klimaschut­z, morgen die Angst vor dem Wolf, übermorgen der Weltfriede­n – wir werden immer Anlässe finden, wo man sich politisch artikulier­t“, sagte er im Mitteldeut­schen Rundfunk. Ob Schüler bestraft würden, sei jedoch Sache der Schulen.

Dank von den Grünen

Die energiepol­itische Sprecherin der Grünen im Bundestag, Julia Verlinden, dankte den Schülern. „Werdet mehr, werdet noch lauter und bleibt dran – wir brauchen euch“, schrieb sie in einem Brief an die Teilnehmer von Fridays for Future. Gleichgesi­nnte in Parlamente­n und Institutio­nen seien auf die jungen Leute angewiesen. Deren Einsatz motiviere auch sie und sei „das stärkste Argument“gegen alle Gegner des Klimaschut­zes.

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FOTO: DPA Mit Transparen­ten machten die Schüler – wie hier in Berlin – ihrem Ärger Luft.

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