Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Facebook anno dazumal
„Like me!“: Museum Ulm gibt Einblick in die Erfolgsgeschichte des Freundschaftsbuches
ULM - Freunde sammeln auf Facebook ist eine Leidenschaft. Oft schon ein Statussymbol. Und für viele eine Selbstbestätigung. Freundeszahlen im höheren dreistelligen Bereich sind heutzutage keine Seltenheit. Freunde sammeln wir aber nicht erst, seit es Facebook gibt. Schon im 16. Jahrhundert begann die Erfolgsgeschichte des sogenannten Album Amicorum. Die neue „Like me!“Ausstellung im Museum Ulm zeigt ab heute mit rund 70 Exponaten aus vier Jahrhunderten eine kleine Geschichte des Stammbuchs und des Freundesammelns. Fast alle Exponate stammen aus dem „nicht ganz kleinen Bestand des Ulmer Stadtarchivs“, wie Kuratorin Eva Leistenschneider erzählt. Präsentiert werden sie in kleinen Gruppen in Vitrinen.
„Viel lieber tät ich malen, als ein Soldate sein. Doch niemand will bezahlen, da fahr der Teufel rein,“schrieb Soldat Martin Eckstein 1604 in das Stammbuch seines militärischen Mitstreiters Christoph von Storn und lieferte gleich noch eine passende Illustration von kämpfenden Rittern hoch zu Ross vor bedrohlichem Himmel dazu. Das Buch gibt Einblicke in seine wechselnden Söldnerdienste aus der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg und ist reich bebildert. Ein Prachtband also.
Mit dem Stammbuch im Gepäck
Doch Obacht. Denn nicht alle Schriften stammen aus dem angeblichen Entstehungszeitraum, auch Inhalte, Sprache und Illustrationen sind oft zeituntypisch, wie Leistenschneider bei der Vorbereitung der Schau entdeckt hat. Möglicherweise handelt es sich um ein Fake-Album, das teilweise erst im 19. Jahrhundert entstanden ist. Über diesem Stammbuch schwebt ein großes Fragezeichen. Und es ist nicht das einzige Stück in der Ulmer Ausstellung, das der Kuratorin Rätsel aufgibt.
Vor allem bei jungen Männern waren die kleinen Bücher groß in Mode. „Während des Studiums, der Gesellenwanderung oder der Bildungsreise sammelten sie darin handschriftliche Einträge von Freunden, Professoren, Studienkollegen und neuen Bekannten“, erklärt Eva Leistenschneider im Katalog. Diese schrieben ihnen Gedichte, lehrreiche Zitate oder Lebensweisheiten ins Stammbuch.
Wer Geld hatte, beauftragte einen Maler mit einer kleinen Illustration. Beliebt waren Wappen, Stadtansichten, Allegorien, schöne Frauen oder Interieurs. So ein Stamm- und Freundschaftsbuch, im handlichen Querformat und in edles Leder gebunden, war also ein Prestigeobjekt, mit dem man – wie heute im Netz mit den Likes – angeben konnte. Für Künstler wiederum, wie etwa den Ulmer Christoph Nikolaus Kleemann, waren diese Stammbücher ein einträgliches Geschäft. In den Jahren zwischen 1770 und 1797 hat Kleemann eine ganze Serie von reizenden Miniatur-Stadtansichten für Freundschaftsbücher gemalt und in Schwarz-Gold eingefasst.
Ein besonders schönes Exemplar ist das Büchlein des Patriziers Anton Schermar, 1604 in Ulm geboren. Im Alter von 18 Jahren begann Schermer ein Jurastudium, das er aber nach kurzer Zeit wieder abbrach. Stattdessen begab sich der wohlhabende Sprössling auf eine sechsjährige Reise quer durch ganz Europa, mit dem Ziel, Sprachen zu lernen und wertvolle Kontakte zu knüpfen. Mit im Gepäck immer sein Stammbuch. Schermer scheint auf seiner Tour auch dem weiblichen Geschlecht nicht abgeneigt gewesen zu sein. Ein Eintrag eines Herrn von Katzenstein schmückt eine allegorische Liebesszene in Form einer Verfolgungsjagd. Offenbar wollten die Frauen nicht immer so, wie er wollte
Sexuelle Anspielungen und derbe Sprüche finden sich besonders oft in den Stammbüchern von Studenten, die schon damals gern die Sau raus ließen. „Viele Mädchen sind gemacht wie der Mond nur für die Nacht“, schrieb am 12. September 1801 etwa ein angehender Jurist in Jena ins Buch der Familie Besserer. Und an anderer Stelle entdeckt man eindeutige Hinweise auf Saufgelage in Text und Bild. Von wegen früher war alles besser.
Einträge von Damen gibt es dagegen so gut wie keine, sie besaßen meist auch keine. Im Gegensatz zu den Herren mussten sie ja brav zu Hause sitzen, an Reisen war nicht zu denken. Erst im 19. Jahrhundert ändert sich das. Die jungen Männer verloren das Interesse am Stamm- und Freundschaftsbuch. Im Gegenzug gewann das Poesiealbum beim weiblichen Geschlecht an Attraktivität. Interessanterweise blieben die biederen Sprüchen mit Anspielungen auf Tugend und Sittsamkeit über Jahre hinweg erhalten.
Bis 28. April im Museum Ulm. Öffnungszeiten: Di.-So. 11-17 Uhr, Do. 11-20 Uhr. Der kleine Katalog ist mit Liebe zum Detail wie ein Freundschaftsbuch gestaltet und kostet 12 Euro.