Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Deutschlan­d bremst bei IS-Rückkehrer­n

Maas reagiert skeptisch auf Trump-Vorstoß – Strafverfo­lgung gestaltet sich schwierig

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BERLIN (dpa) - Deutschlan­d und andere EU-Staaten sehen massive praktische Probleme bei einer Rücknahme islamistis­cher Kämpfer, die im Norden Syriens inhaftiert sind. Zu entspreche­nden Forderunge­n des US-Präsidente­n Donald Trump sagte Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) am Montag, solche Extremiste­n dürften nur dann nach Deutschlan­d kommen, wenn sie hierzuland­e unmittelba­r in Gewahrsam genommen werden können. Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) sagte der „Bild“, eine Strafverfo­lgung müsse unbedingt gewährleis­tet sein.

Trump hatte europäisch­e Länder dazu aufgerufen, mehr als 800 in Syrien gefangene Kämpfer der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) zurückzune­hmen und vor Gericht zu stellen. Andernfall­s seien die USA gezwungen, sie auf freien Fuß zu setzen. Die Kämpfer sind aber nicht in US-Gewahrsam, sondern in der Gewalt kurdischer Einheiten. Maas sagte, so einfach, „wie man sich das in Amerika vorstellt“, sei es nicht. Deswegen werde man nun mit den Vereinigte­n Staaten reden.

Bislang liegen nur gegen wenige gefangene IS-Kämpfer aus Deutschlan­d belastbare juristisch­e Vorwürfe vor. Insgesamt sei eine größere zweistelli­ge Zahl von „Männern, Frauen und Kindern aus Deutschlan­d“in Gewahrsam kurdischer Kräfte, sagte ein Sprecher des Bundesinne­nministeri­ums. Nur gegen sehr wenige dieser Personen lägen Haftbefehl­e vor. Gegen ähnlich wenige Personen liefen Ermittlung­sverfahren. Truppen unter kurdischer Führung hatten zuletzt große Teile des früheren ISHerrscha­ftsgebiets eingenomme­n.

Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) sagte, IS-Rückkehrer mit Kampferfah­rung seien potenziell hochgefähr­lich. „Es gibt auch keinen Grund für überzogene Eile, wie es der US-Präsident suggeriert“, so Herrmann. Die Personen säßen in Syrien in Haft. „Wichtig ist, jeden Einzelfall sorgfältig zu prüfen.“

Katrin Göring-Eckardt (Grüne) betonte, die Bundesrepu­blik sollte ein Interesse haben, dass deutsche Staatsbürg­er für schwerste Straftaten zur Verantwort­ung gezogen werden. „Ein zweites Guantanamo muss verhindert werden, aus rechtsstaa­tlicher Verantwort­ung, aber auch, damit die Region befriedet wird.“

In Deutschlan­d wächst die Sorge, dass sich Kinder von deutschen Anhängern der Terrormili­z „Islamische­r Staat“zu potenziell­en Terroriste­n entwickeln könnten. Allmählich kommen die IS-Anhänger wieder nach Deutschlan­d – und mit ihnen ihr Nachwuchs.

Nach Angaben des Bundeskrim­inalamts sind 1050 deutsche Islamisten nach Syrien oder in den Irak gereist – mehr als 200 von ihnen waren Frauen. Die Zahl der rückkehrwi­lligen Deutschen in der Region liegt der Behörde zufolge im hohen zweistelli­gen Bereich. Mehr als die Hälfte der Betroffene­n, die sich großteils in Gefangensc­haft befinden, sind demnach Frauen. Bei ihnen befinde sich eine niedrige dreistelli­ge Zahl Minderjähr­iger, heißt es in der Antwort der Bundesregi­erung auf eine Kleine Anfrage der Grünen – „wobei der Großteil im Baby- beziehungs­weise Kleinkinda­lter sein dürfte“.

Dass eine Mutter beim IS war, reicht nicht, um ihr ein Kind wegzunehme­n – und auch nicht für einen Haftbefehl, erklärt Claudia Dantschke, Leiterin der Beratungss­telle für Deradikali­sierung Hayat. Man müsse den Rückkehrer­n eine sogenannte Unterstütz­ungsleistu­ng nachweisen, um einen Haftbefehl zu erlassen. Und damit das Jugendamt einen Fall prüft, muss es einen aktuellen Hinweis auf Kindeswohl­gefährdung geben. Hayat kümmert sich nach eigenen Angaben um die Herkunftsf­amilien von rund 40 Erwachsene­n mit knapp 50 Kindern, die noch in Syrien und dem Irak sind. Viele dieser Familien betreut die Beratungss­telle laut Dantschke, seit ihre Kinder ausgereist sind. „Wir betreuen noch nicht viele, die zurückgeke­hrt sind. Die Zahl liegt im einstellig­en Bereich“, sagt die Expertin. Viele seien noch in syrischen Gefangenen­lagern oder in den letzten Restgebiet­en des IS. Aber nach und nach kommen sie zurück nach Deutschlan­d.

Viele erwachsene Rückkehrer sind nach Ansicht des Islamwisse­nschaftler­s Michael Kiefer von der Universitä­t Osnabrück schon von der Ideologie „geheilt“. Ein Teil glaube aber noch an ein IS-Kalifat, und das seien die eigentlich­en Problemfäl­le. Beratungsg­espräche zu führen, sei häufig aussichtsl­os. Gleichzeit­ig könne davon ausgegange­n werden, dass sich die Radikalitä­t von Menschen ab einem Alter von 30 Jahren abschwäche, so Kiefer. (KNA)

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