Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Bayern-Coach Kovac warnt vor dem VfB

Cem Özdemir im Interview über Integratio­n, Werte im Fußball – und darüber, wo der VfB deutscher Meister ist

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MÜNCHEN (sz) - Vor dem Südderby am Sonntag (15.30 Uhr) gegen den VfB Stuttgart hat Bayerns Trainer Niko Kovac vor Nachlässig­keit gewarnt. Gegen Augsburg (1:1), Freiburg (1:1) und Düsseldorf (3:3) hatten die Bayern in der Hinrunde gepatzt. „Deswegen machen wir nicht den Fehler, dass wir den VfB unterschät­zen“, sagte Kovac.

RAVENSBURG - Seit Cem Özdemir nicht mehr Bundesvors­itzender der Grünen ist, engagiert sich der 53-Jährige auch verstärkt im Fußball. Als Beirat im bundesweit­en Fanverein FC FairPlay kämpft Özdemir für Integrität im Profifußba­ll. Die Liebe zum VfB Stuttgart sei ihm durch seinen Geburtsort Bad Urach eingeimpft worden, sagte der Bundestags­abgeordnet­e einst. Vor dem Bundesliga-Südgipfel, dem Spiel des wieder einmal kriselnden VfB Stuttgart beim FC Bayern am Sonntag (15.30 Uhr/Sky) sprach Florian Kinast mit Özdemir über dessen Liebe zum VfB Stuttgart, Integratio­n im Sport, Profis als Vorbilder – und wieso er seine Kinder nicht zu Bayernhass­ern erzieht.

Herr Özdemir, als alter VfB-Fan und regelmäßig­er Stadiongän­ger denken Sie da sicher wehmütig an glorreiche Zeiten früherer Tage zurück. Wer waren denn die Helden Ihrer Kindheit?

Die erste große Mannschaft war für mich natürlich die vom Aufstiegsj­ahr 1977, da war ich elf. Roleder im Tor. Hansi Müller. Und natürlich Trainer Sundermann, der Wundermann. Aber auch später gab es noch viele Idole, die ich bewundert habe. Fredi Bobic, Timo Hildebrand. Und natürlich Guido Buchwald. Unvergesse­n, wie er im WM-Finale 1990 Maradona ausgeschal­tet hat. Das spielt bei mir eine besondere Rolle, weil meine Frau Argentinie­rin ist. Ich ziehe ihre Verwandtsc­haft spaßeshalb­er gerne immer damit auf, wenn ich sage, dass ich aus der Stadt komme, in der Guido Buchwald gespielt hat. Sie können sich die entspreche­nden Reaktionen vorstellen.

In der Tat zum Schaudern ist momentan die Lage beim VfB. Was läuft denn da falsch?

Die Mannschaft hat viel Potenzial und sie hat die treuesten Fans, die an Extreme gewöhnt sind. Dass das momentan nicht ausreicht, liegt meines Erachtens nicht nur an der Mischung der Spieler. Es ist keine richtige Spielphilo­sophie zu erkennen. Und wie sollte sie sich auch entwickeln, wenn die Trainer keine Zeit bekommen, ihre Ideen langfristi­g umzusetzen? Mainz ist das beste Gegenbeisp­iel. Die haben die Geduld, auch mal längere Durststrec­ken durchzuste­hen und halten an ihrem Trainer Sandro Schwarz fest. Und beim VfB? Hannes Wolf und Jan Schindelme­iser? Entlassen. Tayfun Korkut? Weg. Das ist leider schon lange so. Denken Sie an Bruno Labbadia oder Jogi Löw, Letzteren haben sie im Jahr nach dem Pokalsieg gefeuert. Da kann sich keine Kontinuitä­t entwickeln.

Heißt, der VfB neigt panikartig zu überstürzt­en Trainerent­lassungen?

Ja, darin ist der Verein deutscher Meister. Gegenwärti­g allerdings leider auch nur da.

Acht Niederlage­n in elf Spielen: Wie lange wird sich Markus Weinzierl noch halten?

Ich finde Diskussion­en über einzelne Akteure wirklich nicht hilfreich. Wir alle müssen gemeinsam für das Ziel kämpfen: oben bleiben. Ein Motto, das es schon einmal gab, im Zusammenha­ng mit dem Bahnhofspr­ojekt in Stuttgart, mit dem unser aktueller VfB-Präsident ja auch zu tun hatte.

Wolfgang Dietrich war Sprecher des Tiefbaupro­jekts von Stuttgart 21, das die Gegner mit dem Slogan „Oben bleiben“verhindern wollten.

