Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Historiker
Er wurde als jüdisches Kind im französischen Internat versteckt. Er wurde katholisch getauft. Dann wurde der Holocaust für Saul Friedländer zum Lebensthema. Jetzt hält er die Rede zum Holocaust-Gedenktag im Bundestag.
„Die Juden kamen ja meist nur als Opferzahlen vor. Ich wollte den Ermordeten ihre Stimme zurückgeben“, sagt Friedländer. „Wenn Sie die Tagebücher und Briefe der Opfer lesen, erkennen Sie deren Individualität, ihre Hoffnungen und Empfindungen.“Der Erinnerung Namen geben – das ist der Anspruch des in Los Angeles lebenden israelischen Historikers. Am kommenden Donnerstag, dem 31. Januar, wird er im Bundestag die Gedenkrede zum Holocaust-Gedenktag halten und damit auch an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz vor 74 Jahren erinnern.
Als Kind deutschsprachiger Juden wurde Friedländer 1932 in Prag geboren. Während seine Eltern in Auschwitz ermordet wurden, überlebte er unter falschem Namen und als getaufter Katholik in einem Internat in Frankreich und wollte sogar Priester werden. „Ich wurde vollgestopft mit Religion, aber im Lauf meines Lebens wurde sie zur Nebensache“, sagte er. „Das Ästhetische am Katholizismus ist mir geblieben, die Kirchenmusik, und noch wichtiger: ein Schuldgefühl.“
1946 entschloss er sich auf Anraten eines Jesuiten, wieder Jude zu sein. „Ich bin schnell nacheinander Kommunist und dann Zionist geworden und
1948 aus meinem Pariser Gymnasium nach Israel geflüchtet“, schildert er seinen Lebensweg. Als Politikwissenschaftler und Historiker unterrichtete der Vater dreier Kinder später in Genf, Tel Aviv und Los Angeles.
Es dauerte lange, bis er sich seiner Familiengeschichte stellte. Er sei auch Jahrzehnte später hoch traumatisiert gewesen und leide noch heute unter Depressionen, schrieb er 2016. Erst seine Kinder hätten ihm geholfen, seine Gefühle wiederzuentdecken.
Für Friedländer ist klar, dass auch der Holocaust immer weiter historisiert wird. „Irgendwann wird man Bücher über das Dritte Reich und den Holocaust lesen wie heute Cäsars Gallischen Krieg“, analysiert er. „So wird es kommen, da hilft nichts.“(KNA)