Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Der letzte Kaiser
Modeschöpfer Karl Lagerfeld scheint sich von der Fashion-Welt verabschieden zu wollen
PARIS - Einen seiner letzten öffentlichen Auftritte hatte Karl Lagerfeld am 22. November 2018. Als er auf den Knopf drückte, um die rote Weihnachtsbeleuchtung auf den Pariser Champs-Elysées einzuschalten, wirkte der Modezar weniger elegant und unnahbar als sonst. Mit seinem weißen Bart und einigen Kilo mehr auf den Rippen glich er eher dem Weihnachtsmann als dem exzentrischen Chanel-Chef-Designer vergangener Jahrzehnte. Auch wenn er nicht auf seine Markenzeichen – den weiß gepuderten Zopf, die Sonnenbrille, den hohen weißen Kragen und die schwarze Krawatte – verzichtete.
Schon im Herbst hatten die Fans des 85-Jährigen den Eindruck, dass „Kaiser Karl“sich aus der schnelllebigen FashionWelt verabschieden wollte. Nach der Präsentation der Sommermode von Chanel wirkte er gesundheitlich angeschlagen und grüßte von einem imitierten hölzernen Landungssteg aus ungewöhnlich lange das Publikum. Es könnte das letzte Mal gewesen sein. Denn diese Woche verzichtete Lagerfeld auf seinen üblichen Auftritt am Ende des Chanel-Defilées – erstmals seit mehr als
30 Jahren. „Herr Lagerfeld fühlte sich erschöpft“, teilte Chanel lediglich mit.
Kein Wunder nach mehr als sechs Jahrzehnten in der Modewelt, die er wie kein anderer beherrscht. Mit
19 zog der gebürtige Hamburger zusammen mit seiner Mutter nach Paris, um schon zwei Jahre später den berühmten Woolmark-Preis zusammen mit Yves Saint Laurent zu gewinnen, zu dem er eine legendäre Rivalität entwickelte. Nach seiner Schneiderlehre bei Balmain folgte eine Karriere in verschiedenen renommierten Modehäusern, die er 1983 als Chefdesigner bei Chanel krönte. Der als Arbeitstier bekannte Lagerfeld befreite das Traditionslabel vom Muff der Altfrauenmarke und reicherte die Kreationen von Coco Chanel mit neuen, überraschenden Elementen an. Inspiriert wurde der Kreativdirektor von Supermodels wie Claudia Schiffer oder Gisèle Bündchen, die zu seinen Musen zählten. „Für mich ist er einfach ein Genie, ein Andy Warhol der Mode“, sagte Schiffer zum 85. Geburtstag des Designers. Lagerfeld, der auch ein begeisterter Fotograf ist, durfte das Topmodell sogar mit nacktem Babybauch ablichten.
Vor Provokationen schreckte „Karl der Große“nie zurück. So sagte er im vergangenen Jahr dem französischen Nachrichtenmagazin „Le Point“, er „hasse“Angela Merkel für ihre Flüchtlingspolitik. Sie habe damit den Aufstieg der AfD befördert „und 100 dieser Neonazis“ins Parlament gebracht. Lagerfeld drohte sogar damit, die deutsche Staatsbürgerschaft aufzugeben, ohne aber Franzose werden zu wollen. „Ich bin hanseatisch.“In Hamburg hatte der Modeschöpfer Ende 2017 die Elbphilharmonie als Kulisse für eine Modenschau genutzt. Der erste Auftritt in seiner Heimatstadt war für viele ein weiteres Zeichen, dass Lagerfeld seinen Abschied vorbereitet. Äußerliche Veränderungen trugen später zu den Spekulationen bei: So zeigte sich der Modeschöpfer im vergangenen Jahr erstmals seit Jahrzehnten mit einer normalen Brille statt der für ihn so typischen Sonnenbrille. Sein Aussehen scheint dem einst so eitlen Exzentriker inzwischen egal geworden zu sein: Auf den Champs-Elysées lächelte er mit Zahnlücken in die Kameras.
Auf die Frage nach dem Altern sagte Lagerfeld, der sein Geburtsdatum lange um fünf Jahre zurückdatiert hatte, dem Magazin „Numéro“: „Alles hängt von den Bedingungen ab. Wenn man Exzesse vermeidet und es im großen Luxus tut, ist es erträglich.“Für seine Beerdigung hat er bereits Vorsorge getroffen: „Ich möchte, dass man mich verbrennt und meine Asche mit der meiner Mutter verstreut und der von Choupette, wenn sie mich überlebt.“Choupette ist Lagerfelds weißhaarige Luxuskatze, die ihn im Todesfall auch beerben soll.
„Wenn man Exzesse vermeidet und es im großen Luxus tut, ist es erträglich.“Modeschöpfer Karl Lagerfeld über das Altern