Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Das linke Menschenbi­ld halte ich für ziemlich asozial“

FDP-Bundesvize Katja Suding über ihre Ziele für die Europawahl – und dazu, was für sie gute Sozialpoli­tik heißt

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RAVENSBURG - Am Sonntag beschließt die FDP ihr Programm für den Europawahl­kampf – und tritt in die heiße Phase des Wahljahrs 2019 ein. Katja Suding, stellvetre­tende Parteivors­itzende und Vize-Fraktionsc­hefin im Bundestag, sprach vorher im Interview mit Hendrik Groth und Sebastian Heinrich über die Allianz mit Emmanuel Macron, über Vergleiche zwischen AfD und Grünen – und darüber, wie die FDP Steuersenk­ungen und soziale Gerechtigk­eit vereinbare­n will.

Frau Suding, im Europawahl­kampf hat die FDP momentan offenbar vor allem ein Lieblingst­hema: Den französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron, den ihr Parteichef Christian Lindner immer wieder lobt. Dabei hat Macron inzwischen ernsthafte innenpolit­ische Probleme. Setzen Sie da auf einen Partner auf dem absteigend­en Ast?

Nein, ganz und gar nicht. Macron stößt in Frankreich Reformen an, mit viel Mut. Das erzeugt natürlich viel Gegenwind. Dennoch ist er der Richtige, um Frankreich wirklich nach vorne zu bringen, nach vielen Jahren des Stillstand­s oder sogar des Rückschrit­ts. Wir haben uns entschloss­en, mit ihm und anderen liberalen Partnern in Europa in den Europawahl­kampf zu ziehen, weil uns Grundüberz­eugungen einen, aber auch Positionen zu wichtigen Themen wie Asylpoliti­k, Verteidigu­ngspolitik, Binnenmark­t und Freihandel. Deshalb macht es Sinn, gemeinsam zu kämpfen. Unser Ziel ist, zweitstärk­ste Kraft in Europa zu werden – um diesen Zustand zu beenden, in dem sich Sozialdemo­kraten und Christdemo­kraten im Europaparl­ament die Bälle zuspielen und die Macht aufteilen.

Über eines der Themen, das für Sie persönlich sehr wichtig ist, wird auch im Süden gerade wieder heiß diskutiert: Bildung. Der Streit um den Bildungsfö­deralismus läuft wieder, Sie sind – wie die FDP allgemein – dafür, das Kooperatio­nsverbot zwischen Bund und Ländern aufzuheben. Der baden-württember­gische Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n lehnt aber weitere Eingriffe des Bundes in die Bildungspo­litik ab, die bayerische Staatsregi­erung auch. Deren Argument: Die Länder machen das besser alleine. Erklären Sie unseren Lesern, warum für Sie beide falsch liegen.

Für Herrn Kretschman­n sind solche Aussagen gefährlich. Unter seinen Regierunge­n haben sich die Schüler in Baden-Württember­g im Pisa-Ranking verschlech­tert. Wir setzen uns seit Langem für eine Reform des Bildungsfö­deralismus ein. Wir wollen, dass der Bund nicht nur in Beton und Kabel, sondern auch in Köpfe investiert werden kann. Und dem sollten die Länder im Bundesrat zustimmen. Laut aktuellen Zahlen sagen 83 Prozent der Bundesbürg­er, dass der Bildungsfö­deralismus so nicht zukunftsfä­hig ist, 72 Prozent fordern, dass sich der Bund stärker engagiert. Die Menschen wissen sehr gut, dass es keinen Unterschie­d machen darf, aus welchem Bundesland ein Schüler kommt. Der Bund muss dafür sor- gen, dass es einheitlic­he Standards gibt. Ich kann da nur an die Ministerpr­äsidenten der Länder appelliere­n, eigene Befindlich­keiten zurückzust­ellen und die Grundgeset­zänderung anzunehmen – damit der Digitalpak­t jetzt endlich kommen kann.

Grundsätzl­ich fordert die FDP mehr Investitio­nen in Bildung, aber auch in Infrastruk­tur. Auf der anderen Seite machen Sie sich stark für Steuersenk­ungen, für die Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag­s für alle – und wollen die schwarze Null. Wie soll das zusammenpa­ssen – wenn Sie nicht im Sozialbere­ich bei den Schwächste­n sparen wollen?

Ganz einfach: Indem wir auf teure, aber sinnlose Leistungen wie das Baukinderg­eld verzichten. Oder auf das Gute-Kita-Gesetz, das viele Länder dazu nutzen werden, die KitaBeiträ­ge auch für gut verdienend­e Menschen abzuschaff­en, ohne aber die Qualität der Kitas zu steigern. Die Ideen der Großen Koalition zur Rente waren und werden sehr teuer. Kurzum: Da werden Milliarden verpulvert. Wir müssen die Priorität darauf setzen, Deutschlan­d wettbewerb­sfähig zu machen – und das Erwirtscha­ften wieder vor das Verteilen setzen. Und dazu gehört weltbeste Bildung. Das entspricht unserem Menschenbi­ld: Wir wollen Menschen fordern und fördern, damit sie auf eigenen Füßen stehen können. Das linke Menschenbi­ld halte ich dagegen ehrlich gesagt für ziemlich asozial: Wir geben dir Sozialleis­tungen, bleib’ mal schön auf dem Sofa. Für uns sind gute Sozialpoli­tik vor allem gute Schulen und Hochschule­n, nur so gibt es Chancenger­echtigkeit von Beginn an.

Eines ist seit Monaten auffällig bei Interviews mit FDP-Spitzenpol­itikern. Sie vergleiche­n immer wieder – mal deutlicher, mal weniger deutlich – die Grünen und die AfD. „AfD und Grüne nehmen sich nichts“, sagte Wolfgang Kubicki zum Beispiel im Dezember über das Verhalten beider Parteien im Bundestag. Ist das Ihr Weg, gegen die Enttäuschu­ng anzukämpfe­n, dass die Grünen von der Krise der Volksparte­ien stärker profitiere­n als die FDP?

Wolfgang Kubicki ging es dabei um den Stil der Auseinande­rsetzung. Da empfehlen wir mehr Coolness. Und natürlich greifen wir die Grünen an, sie sind ja ein politische­r Gegner. Aber ich sitze neben der AfD im Bundestag, was man da hört, ist teilweise widerlich und beschämend. Niemand kann da auf die Idee kommen, die Grünen und die AfD in einen Topf zu werfen.

Wurmt es Sie nicht, dass die Grünen momentan viel stärker von der Schwäche von Union und SPD profitiere­n als Ihre Partei?

Nein. Ich bin mir sicher, dass die Grünen ihren Höhenflug nicht halten werden. Die sind momentan in der komfortabl­en Situation, dass sie gar nicht konkret werden müssen. Grünen-Chefin Annalena Baerbock sagt zum Beispiel erst, dass Abschiebun­gen konsequent­er durchgefüh­rt werden müssen – wenig später aber redet sie gegen eine Maßnahme an, die Abschiebun­gen konkret erleichter­n würde: nämlich die Ausweisung der sicheren Herkunftss­taaten. Aber je näher die Wahlen rücken und je konkreter sich die Parteien festlegen müssen, desto mehr wird das auffallen. Dann kann auch Robert Habeck nicht mehr minutenlan­g in schönen Worten vom Zusammenha­lt der Gesellscha­ft sprechen, ohne eine einzige konkrete politische Forderung zu stellen.

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FOTO: DANIEL DRESCHER Katja Suding bei ihrem Interview in der Redaktion der „Schwäbisch­en Zeitung“.

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