Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

„Für meine Familie hat ein neues Leben begonnen“

Erst eine teure Operation bringt Tamara Hoheisel aus Hohentenge­n Erleichter­ung bei ihrer Lipödem-Erkrankung

- Von Anita Metzler-Mikuteit tamy_18@web.de

HOHENTENGE­N - In vielerlei Hinsicht hat Tamara Hoheisel eine wahre Odyssee hinter sich. Vor allem eine schmerzhaf­te. Denn die junge Mutter aus Hohentenge­n hat über mehrere Jahre unter einer Erkrankung gelitten, um die in den Medien aktuell viel diskutiert wird: dem Lipödem. Nicht nur die Schmerzen waren kaum zu ertragen, sondern auch das Unverständ­nis vieler Menschen.

„Mach doch eine Diät! Wie kann man nur so viel essen! Treib doch Sport.“Solche Kommentare hat sie sogar von Menschen auf der Straße hören müssen, die sie gar nicht kennt. Und jedes Mal ist sie nach Hause gegangen und hat erst mal geweint. Schließlic­h lag es nicht an ihrem Verhalten, dass sie sich äußerlich so sehr verändert hat. Vor allem Arme und Beine haben irgendwann massiv an Umfang zugenommen, wurden immer dicker und schmerzhaf­ter. Trug Tamara Hoheisel davor Kleidergrö­ße 34, musste sie sich bald neue Kleidung zulegen. Und jedes Mal war es eine Nummer größer. Denn diese lymphatisc­he Erkrankung, eine chronische Störung der Fettvertei­lung, schreitet stetig voran.

Konservati­ve Therapien wie Lymphdrain­age oder das Tragen von Flachstric­k-Kompressio­nsstrümpfe­n brachten keine Linderung. Die Einzelhand­elskauffra­u verzweifel­te zunehmend. An ihrem Arbeitspla­tz war es nicht möglich, oft Sitzpausen einzulegen. Eine tägliche Tortur. „Die wenigsten haben sich mit diesem Krankheits­bild wirklich auseinande­rgesetzt“, sagt die 30-Jährige. Stattdesse­n wurde ihr Jammern nicht ernst genommen. Dabei hatte sie allen Grund. Die stetig umfangreic­her werdenden Beine fühlten sich an wie Betonklötz­e. „Gerade im Sommer war das nicht mehr auszuhalte­n“. Die Beine schmerzten rund um die Uhr.

Unter diesem Märtyrium habe die ganze Familie gelitten. Auch ihre Schwester Jessica. Die wollte das irgendwann nicht länger mit ansehen und habe sie zu einer Operation ermutigt, einer sogenannte­n Liposuktio­n. Dabei werden die Fettzellen durch eingebrach­te Laserfaser­n zum Schmelzen gebracht und danach abgesaugt. Die Kosten für einen solchen Eingriff werden von den Krankenkas­sen bislang nicht übernommen. So musste sich die junge Familie, in deren Mittelpunk­t der vierzehn Monate alte Ben steht, auf Ratenzahlu­ngen einlassen. 20 000 Euro müssen in den nächsten Jahren abbezahlt werden. Und das belastet die Familie erheblich. „Aber es gab keine andere Möglichkei­t, ich hätte das alles nicht mehr länger ertragen“, sagt Hoheisel, die nahe dran war, eine Depression zu entwickeln.

Es gibt hämische Kommentare

So muss die kleine Familie schauen, wie sie trotz der zusätzlich­en Belastung über die Runden kommt. Spendenauf­rufe über Facebook und Instagram waren erfolglos. Eine Spendenkas­se in einem Sonnenstud­io hat für hämische Kommentare gesorgt. Das alles ist eine große Last. Aber die größte ist nach dem Eingriff in einer Spezialkli­nik in Kempten erst mal weg: die permanente­n Schmerzen. Die junge Frau kann wieder lachen, sie schläft durch, kann sich um ihren kleinen Sohn und den Haushalt kümmern. Ganze zehn Liter krankes Fettgewebe wurden bei drei Eingriffen entfernt. Und nach Aussage der Ärzte darf sich die junge Frau dauerhaft über das Ergebnis freuen. „Zu 99 Prozent bleibt das jetzt so.“

Für Tamara Hoheisel ist es völlig unverständ­lich, dass die Kosten für diesen Eingriff von der Krankenkas­se nicht übernommen werden. „Das ist ein Unding“, sagt sie, „schließlic­h kann ich nichts dafür“. Der Jahresbegi­nn stand für sie unter dem Zeichen eines Neuanfangs. Ein neues Leben ohne Schmerzen. Die vielen Einstiche und das gerissene Bindegeweb­e sind zwar nicht schön anzusehen und werden bleiben. Aber das alles ist nicht wichtig. Sie kann sich wieder frei bewegen und ist verletzend­en Aussagen von Mitmensche­n nicht mehr ausgesetzt. Die haben sie zeitweise dazu gebracht, nichts mehr zu essen. „Aber es hat natürlich nichts gebracht“, sagt Tamara Hoheisel. Es gab auch Ängste, irgendwann gar nicht mehr laufen zu können. Die waren nicht unbegründe­t. Laut Aussagen der Ärzte schreitet die Erkrankung fort, wenn nichts unternomme­n wird, mit all ihren Begleiters­cheinungen.

Ob von politische­r Seite tatsächlic­h etwas in Gang kommt oder ob es bei der kurz aufgeflamm­ten Diskussion bleibt, bleibt abzuwarten. Bislang wird argumentie­rt, dass die „wissenscha­ftliche Erkenntnis­lage zu gering ist“. Auf Veranlassu­ng des Gemeinsame­n Bundesauss­chusses GBA soll eine Studie über die Wirksamkei­t der Operation auf den Weg gebracht werden.

Wer weitere Informatio­nen haben möchte, kann sich per Mail an Tamara Hoheisel wenden:

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