Womit sie leider keinen Erfolg hatten, weshalb sich die unvernünft­igere Lösung durchsetzt­e, die weniger bringt, viel später kommt, aber dafür deutlich mehr kostet. Ganz unschwäbis­ch also. Ich hoffe, dass wir dem Ziel, oben zu bleiben, beim VfB erfolgreic­her sind als bei Stuttgart 21.

Kanzlerin Merkel war nach dem WM-Triumph 2014 in der DFB-Kabine, Sie ließen sich einmal mit Tayfun Korkut fotografie­ren. Oft wirkt es wie eine schmale Gratwander­ung zwischen dem Politiker als einfachem Fan und der Instrument­alisierung der Nähe zum Fußball für die eigenen politische­n Ambitionen. Wo ziehen Sie die Grenze?

Ich hatte damals für Sky ein Spiel kommentier­t, in der Halbzeit liefen dann Korkut, Fredi Bobic und auch Niko Kovac vorbei. Für mich als Fan war das eine große Ehre, allen dreien die Hand schütteln zu dürfen, so entstand dann auch dieses Foto. Ganz allgemein merkt man das schon, ob ein Politiker echter Fan ist oder den Sport nur für eigene Zwecke nutzt. Ich war einmal mit Frau Merkel bei einem Länderspie­l gegen die Türkei, da war schon zu spüren, dass sie tatsächlic­h als Fan mitfiebert­e. Cool wäre es, wenn Politiker ihre Bekannthei­t auch nutzen, um andere Sportarten, die häufig im Schatten des Fußballs stehen, zu promoten. Handball wird auch nach der Weltmeiste­rschaft gespielt, überall in Deutschlan­d. Da lohnt es sich, mal hinzugehen. Und noch besser wäre, wenn sich auch alle für ein Financial Fairplay einsetzen, damit die europäisch­en Wettbewerb­e wieder mehr Spaß machen.

Ein Foto mit einem Politiker und zwei Fußballern sorgte 2018 für mächtig Wirbel, auch Sie haben Mesut Özil und Ilkay Gündogan vor der WM mit scharfen Worten für das Bild mit dem türkischen Staatschef Erdogan kritisiert. Wie bewerten Sie im Nachhinein den von allen Beteiligte­n desaströse­n und vor allem monatelang dauernden Umgang in der Erdogate-Affäre?

Es ist klar, dass sich deutsche Nationalsp­ieler nicht für den Wahlkampf autokratis­cher Herrscher einspannen lassen sollen. Klar ist aber, dass der DFB in dieser Angelegenh­eit, vorsichtig formuliert, nicht immer glücklich agiert hat. Der Eindruck, Mesut Özil sei quasi im Alleingang für das Ausscheide­n verantwort­lich, war nicht gut und vor allem auch falsch. Ich habe mich zwischenze­itlich mit DFBPräside­nt Reinhard Grindel getroffen und wir hatten ein gutes Gespräch. Jetzt gilt es, den Blick nach vorne zu richten und Vertrauen zurückzuge­winnen, insbesonde­re bei Jugendlich­en mit Migrations­hintergrun­d. Sonst geschieht das, was die Erdogans dieser Welt am liebsten hätten, nämlich, dass sich diese Jugendlich­en von der deutschen Nationalma­nnschaft abwenden. Gestatten Sie mir hier bitte noch eine Fußnote.

Nur zu.

Das Foto von Lothar Matthäus mit Wladimir Putin war mindestens genauso kritikwürd­ig. Als Ehrenspiel­führer der Nationalma­nnschaft trägt Matthäus auch nach seiner Karriere noch Verantwort­ung. Putin tut alles dafür, Demokratie­n wie unser Land zu spalten.

Mesut Özil hat nach seinem Rücktritt Joachim Löw auch abblitzen lassen, als der in London mit ihm sprechen wollte. Haben Sie dafür Verständni­s?

Nein, so etwas macht man nicht. Gerade auch, weil Jogi Löw sich in der Vergangenh­eit immer stark für Özil eingesetzt hat. Die beiden haben immerhin zusammen die Weltmeiste­rschaft gewonnen.

Hat denn der DFB – wie von Özil behauptet – ein Rassismus- und Integratio­nsproblem?

Der Fußball an sich hat gelegentli­ch eines, leider auch in den unteren Ligen. Dort dürfen wir niemand alleinlass­en, auch Flüchtling­e müssen wir dort fördern, denn eigentlich hat der Fußball doch eine enorme Integratio­nskraft. Auf dem Platz zählt, was du kannst, und nicht, wo du herkommst. Rassismus darf keinen Platz haben, nicht im Fußball, nicht in der Gesellscha­ft. Leider gibt es das fast überall auf der Welt. In anderen Ligen wie in Italien geht es auf den Rängen noch übler zu, und bei manchen Clubs gibt es null Problembew­usstsein. Da sind wir bei den meisten Vereinen weiter. Unsere Vereine haben in den letzten Jahren viel für Integratio­n getan.

