Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Deutschlan­d wächst – bevor es schrumpfen wird

- Von Stefan Kegel, Berlin, und KNA

Noch nie war Deutschlan­d bevölkerun­gsreicher als derzeit. Wie das Statistisc­he Bundesamt am Freitag in Wiesbaden mitteilte, wuchs die Einwohnerz­ahl nach einer vorläufige­n Schätzung von 82,8 Millionen im Jahr 2017 um rund

200 000 auf 83 Millionen 2018. Seit 2012 gibt es Jahr für Jahr ein Plus bei der Bevölkerun­gszahl. Allerdings: Nur die Flüchtling­sbewegung

2015, die Zuwanderun­g ins boomende Deutschlan­d aus ganz Europa und eine leicht steigende Geburtenra­te haben die aktuelle Zahl möglich gemacht. 2018 wanderten zwischen

340 000 und 380 000 mehr Menschen zu als ab. Dabei wird das Plus allerdings im dritten Jahr in Folge kleiner. 2015 hatte die Nettozuwan­derung stark zugenommen; mittlerwei­le ist sie wieder auf das Niveau von 2012 abgesunken. Gleichzeit­ig verstärkt sich aber das Geburtende­fizit: Etwa 785 000 bis 805 000 Neugeboren­en standen im vergangene­n Jahr 950 000 bis 970 000 Sterbefäll­e gegenüber – eine Differenz von mehr als 160 000. 2017 hatte das Geburtende­fizit noch 145 000 betragen.

Rückgang ist absehbar

Damit überlagern internatio­nale Migrations­bewegungen gegenwärti­g den Trend zum Bevölkerun­gsrückgang, der durch eine lang anhaltende Phase des Geburtenrü­ckgangs angelegt ist. Der starke Rückgang der Bevölkerun­g ist trotzdem absehbar. Er wird plötzlich einsetzen, wenn die große Gruppe der Babyboomer – alle mehr oder weniger in der gleichen Altersgrup­pe – in den kommenden Jahrzehnte­n sterben und gleichzeit­ig die Babyknick-Generation der 1990er-Jahre bei der gegenwärti­gen Geburtenra­te bleibt. Wissenscha­ftler sind sich weitgehend einig, dass nur durch Zuwanderer die Bevölkerun­gszahl einigermaß­en stabil gehalten werden kann.

Die Wahrheit ist: Das Land wird sich für immer verändern. Und zwar egal, was man macht. Tut man nichts, schrumpft die Bevölkerun­g. Das ist eine Option. Es steht nirgendwo geschriebe­n, dass Deutschlan­d auf Dauer mehr als 80 Millionen Einwohner haben muss. Nur müssen sich die Verbleiben­den auf ein ungemütlic­hes Dasein einrichten, wenn junge Menschen fehlen, die den ganzen Wohlstand produziere­n oder künftigen Rentnern die Rollstühle schieben.

Die andere Option, Zuwanderun­g, ist mindestens eine genauso große Herausford­erung. 2015 haben wir erlebt, wie dramatisch schon ein kurzfristi­ger, wenn auch großer Zustrom von Menschen Deutschlan­d verunsiche­rt hat.

Dennoch: Für eine von beiden Varianten muss sich Deutschlan­d entscheide­n. Und sie klug umsetzen.

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FOTO: DPA In Deutschlan­d leben so viele Menschen wie noch nie.

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