Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Zweifel an Ausbauzielen für Glasfasernetz
Innenminister verspricht schnelles Internet für alle bis 2025 – Förderung vereinfacht
STUTTGART (tja) - Bis 2025 soll jeder Haushalt in Baden-Württemberg sehr schnelles Internet nutzen. Ein Gigabit pro Sekunde hat Innenminister Thomas Strobl (CDU) den Bürgern versprochen. Um das Ziel zu erreichen, hat er neue Förderrichtlinien erarbeiten lassen und Genehmigungsverfahren vereinfacht. Doch Praktiker zweifeln, ob das ausreicht, um das Ziel zu erreichen. Bislang verfügen etwa in der Region weniger als zwei Prozent aller Haushalte über entsprechende Anschlüsse ans Glasfasernetz.
„Grundsätzlich geht das Land in eine gute Richtung. Aber das Ziel ist so eher nicht umsetzbar, es gibt zu viele Hindernisse – gerade bei uns im ländlichen Raum“, sagt Oliver Spieß, Chef des Zweckverbands Breitbandausbau im Landkreis Ravensburg. „Wir haben hier seit Jahren den Eindruck, dass das platte Land von Stuttgart aus einfach nicht im Fokus steht.“
Probleme bereitet außerdem die EU-Regel, nach der nur dort bezuschusst werden darf, wo Bürger mit weniger als 30 Mbit/s surfen können. Arne Zwick, Vorsitzender der Breitbandversorgungsgesellschaft Sigmaringen: „Wir müssen für jedes Haus nachweisen, dass wir Glasfaser fördern dürfen. Das behindert den Ausbau erheblich. Da würde ich mir schon wünschen, dass unsere Politiker in Brüssel entschiedener auftreten, damit sich das ändert.“
STUTTGART - Schnelles Internet für alle, bis 2025: das hat Innenminister Thomas Strobl (CDU) versprochen. Noch klagen Bürgermeister über lange Genehmigungsverfahren für alle, die Fördergelder vom Land wollen. Strobl verspricht Abhilfe. Was sich ändert und was das bringt.
Wie viele Haushalte und Unternehmen haben heute schon das ganz schnelle Internet?
Stand heute haben über 83 Prozent aller Haushalte einen Internetanschluss mit mindestens 50 Megabit pro Sekunde (Mbit/s), auf dem Land nur 56 Prozent. Das sind zwölf Prozent mehr als 2015. Allerdings ist die spannende Frage, welche Technologie sie nutzen. Sowohl mit Kupferkabeln als auch über das TV-Kabel sowie über Glasfaser sind hohe Geschwindigkeiten möglich. GigabitÜbertragungsraten – also Raten von mindestens 1000 Mbit/s – erreichen aber nur Glasfaserkabel, das TV-Kabelnetz muss dazu ertüchtigt werden. Für das Innenministerium hat der Ausbau des Glasfaser-Netzes Priorität. Denn es ist für unbegrenzte Datengeschwindigkeiten geeignet.
Wo liegen Probleme beim Glasfaserausbau?
Die letzten Meter ins Haus werden heute oft mit Kupferkabeln überbrückt. Deswegen muss das Land den Ausbau der „Fibre-to-the-Home“-Direktanschlüsse (FTTH) fördern. Bislang floss das Geld vor allem in die „Backbones“, also die Hauptstränge des Netzes. Derzeit haben kaum Privatleute solche Zugänge: im Land sind es zwei Prozent aller Haushalte. In der Region erreicht der Landkreis Biberach 2,6 Prozent, der Landkreis Ravensburg
0,2 Prozent und der Bodenseekreis
0,6 Prozent. Im Landkreis Sigmaringen hat Stand 2018 kein einziger Haushalt einen Glasfaseranschluss. „Die Zahlen sind für Baden-Württemberg ein Armutszeugnis“, sagt Benjamin Strasser, Bundestagsabgeordneter der FDP. Für private Unternehmen lohnt es sich oft nicht, abgelegene Orte mit wenigen Kunden anzuschließen. Kommunen können selbst Kabel ziehen, allerdings kosten vor allem die Tiefbauarbeiten sehr viel Geld, man rechnet mit rund
100 Euro pro Meter. Deswegen benötigen Gemeinden Fördergeld. Hier kommt das EU-Wettbewerbsrecht ins Spiel. Land und Bund dürfen erst in folgendem Fall Geld geben: Wenn Bürger nicht mehr als 30 Mbit/s zur Verfügung haben und kein privater Anbieter Leitungen legen will. Seit
2016 hat Strobls Haus knapp 360 Millionen Euro in den Ausbau gesteckt. Doch selbst, wenn das Land wie geplant weiter 100 Millionen pro Jahr investiert, fehlen 1,7 Milliarden Euro, um das Ziel bis 2025 zu erreichen.
