Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Für meine Familie hat ein neues Leben begonnen“
Erst eine teure Operation bringt Tamara Hoheisel aus Hohentengen Erleichterung bei ihrer Lipödem-Erkrankung
HOHENTENGEN - In vielerlei Hinsicht hat Tamara Hoheisel eine wahre Odyssee hinter sich. Vor allem eine schmerzhafte. Denn die junge Mutter aus Hohentengen hat über mehrere Jahre unter einer Erkrankung gelitten, um die in den Medien aktuell viel diskutiert wird: dem Lipödem. Nicht nur die Schmerzen waren kaum zu ertragen, sondern auch das Unverständnis vieler Menschen.
„Mach doch eine Diät! Wie kann man nur so viel essen! Treib doch Sport.“Solche Kommentare hat sie sogar von Menschen auf der Straße hören müssen, die sie gar nicht kennt. Und jedes Mal ist sie nach Hause gegangen und hat erst mal geweint. Schließlich lag es nicht an ihrem Verhalten, dass sie sich äußerlich so sehr verändert hat. Vor allem Arme und Beine haben irgendwann massiv an Umfang zugenommen, wurden immer dicker und schmerzhafter. Trug Tamara Hoheisel davor Kleidergröße 34, musste sie sich bald neue Kleidung zulegen. Und jedes Mal war es eine Nummer größer. Denn diese lymphatische Erkrankung, eine chronische Störung der Fettverteilung, schreitet stetig voran.
Konservative Therapien wie Lymphdrainage oder das Tragen von Flachstrick-Kompressionsstrümpfen brachten keine Linderung. Die Einzelhandelskauffrau verzweifelte zunehmend. An ihrem Arbeitsplatz war es nicht möglich, oft Sitzpausen einzulegen. Eine tägliche Tortur. „Die wenigsten haben sich mit diesem Krankheitsbild wirklich auseinandergesetzt“, sagt die 30-Jährige. Stattdessen wurde ihr Jammern nicht ernst genommen. Dabei hatte sie allen Grund. Die stetig umfangreicher werdenden Beine fühlten sich an wie Betonklötze. „Gerade im Sommer war das nicht mehr auszuhalten“. Die Beine schmerzten rund um die Uhr.
Unter diesem Märtyrium habe die ganze Familie gelitten. Auch ihre Schwester Jessica. Die wollte das irgendwann nicht länger mit ansehen und habe sie zu einer Operation ermutigt, einer sogenannten Liposuktion. Dabei werden die Fettzellen durch eingebrachte Laserfasern zum Schmelzen gebracht und danach abgesaugt. Die Kosten für einen solchen Eingriff werden von den Krankenkassen bislang nicht übernommen. So musste sich die junge Familie, in deren Mittelpunkt der vierzehn Monate alte Ben steht, auf Ratenzahlungen einlassen. 20 000 Euro müssen in den nächsten Jahren abbezahlt werden. Und das belastet die Familie erheblich. „Aber es gab keine andere Möglichkeit, ich hätte das alles nicht mehr länger ertragen“, sagt Hoheisel, die nahe dran war, eine Depression zu entwickeln.
Es gibt hämische Kommentare
So muss die kleine Familie schauen, wie sie trotz der zusätzlichen Belastung über die Runden kommt. Spendenaufrufe über Facebook und Instagram waren erfolglos. Eine Spendenkasse in einem Sonnenstudio hat für hämische Kommentare gesorgt. Das alles ist eine große Last. Aber die größte ist nach dem Eingriff in einer Spezialklinik in Kempten erst mal weg: die permanenten Schmerzen. Die junge Frau kann wieder lachen, sie schläft durch, kann sich um ihren kleinen Sohn und den Haushalt kümmern. Ganze zehn Liter krankes Fettgewebe wurden bei drei Eingriffen entfernt. Und nach Aussage der Ärzte darf sich die junge Frau dauerhaft über das Ergebnis freuen. „Zu 99 Prozent bleibt das jetzt so.“
Für Tamara Hoheisel ist es völlig unverständlich, dass die Kosten für diesen Eingriff von der Krankenkasse nicht übernommen werden. „Das ist ein Unding“, sagt sie, „schließlich kann ich nichts dafür“. Der Jahresbeginn stand für sie unter dem Zeichen eines Neuanfangs. Ein neues Leben ohne Schmerzen. Die vielen Einstiche und das gerissene Bindegewebe sind zwar nicht schön anzusehen und werden bleiben. Aber das alles ist nicht wichtig. Sie kann sich wieder frei bewegen und ist verletzenden Aussagen von Mitmenschen nicht mehr ausgesetzt. Die haben sie zeitweise dazu gebracht, nichts mehr zu essen. „Aber es hat natürlich nichts gebracht“, sagt Tamara Hoheisel. Es gab auch Ängste, irgendwann gar nicht mehr laufen zu können. Die waren nicht unbegründet. Laut Aussagen der Ärzte schreitet die Erkrankung fort, wenn nichts unternommen wird, mit all ihren Begleiterscheinungen.
Ob von politischer Seite tatsächlich etwas in Gang kommt oder ob es bei der kurz aufgeflammten Diskussion bleibt, bleibt abzuwarten. Bislang wird argumentiert, dass die „wissenschaftliche Erkenntnislage zu gering ist“. Auf Veranlassung des Gemeinsamen Bundesausschusses GBA soll eine Studie über die Wirksamkeit der Operation auf den Weg gebracht werden.
Wer weitere Informationen haben möchte, kann sich per Mail an Tamara Hoheisel wenden: