Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Stein und Wein vereint
Der Mont Ventoux im Süden Frankreichs hält Wacht über ein Epizentrum der Genüsse
Mons ventosos, der vom Wind Umbrauste. In majestätischer Erhabenheit beherrscht er die Vaucluse. Schon die Kelten haben das imposante, 1912 Meter hohe kegelförmige Kalkstein-Massiv in der Provence, dem bis heute etwas Mystisches anhaftet, als heiligen Berg verehrt. Der tosende Mistral fegt die Wolken von dem einer Mondlandschaft gleichenden Gipfel, eine atemraubende Sicht reicht über die Vaucluse und die Dauphine-Alpen bis zu den höchsten Erhebungen der zentralen Alpen und der Pyrenäen, ebenso wie bis ans Mittelmeer. Die Tour-de-FranceEtappe auf den Mont Ventoux war die letzte im Leben des Mitfavoriten Tom Simpson. Das für ihn errichtete Denkmal wenige hundert Meter vor der Bergankunft legt hiervon mahnendes Zeugnis ab. Der Gigant aus Stein hat auch seine widerborstige Seite, gnadenloser als der Galibier und der Tourmalet zusammen…
Terroir der Sinne
Doch das Land des Mont Ventoux ist vor allem das Land der Sinne. An seinem Fuße säumen Erdbeer-, Kirschund Spargelfelder die malerischen, im Frühjahr ins Lila des Lavendel getauchten Pfade der Vaucluse, Olivenhaine strahlen in silbrig-grünem Glanz. Der Neo-Impressionist Georg Alexander Morawetz (1923 – 1964), der im nahen Gigondas lebte, hat die flirrende Hitze, das Licht des Südens, pittoreske Gehöfte und vom Mistral verstrubbelte Platanen, Zypressen und Mandelbäume eingefangen. Von November bis März werden die hier Rabasse genannten schwarzen Trüffel in Flecken wie Richerenches ebenso kostenträchtig wie diskret gegen bare Münze – respektive Scheine – eingetauscht.
Der Berg ist auch Hüter der Rebgärten und des Terroirs der allgegenKlöppelspitzen wärtigen Steine. Scheinbare Gegensätze werden zu fruchtbarer Allianz vereint. Wie Stein und Flöte in Hans Bemmanns Märchenroman zauberhaft zusammengeführt werden, finden sich hier Stein und Wein von der Natur kongenial vermählt.
Nur wenige Kilometer westlich des „Géant“trifft der Weinfreund auf das paradiesische Bergmassiv der Dentelles de Montmirail, geologisch ein Ausläufer des Mont Ventoux. Dentelles steht für „Spitzen“oder „Zähnchen“und spiegelt die bizarre, zerklüftete Form der bis zu 730 Meter hohen Kalksteinfelsen wider. Mons mirabilis bedeutet „erstaunlicher Berg“. Die Dentelles sind nicht nur ein Elysium für Felskletterer. Stein dient als Wärmespeicher, der Rebstock nimmt über das Wasser dessen Mineralstoffe auf, die seine Sensorik prägen. Felskämme schützen vor einem Übermaß an Mistral. An den Hängen dieser filigranen gedeihen die großartigen Gigondas Weine der Domaine
Brusset. Das Weingut wurde im Jahr 1947 von André Brusset gegründet und besaß damals fünf Hektar Rebflächen im wenige Kilometer entfernten Cairanne. Unter seinem Sohn und heutigen Senior-Chef Daniel Brusset hat das Gut einen kometenhaften Aufstieg genommen und nennt mittlerweile, in dritter Generation von dessen Sohn Laurent Brusset maßgeblich bestimmt, 90 Hektar Rebfläche sein eigen. Neben Zukäufen in Cairanne und Rasteau konnten vor allem exponierte Terrassenlagen in den Dentelles erworben werden. Die führenden Gewächse der Appellation Gigondas sind Les Secrets de
Montmirail aus Grenache und Syrah bei einer freiwilligen Ertragsbeschränkung auf nur 20 Hektoliter pro Hektar, Les Hauts de Montmirail
(Grenache, Syrah, Mourvèdre, 25 hl/ ha), beide direkt unterhalb des
Kamms der Dentelles angebaut und Tradition le Grand Montmirail
(Grenache, Syrah, Mourvèdre, Cinsault, 30 hl/ha) aus südlich ausgerichteter Terrassenlage.