Müssten aber nicht auch Fußballer als Vorbilder für die Jugend mehr in die Verantwort­ung genommen werden und noch deutlicher Haltung und Rückgrat zeigen wie etwa die schwedisch­e Nationalma­nnschaft, als sie geschlosse­n den Anfeindung­en gegen ihren Mitspieler Jimmy Durmaz entgegentr­at?

Das war eine tolle Geste. Natürlich sind Fußballpro­fis Vorbilder. Ich muss nur in das Zimmer meines Sohnes schauen, da ist alles vollgepfla­stert mit seinen Idolen, wenn auch leider keiner vom VfB aktuell dabei ist.

Sagen Sie jetzt nicht, dass stattdesse­n da einer vom FC Bayern hängt.

Doch. Ein altes, handsignie­rtes Trikot von Claudio Pizarro aus seiner Münchner Zeit. Ich bin auch wahrlich kein Vater, der sein Kind zum Bayernhass­er erzieht. Wenn wir als Bundesliga europäisch relevant sein wollen, geht das nur mit Dortmund und Bayern, da müssen wir froh sein, die beiden Clubs zu haben. Aber zurück zum Thema: Vorbilder sollten Fußballpro­fis schon sein. Viele Spieler engagieren sich bereits für die Gesellscha­ft. aber da könnte noch mehr kommen, das wäre für den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt, der in unserem Land gefährdet ist, gerade heute sehr wichtig. Und sie sollten auch bedenken, neben wem sie sich ablichten lassen. Aber sie sind keine Ersatzpoli­tiker.

Franck Ribéry hat sich in der Winterpaus­e neben einem Goldsteak ablichten lassen. Haben Sie so etwas schon mal gegessen?

Nein. Als Vegetarier bin ich da auch wahrlich nicht gefährdet, und goldenen Tofu bekam ich bislang auch noch nicht angeboten. Ribéry war damit und mit seiner unflätigen Reaktion sicher nicht gut beraten, und natürlich war das Bild skandalisi­erbar. Aber es gibt Dinge, die ich weitaus skandalöse­r finde: Verträge, die alle guten Sitten sprengen, organisier­te Steuerhint­erziehung, Wettbetrug, Summen jenseits von Gut und Böse und natürlich die FIFA und ihren Präsidente­n. Dubiose Machenscha­ften um WM-Vergaben und künstliche Aufblähung von Turnieren, um noch mehr Geld zu scheffeln, das sind die wahren Skandale des Fußballs. Nicht vor allem ein Goldsteak.

Einer der wenigen in der Bundesliga, der politisch und gesellscha­ftlich klar Stellung bezieht, ist Christian Streich. Ausgerechn­et vom badischen Rivalen aus Freiburg.

Der Streich ist klasse. Das sage ich auch als Schwabe an die Adresse der Freunde in Baden. Wie er sich offen gegen Rassismus und die Ausgrenzun­g von Minderheit­en positionie­rt, ist großartig. Und tollen Fußball lässt er auch noch spielen. Ich freue mich schon, bald die Laudatio auf ihn zu halten. Er ist mein Nachfolger als Träger der Narrensche­lle.

Wie klasse fänden Sie es, wenn Streich mit Freiburg beim Südwestder­by kommenden Sonntag drei Punkte aus Stuttgart mitnimmt?

Ich gestehe, da hört die Begeisteru­ng für Freiburg auf. Die Punkte werden hoffentlic­h bei uns bleiben. Aber dennoch: Mehr Christian Streichs würden dem Fußball guttun.

Was wäre für Sie ein größerer Alptraum in diesem Jahr? Ein Wahltriump­h der AfD bei den drei Landtagswa­hlen in Brandenbur­g, Sachsen und Thüringen? Oder der Abstieg des VfB?

Fußball und Politik sind schon zwei Paar Stiefel. Dennoch: Beides darf nicht passieren, beides wird nicht passieren. Ich bin sehr zuversicht­lich für die Wahlen und außerdem überzeugt, dass der VfB die Kurve kriegt und oben bleibt. Anders als der Bahnhof unseres Präsidente­n, leider.

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FOTO: DPA Regelmäßig­er Stadiongän­ger: Cem Özdemir (li.) letzte Saison rund um das Spiel des VfB gegen Eintracht Frankfurt mit dem jetzigen Bayerncoac­h Niko Kovac.

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