Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
In der Spur
Die Jahre der Krise scheinen beim Modellbahnhersteller Märklin endgültig vorbei zu sein
GÖPPINGEN/RAVENSBURG - Ein alter Bahnhofsvorsteher steht vor einer in die Jahre gekommenen Ankunftshalle. Er schippt die schneebedeckten Gleise frei, auf denen schon lange kein Zug mehr gehalten hat. Im Schalterraum fällt der Blick des betagten Mannes auf vergilbte Fahrtickets und auf das Bild seines Enkels in einer Taschenuhr. Erst durch die folgende Filmszene erschließt sich dem Betrachter eine zweite Ebene: Ein Rumpeln kündigt zur Überraschung des Mannes die Ankunft eines Zuges an – und die Kamera schwenkt in die Höhe, gleitet über eine Modellbahnanlage und erfasst das Lächeln eines Jungen, der den Trafo seiner Modelleisenbahn bedient. Es ist der Junge auf dem Bild in der Taschenuhr. Im Abspann die Zeile „Märklin verbindet Generationen“.
Es sind nicht zuletzt solche Marketingaktionen wie der Weihnachtsfilm, den das Göppinger Traditionsunternehmen zu Weihnachten 2018 veröffentlicht hat, die Märklin zurück in die Erfolgsspur gebracht haben. Im laufenden Geschäftsjahr, das Ende März endet, werde der Umsatz nach Angaben von Märklin-Chef Florian Sieber um 3,7 Prozent auf 112 Millionen Euro steigen. „Wir sind profitabel und schreiben schwarze Zahlen“, sagte Sieber der „Schwäbischen Zeitung“vor der am Mittwoch beginnenden Nürnberger Spielzeugmesse.
„Wir haben in allen Segmenten und über alle Marken hinweg eine Schippe draufgelegt und mit dem Marketing neue Kunden gewonnen“, erklärt Sieber. Einem Marketing, das mit dem Film über den alten Bahnhofsvorsteher auch die Geschichte des Unternehmenschefs selbst erzählt. „Auch ich hatte mit meinem Opa in unserem Keller eine Eisenbahn aufgebaut“, erinnert sich der 32-jährige Manager. „Es sind die schönsten Erinnerungen an meinen Großvater, die ich habe.“
Aus der Insolvenz geführt
Im Frühjahr 2013 übernahm Florian Sieber gemeinsam mit seinem Vater das insolvente Unternehmen, das 2009 in die Pleite gerutscht war, beglich alle Schulden – und führte es Schritt für Schritt aus der Krise heraus. Mittlerweile beschäftigt Märklin wieder fast 1200 Mitarbeiter am Stammsitz in Göppingen und im ungarischen Györ. „Natürlich sind wir zufrieden mit der Entwicklung, aber wir dürfen uns auch nicht ausruhen“, sagt Florian Sieber, der seine ersten Erfahrungen in der Spielzeugbranche als Assistent der Geschäftsführung der Simba-Dickie-Gruppe gemacht hat, die Vater Michael und Großvater Fritz 1982 im fränkischen Fürth gegründet hatten.
Vor allem die in Lizenz gefertigte Lokomotive Emma aus dem Kinderbuch-Klassiker „Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer“von Michael Ende hat die Umsätze bei Märklin im vergangenen Jahr nach oben getrieben. Kurz nach dem Kinostart des gleichnamigen Films im März vergangenen Jahres sei das Starterset ausverkauft gewesen. Inzwischen seien mehr als 10 000 Stück abgesetzt worden, daher werde es nun fest ins Programm genommen. „Es war das am stärksten nachgefragte Produkt, das wir 2018 produziert haben“, sagt Sieber.
Auch auf der Spielwarenmesse in Nürnberg soll Michael Endes Geschichte über Jim, Lukas und die Lokomotive Emma am Märklin-Stand eine große Rolle spielen: Neben Neuprodukten für alle Spurweiten stellt der Spielzeughersteller auch eine Emma-Lokomotive für die größte Spurweite vor, die Eisenbahnfans im Garten aufbauen können.
Millionen für neue Produkte
Im neuen Geschäftsjahr 2019/20 will Märklin 6,5 Millionen Euro in neue Produkte investieren, dazu kommen
2,5 Millionen Euro für Maschinen, weitere vier Millionen Euro fließen in das neue Museum, das Ende des Jahres am Stammsitz in Göppingen fertig werden soll. Insgesamt investiert Märklin über mehrere Jahre
11,3 Millionen Euro in das sogenannte Märklineum. Auf einer Fläche von rund 3000 Quadratmetern soll für Sammler und Familien eine Modelleisenbahnanlage und eine Erlebniswelt entstehen.
Sorgen wegen der schwächelnden Weltwirtschaft macht sich Florian Sieber nicht. Denn der These des früheren Chefs des Ravensburger Spieleverlags, Karsten Schmidt, nach der Menschen in Krisenzeiten besonders gerne spielen, stimmt der MärklinGeschäftsführer zu – jedenfalls im Kern. „Da steckt ein Fünkchen Wahrheit drin“, sagt Sieber. „In den Zeiten verzichten die Menschen auf große Investitionen, Geschenke für die Kinder an Weihnachten gibt es aber trotzdem.“Eine Ausgangsposition, um die die deutsche Exportindustrie Sieber wohl beneiden dürfte.
Den Film, der die Kindheitserinnerungen von Märklin-Chef Florian Sieber aufgreift, ist zu sehen unter www.schwäbische.de/lokomotive