Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Deutschland wächst – bevor es schrumpfen wird
Noch nie war Deutschland bevölkerungsreicher als derzeit. Wie das Statistische Bundesamt am Freitag in Wiesbaden mitteilte, wuchs die Einwohnerzahl nach einer vorläufigen Schätzung von 82,8 Millionen im Jahr 2017 um rund
200 000 auf 83 Millionen 2018. Seit 2012 gibt es Jahr für Jahr ein Plus bei der Bevölkerungszahl. Allerdings: Nur die Flüchtlingsbewegung
2015, die Zuwanderung ins boomende Deutschland aus ganz Europa und eine leicht steigende Geburtenrate haben die aktuelle Zahl möglich gemacht. 2018 wanderten zwischen
340 000 und 380 000 mehr Menschen zu als ab. Dabei wird das Plus allerdings im dritten Jahr in Folge kleiner. 2015 hatte die Nettozuwanderung stark zugenommen; mittlerweile ist sie wieder auf das Niveau von 2012 abgesunken. Gleichzeitig verstärkt sich aber das Geburtendefizit: Etwa 785 000 bis 805 000 Neugeborenen standen im vergangenen Jahr 950 000 bis 970 000 Sterbefälle gegenüber – eine Differenz von mehr als 160 000. 2017 hatte das Geburtendefizit noch 145 000 betragen.
Rückgang ist absehbar
Damit überlagern internationale Migrationsbewegungen gegenwärtig den Trend zum Bevölkerungsrückgang, der durch eine lang anhaltende Phase des Geburtenrückgangs angelegt ist. Der starke Rückgang der Bevölkerung ist trotzdem absehbar. Er wird plötzlich einsetzen, wenn die große Gruppe der Babyboomer – alle mehr oder weniger in der gleichen Altersgruppe – in den kommenden Jahrzehnten sterben und gleichzeitig die Babyknick-Generation der 1990er-Jahre bei der gegenwärtigen Geburtenrate bleibt. Wissenschaftler sind sich weitgehend einig, dass nur durch Zuwanderer die Bevölkerungszahl einigermaßen stabil gehalten werden kann.
Die Wahrheit ist: Das Land wird sich für immer verändern. Und zwar egal, was man macht. Tut man nichts, schrumpft die Bevölkerung. Das ist eine Option. Es steht nirgendwo geschrieben, dass Deutschland auf Dauer mehr als 80 Millionen Einwohner haben muss. Nur müssen sich die Verbleibenden auf ein ungemütliches Dasein einrichten, wenn junge Menschen fehlen, die den ganzen Wohlstand produzieren oder künftigen Rentnern die Rollstühle schieben.
Die andere Option, Zuwanderung, ist mindestens eine genauso große Herausforderung. 2015 haben wir erlebt, wie dramatisch schon ein kurzfristiger, wenn auch großer Zustrom von Menschen Deutschland verunsichert hat.
Dennoch: Für eine von beiden Varianten muss sich Deutschland entscheiden. Und sie klug umsetzen.