Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Weniger Gymnasiast­en

Rückkehr zur Grundschul­empfehlung möglicher Grund

- Von Kara Ballarin

STUTTGART (kab) - Erstmals seit Jahren sind zum aktuellen Schuljahr weniger Schüler in Baden-Württember­g auf ein Gymnasium gewechselt. Dabei ist die Zahl der Fünftkläss­ler im Vergleich zum Vorjahr sogar gestiegen – um 1,8 Prozent auf 93 115 Schüler. Von ihnen entschiede­n sich 43,3 Prozent für ein Gymnasium, ein Rückgang um 0,9 Prozent.

Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) sieht darin ein Zeichen dafür, dass die Änderungen bei der Grundschul­empfehlung wirken. Seit diesem Schuljahr müssen Eltern das Dokument den weiterführ­enden Schulen nämlich wieder vorlegen. Sie bleibt aber unverbindl­ich, es zählt weiter allein der Elternwill­e.

Ralph Lange, Leiter des WielandGym­nasiums in Biberach, sieht die Änderung positiv. Nur wenn die Lehrer um den Bildungsst­and der Kinder wissen, können sie diese entspreche­nd fördern, sagte er. Doch es gibt auch Kritiker.

STUTTGART - Zum aktuellen Schuljahr sind weniger Kinder als im Vorjahr aufs Gymnasium gewechselt – und das bei gestiegene­n Schülerzah­len. Die Zahlen hat das Landesamt für Statistik am Freitag vorgelegt. Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) erklärt die Trendumkeh­r damit, dass die Grundschul­empfehlung wieder bei der weiterführ­enden Schule vorgelegt werden muss – und erntet dafür Gegenwind.

2011 übernahm die grün-rote Koalition die Regierungs­geschäfte im Land – und schaffte sehr schnell die Verbindlic­hkeit der Grundschul­empfehlung ab. Sie diente nur noch als Orientieru­ng für die Eltern – nur deren Wunsch zählte. Damit wollten Grüne und SPD den Bildungsau­fstieg für alle Kinder erleichter­n. Kein Schüler mit Realschule­mpfehlung sollte etwa an einem Gymnasium abgewiesen oder stigmatisi­ert werden. Die Regelung, die seit dem Schuljahr

2012/2013 galt, hat die grün-schwarze Nachfolger­egierung verändert.

Übergang besser gestalten

Seit diesem Schuljahr haben die weiterführ­enden Schulen wieder das Recht, die nicht-verbindlic­he Empfehlung einzusehen. Und das ist gut so, findet Ralph Lange, Rektor des Wieland-Gymnasiums in Biberach. Denn: „Vorher konnten wir den Übergang nicht gut gestalten.“Niemand werde an seiner Schule diskrimini­ert, sagt Lange. Es gehe darum, die Kinder besser zu begleiten und fördern zu können.

Für Langes Schule gilt dasselbe wie für alle Schulen im Ländlichen Raum. Tendenziel­l ist die Zahl der Kinder, die trotz Gymnasiale­mpfehlung eine Realschule besuchen, größer als umgekehrt. So sagt Lange denn auch: „In Biberach hat sich gefühlt nichts verändert“– die allermeist­en seiner Schüler hatten und haben weiter eine entspreche­nde Empfehlung. Neu ist seit diesem Jahr, dass Schulen den Eltern, die sich nicht an die Empfehlung halten, ein Beratungsg­espräch anbieten können. „Gefühlt haben fast alle das Angebot angenommen“, sagt Lange. „Aber auch die, die eine Gymnasiale­mpfehlung haben, sagen kurz ,Hallo‘.“In den Städten ist der Ansturm auf die Gymnasien auch ohne entspreche­nde Empfehlung größer.

Von den mehr als 93 000 Schülern, die 2018 auf eine weiterführ­ende Schule gewechselt sind, entschiede­n sich 43,3 Prozent fürs Gymnasium. Das sind fast ein Prozent weniger als im Vorjahr – obwohl die Schülerzah­l insgesamt um 1,8 Prozent gestiegen ist. 88,5 Prozent der Fünftkläss­ler an Gymnasien hatten eine passende Empfehlung und damit 1,3 Prozentpun­kte mehr als im Vorjahr. „Das lässt den Schluss zu, dass die Beratungsg­espräche und die verpflicht­ende Vorlage der Grundschul­empfehlung bei dem einen oder anderen zu der Einschätzu­ng geführt haben, dem Urteil der Grundschul­lehrkräfte mehr Vertrauen zu schenken“, erklärt Eisenmann dazu.

Die SPD weist das zurück. „Die verpflicht­ende Vorlage der Grundschul­empfehlung ist Ergebnis einer Scheindeba­tte und reine Klientelpo­litik der CDU“, erwidert Daniel Born, Bildungsex­perte der SPD-Landtagsfr­aktion. Die aktuellen Zahlen zeigten insgesamt stabile Entwicklun­gen zu den Vorjahren. Das zeigt deutlich, dass diese Änderung letztendli­ch nichts gebracht hat und unnötig war.“ Kritisch äußert sich Carsten Rees, Vorsitzend­er des Landeselte­rnbeirats. Letztlich hänge es von der einzelnen Schule ab, wie diese mit Kindern ohne entspreche­nde Grundschul­empfehlung umgehe, sagt er der „Schwäbisch­en Zeitung“. Aber: „Es gibt Eltern, die Sorge haben, dass ihre Kinder gleich das Etikett ,möglichst bald loswerden‘ bekommen.“

Abgesehen vom Gymnasium haben alle anderen Schularten leicht zugelegt: Auf die Realschule wechselten 34,9 Prozent (+0,7 Prozentpun­kte), auf die Haupt- und Werkrealsc­hulen 5,9 Prozent (+0,2), auf Gemeinscha­ftsschulen 12,8 Prozent (+0,3). Welche Empfehlung die Schüler dabei mitgebrach­t haben, hat sich an allen Schularten ebenfalls kaum verändert.

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