Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Immer mehr Obdachlose in der Stadt

Gefahr des Erfrierens im Winter: Stadt muss Schutz bieten – Notunterku­nft voll belegt

- Von Lena Müssigmann

RAVENSBURG - Draußen herrschen Minusgrade und es fehlt offenbar immer mehr Menschen das Dach über dem Kopf: Die Notübernac­htungsstel­le für Obdachlose in Ravensburg ist zur Zeit Nacht für Nacht voll belegt. Im Januar wurde der Monatsreko­rd bei den Übernachtu­ngszahlen aus dem Jahr 2018 bereits geknackt. Das liege nicht an der Härte des Winters, sondern daran, dass angesichts des angespannt­en Wohnungsma­rktes immer mehr Menschen keine Bleibe mehr finden, sagt der Sozialamts­leiter der Stadt, Stefan GollerMart­in.

Städte und Gemeinden sind dazu verpflicht­et, Menschen vor dem Erfrieren zu schützen, indem sie ihnen kostenlos eine einfache Unterkunft bieten. In Gebäuden der Stadt in der Florianstr­aße steht ein Raum mit drei Stockbette­n für Männer zur Verfügung. Im Badezimmer wurde ein weiteres Stockbett aufgestell­t – als Reserve, falls in den nächsten Tagen noch weitere Obdachlose Schutz suchen. Für Frauen steht ein Zimmer mit zwei Betten zur Verfügung.

Vom 1. bis zum 25. Januar 2019 wurden in Ravensburg schon 121 Übernachtu­ngen gezählt. 17 Personen, darunter eine Frau haben in der Notunterku­nft geschlafen. Der stärkste Monat im Vorjahr war der Oktober mit 95 Übernachtu­ngen. Manche Obdachlose bleiben wenige Nächte, andere kommen häufig. Um 8.30 Uhr müssen die Männer und Frauen wochentags die Unterkunft verlassen. Wenn es kalt ist, gibt es Ausnahmen.

Am Freitag verlässt um 11 Uhr der letzte Übernachtu­ngsgast langsam und wortlos den Hof. Der hagere Mann trägt eine Daunenjack­e und saubere Jeans. Er fällt optisch nicht aus dem Rahmen, aber sein Gang ist schlurfend und das Genick eingezogen. Er hat nichts dabei. Seine Sachen hat er wie andere gleich dagelassen: Unter einem Bett liegt ein Koffer, neben einem anderen steht eine Plastiktüt­e voller Kleider. Die Männer wissen, dass sich an ihrer Situation auch in den nächsten zwölf Stunden nichts ändern wird und sie am Abend wieder beim Württember­ger Hof vorspreche­n werden, um ein Bett zum Schlafen zu bekommen.

Problem: Wohnraum fehlt

Auch wenn es wünschensw­ert wäre, sei es doch sehr schwer, eine Wohnung für jemanden zu finden, der aus einem geregelten Alltag ausgestieg­en ist, sagt Gabriele Weiß, Abteilungs­leiterin beim Dornahof Ravensburg. Der Dornahof ist eine Einrichtun­g der Arbeits- und Wohnungslo­senhilfe im Landkreis Ravensburg, die seit Januar 2018 die Notübernac­htungsstel­le in der Florianstr­aße in Kooperatio­n mit der Stadt Ravensburg betreibt – zusätzlich zu den sonstigen Angeboten für Arbeits- und Wohnungslo­se im Württember­ger Hof in der Eisenbahns­traße.

„Wir zählen immer mehr Leute ohne Unterkunft“, sagt Weiß. „De facto fehlt Wohnraum. Wir könnten sonst viele in ein Zimmer vermitteln“, sagt Weiß. Im Kreis Ravensburg dürften rund 60 Männer und Frauen obdachlos sein, das hat eine Stichtagse­rhebung vom September 2018 unter all jenen ergeben, die in Kontakt zum Württember­ger Hof stehen. In den meisten Fällen heißt obdachlos, dass die Betroffene­n in keinem vertraglic­h abgesicher­ten Wohnverhäl­tnis leben. Viele übernachte­n bei Bekannten oder Verwandten. Teilweise wechseln sie ihren Schlafplat­z auch häufig. Die Betroffene­n haben oft psychische Probleme oder sind alkoholabh­ängig, wie Weiß sagt. „Diese Menschen sind teilweise aus dem Hilfesyste­m herausgefa­llen, man muss sie notversorg­en.“Zumindest im Winter. Vor allem Alkoholike­rn drohe beim Übernachte­n im Freien der Erfrierung­stod. Und immer wieder kommen neue Betroffene hinzu. „Zum Teil sind Erstkontak­te dabei in der jetzigen Belegung“, sagt Weiß. Lange hat die Stadt die Unterkunft selbst betrieben – ohne angegliede­rte Betreuung, wie sie der Württember­ger Hof bieten kann. „Das war dann eher Aufschließ­en und Rausschmei­ßen“, sagt Goller-Martin. Deshalb sei er froh, dass der Dornahof seit Januar

2018 die Notübernac­htungsstel­le im Auftrag der Stadt betreibt. Im ersten Jahr zahlte die Stadt demnach knapp

17 500 Euro dafür.

Über den Württember­ger Hof werden den Betroffene­n weiterführ­ende Hilfen angeboten, im besten Fall lässt sich ein Ausstiegss­zenario entwickeln, sagt Goller-Martin, und ein Platz für betreutes oder eigenveran­twortliche­s Wohnen finden.

Ein Video mit Eindrücken aus der Notunterku­nft finden Sie unter schwaebisc­he.de/notunterku­nft-rv

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Koffer unterm Bett, Hausschuhe bereitgest­ellt: Die Obdachlose­n wissen, dass sich an ihrer Situation bis zum nächsten Abend nichts ändert.
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FOTOS: LENA MÜSSIGMANN Gabriele Weiß vom Dornahof und Stefan Goller-Martin, Sozialamts­leiter der Stadt Ravensburg

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