Wo die Natur nicht von alleine auf die Sprünge kommt, muss es gestattet sein, dass der Mensch sie erfindet. Nach dem originären Modell der Dentelles haben die Brussets ihre Weinberge in Cairanne terrassiert und damit den Schutz vor der Erosion optimiert. Mit der Huldigung an den 1999 verstorbenen Doyen, dem Hommage à André Brusset aus alten Grenache und Mourvèdre Reben (25 hl/ha) aus südlicher Terrassenlage in Cairanne schicken Daniel und Laurent Brusset einen grandiosen cru Wein ins Rennen, dem es an nichts mangelt, und für den sich die internationalen Degustationsnotizen – wie auch für die Gigondas Gewächse der Domaine – mit höchsten Notierungen (96/100 Punkte) nicht geizig zeigen.
Brusset-Weine sind von einem unverwechselbaren „Château-Stil“geprägt, für den eine tiefe Beerenfrucht (allen voran Brombeere und Heidelbeere), Töne von Oliven und Feigen, häufig ein Hauch Rosmarin und die Würze der Garrigue, zuweilen Töne nach Schokolade, Trüffel und eine Spur Geräuchertes verantwortlich zeichnen. Kraft und Eleganz stehen in bewundernswert ausgewogener Balance.
Die Spitzenweine des Hauses werden nur teilweise in neuen Eichenbarriques ausgebaut, was ihnen eine zarte, niemals dominante, die Eigenschaften der Traube und des Terroirs überdeckende Holznote verleiht. Aber auch die beiden Cairanne Weißweine L’Esprit de Papet und Les Travers aus Roussanne, Viognier, Clairette und Grenache blanc, sind mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Sie alle gehören mit ambitioniert fairen Preisen jedes Jahr zum Besten, was in den Appellationen Gigondas, Cairanne und Rasteau (La Bastide) auf die Flasche gefüllt wird.
Steine im Namen Domaine Les Cailloux
Die von Vater André und Sohn Fabrice Brunel trägt die Steine gar im Namen. Hier, im Anbaugebiet des Châteuneuf du
Pâpe, sind es die großen Kieselsteine, die auf rotem, mit Sand vermischtem Lehm gebettet sind. Sie ● speichern die brütende Hitze und geben sie in den Serie Nächten an die Rebstöcke ab, die für die Rotweine Grenache-, Mourvèdre-, Syrahund Cinsault-Trauben tragen, für die weißen Roussanne, Grenache Blanc und Clairette. Es wundert nicht, dass der Familienbetrieb, der auf Rummel und jegliches Trara gerne verzichtet, seit Jahrzehnten mit einer Handvoll anderer zusammen die besten Weine der Appellation abliefert. Nichts wird dem Zufall überlassen. Beim roten Châteauneuf wird die vielerorts gerne sättigend wirkende, säurearme Grenache (70 Prozent) zu Teilen nicht entrappt, was ihr eine würzigerfrischende Komponente verleiht. Und sie kommt nicht ins kleine Holz. Die Beigabe von Mourvèdre (17 Prozent) erhöht den Aromenreichtum und bringt, zusammen mit der Syrah (10 Prozent) – beide im Eichenbarrique ausgebaut – und einer Spur Carignan (3 Prozent) das notwendige Quantum an Säure ein. Ein großer, lagerfähiger Klassiker mit viel Authentizität, intensivem Beerenduft (Brombeere, Waldbeeren, schwarze Kirsche), der Würze provencalischer Kräuter, Anklängen an Lakritze und Tabak und einer grundsoliden Tanninstruktur, der ebenso noble Anmut wie subtil gebändigte Intensität und Reichtum ausstrahlt. Er hat es verdient, beim Weinfreund einen Stein im Brett zu haben. Den Einsatz des etwas größeren Budgets lohnt die nur in besten Jahren vinifizierte
Cuvée Centenaire, die all die oben genannten Attribute in Perfektion verkörpert. Ein himmlischer Wein von 125 Jahre alten Grenache (85 Prozent)und Mourvèdre-Reben (15 Prozent). Magie pur, im Jahrgang 2016 vom Magazin Wine Advocate mit der seltenen Höchstnote von 100 Punkten bewertet. Mit imposantem Nerv und Rasse wartet der weiße Châteauneuf aus Roussanne (80 Prozent) und Grenache blanc (20 Prozent) auf, in 2017 nur im Beton und nicht im neuen Holz ausgebaut. Hervorragende Weine fürs kleine Geld sind der rote Sommelongue (Côtes du Rhône Einzellage), der rote EstOuest und der weiße Bécassonne.
Die Suche nach der durch kein Hinweisschild ausgewiesenen, einige Kilometer südlich von Châteauneuf unmittelbar an der Rhône gelegenen Domaine ist jede Anstrengung wert.
In dieser privilegierten Gegend hat die Natur nicht Vieles falsch gemacht. Der Mensch zieht mit größtmöglichem Respekt und Pflichtgefühl seinen Nutzen hieraus – im (W)Einklang mit Mutter Erde. Santé!