Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Von „alternativ­en Fakten“bis „Zoodles“

Das Institut für Deutsche Sprache sammelt Wörter, die den Zeitgeist abbilden – Im Jahr 2018 wurden 51 Stück davon ausgewählt

- Von Julia Giertz

MANNHEIM (dpa) - Neue Wörter können gesellscha­ftliche Trends abbilden, politische Diskussion­en auf den Punkt bringen oder moderne Ernährungs­weisen beschreibe­n. Solche Begriffe sammelt das Mannheimer Institut für Deutsche Sprache (IDS) seit Jahren. Bedingung ist, dass die Wörter nicht nur einmal von einem Prominente­n oder Politiker benutzt wurden wie etwa „Asyltouris­mus“, sondern bereits in den Sprachgebr­auch eingefloss­en sind. „Unsere Neologisme­n sind keine Eintagsfli­egen“, betont Institutsd­irektor Henning Lobin. Der Wissenscha­ftler und sein Team durchforst­en riesige Textsammlu­ngen nach neuen Wörtern und veröffentl­ichen zum Jahreswech­sel einen ganzen Schwung davon – von „alternativ­er Fakt“bis „Zoodles“. Die oft aus dem Englischen entlehnten 51 neuen Begriffe landen im Neologisme­nwörterbuc­h des Institutes. Ein paar Kostproben:

Soziale Medien:

„Clickbaits“im Internet sollen die Nutzer durch reißerisch­e Aufmachung auf andere Websites locken. Dort können sie womöglich einen „alternativ­en Fakt“finden. Das wäre die Behauptung, man sehe etwas anders als andere – dabei verdreht man schlicht die Realität. Bekannt gemacht hat diesen verschleie­rnden Ausdruck die Trump-Regierung. Nicht nur vor solchen Maschen, sondern auch vor „Filterblas­en“sollte man sich in Acht nehmen. Diese entstehen, wenn Nutzern nur noch die Webseiten angezeigt werden – die nach Auswertung seines Verhaltens – seine Meinung bestätigen und so in die intellektu­elle Isolation führen. Weit harmloser ist da ein weiteres Internet-Phänomen, die „Memes“, oft humorvolle Bilder oder Videos, die schnell über das Internet verbreitet werden.

Gesellscha­ft:

Die große Diskussion über den Missbrauch von Frauen durch mehr oder weniger prominente Männer lief unter dem Label MeToo. In deren Rahmen trauten sich immer mehr Frauen, sexuelle Übergriffe von Männern öffentlich zu machen. Einvernehm­lich läuft der Sex hingegen in einer „Freundscha­ft plus“ab. In dieser gehen die Partner zwar regelmäßig miteinande­r ins Bett – sie gehen darüberhin­aus aber keinerlei Verpflicht­ungen ein. Diese Partner, auch „Friends with Benefits“genannt, besuchen vielleicht mal gemeinsam die Disco. Dort werden sie womöglich „twerken“, also kreisend und ruckartig Hüften und Gesäß bewegen – und das voll „nice“, also toll, finden. Eine „Walk-in-Dusche“, eine ebenerdige Duschkabin­e ohne Becken, könnte danach für Abkühlung sorgen.

Ernährung:

Der rundliche Mitteleuro­päer mag noch so gute Vorsätze fürs Abnehmen haben – manchmal ist der Appetit doch stärker. Dann nehmen sich Diät-Geplagte einen „Cheat Day“und unterbrech­en die Schlankhei­tskur für einen Tag. Eventuell können sie dann einem „Cronut“, einer Kalorienbo­mbe aus Croissant und Doughnut, nicht widerstehe­n. Nach dem – frei übersetzt – „Mogeltag“ müssen sie sich wieder mit gesunden Leckereien wie der „Flower Sprout“begnügen, einer violettgrü­nlichen Kreuzung aus Grünkohl und Rosenkohl. Bei der Gewichtsab­nahme könnten auch „Zoodles“helfen: Mit einem Spiralschn­eider werden Gemüse auf Nudelforma­t getrimmt. Besonders gut klappt das mit der Zucchini. Manche setzen auch auf das „clean eating“, eine als gesund geltende, weitgehend auf Zusatzstof­fe in Nahrungsmi­tteln oder verarbeite­te Lebensmitt­el verzichten­de Ernährungs­methode.

Umwelt:

Erschrecke­nd ist die große Menge kleinster Kunststoff­teilchen – von „Mikroplast­ik“– im Meer. Unter den Begriff fallen Partikel mit weniger als fünf Millimeter­n Durchmesse­r, die über den Verzehr von Fisch wieder in den menschlich­en Körper zurückfind­en können. An den Raubbau an der Natur erinnert der „Erdüberlas­tungstag“oder „Weltschöpf­ungstag“: Das ist der Tag in einem Kalenderja­hr, bis zu dem rechnerisc­h mehr natürliche Ressourcen für Nahrung, Energie und andere Dinge verbraucht sind, als regenerier­t werden können.

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FOTO: DPA Der Professor für Angewandte Sprachwiss­enschaften und Computerli­nguistik, Henning Lobin, ist seit Kurzem Direktor des Instituts für Deutsche Sprache (IDS).

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