Woran trägt das Land Mitschuld?
„Wir müssen leider konstatieren, dass die Dauer der Antragsbearbeitung im Innenministerium gegenüber den Vorjahren deutlich zugenommen hat. Der Bürokratieaufwand ist gewachsen“, sagt Alexis von Komorowski vom Landkreistag. Das Innenministerium verweist darauf, dass die Anträge oft falsch aus- gefüllt seien, was die Bearbeitung verzögere. Außerdem mache der Tiefbau erheblich größere Schwierigkeiten: Die Unternehmen sind mit Aufträgen ausgelastet. Viele Bürgermeister ärgern sich über die Rolle privater Anbieter, vor allem der Telekom. Sie warteten ab, bis Städte selbst teure Pläne für Glasfaser-Leitungen gemacht haben – um dann doch selbst aktiv zu werden.
FDP-Mann Strasser sagt: „Der Bund lässt seinen Einfluss als Anteilseigner bei der Deutschen Telekom verkümmern. Besser wäre es, die Staatsbeteiligung an der Telekom aufzugeben und den Verkaufserlös komplett in den Ausbau von Glasfaserinfrastrukturen bis zum Endverbraucher zu investieren.“In dieselbe Richtung argumentiert der Gemeindetag, der vor allem kleine Kommunen vertritt. Bund und Land täten zu wenig, um jene Gemeinden zu unterstützen, die den GlasfaserAusbau organisierten. „Die Förderprogramme sind zu stark auf die Interessen der privaten Telekommunikationsanbieter ausgerichtet“, sagt eine Sprecherin.
Was will Strobl tun, um den Ausbau voranzutreiben?
Er hat das Fördersystem zum 1. Februar neu gestaltet. Wer Geld will, beantragt dieses nun zuerst bei der Bundesregierung. Genehmigt diese eine Förderung, zahlt in aller Regel auch das Land. Damit soll das Antragsverfahren einfacher und schneller werden. Der Bund zahlt
50Prozent eines Breitband-Projektes, das Land übernimmt nun 40 statt bisher 20 Prozent. Außerdem hat das Ministerium nach Angaben eines Sprechers die Formulare vereinfacht. Firmen müssen nicht mehr gesondert nachweisen, dass sie Glasfaser benötigen, wenn sie Fördergeld wollen. Pro Antrag können 1,5 Millionen Euro fließen, das ist doppelt so viel wie vorher. Damit müssen Kommunen pro Projekt weniger einzelne Anträge einreichen. Wenn sich der Start eines Projektes verzögert, reicht nun eine formlose Mitteilung ans Ministerium. Bisher musste ein gesonderter Verlängerungsantrag gestellt werden. Im Laufe des Jahres
2019 sollen die Anträge via Internet gestellt werden können, verspricht Strobl. Wo kein Glasfaserkabel in erreichbarer Nähe liegt, will Strobl auf Richtfunk und vor allem auf das Kabelnetz setzen.
Wird das etwas bringen?
Via TV-Kabelnetz lassen sich tatsächlich Gigabit-Geschwindigkeiten erreichen. Unitymedia plant erste Angebote in zwei Großstädten des Landes. Doch ob das flächendeckend da helfen kann, wo keine Glasfasern liegen, bezweifeln Experten. So sagt Achim Sawall, Redakteur beim Technologieportal golem.de: „Es sind damit schon sehr hohe Datenraten möglich. Das Problem ist aber: Mehrere Haushalte hängen an einem Knoten. Dessen Kapazität sinkt, je mehr Nutzer sich die Bandbreite teilen.“Das bedeute weitere Ausbaumaßnahmen, um die Kabelknoten näher an den Endkunden zu bringen. „Die Kabelnetzbetreiber bauen kaum Netze aus. Ich würde nicht erwarten, dass sie in großem Umfang neue Gemeinden erschließen.“
Diese Kritik teilt Arne Zwick (CDU), Bürgermeister von Meßkirch und Chef der Breitbandversorgungsgesellschaft Sigmaringen: „In kleinen Gemeinden investiert niemand in Kabelnetz oder Satellit.“Mit der neuen Förderrichtlinie sind Vertreter der Landkreise und Gemeinden grundsätzlich zufrieden. „Das Land geht in eine gute Richtung“, heißt es vielerorts.
Allerdings bezweifeln viele, dass sich Gigabit für alle bis 2025 realisieren lässt. „Das ist eher nicht umsetzbar. Es gibt zu viele Aufgaben und zu viele Hindernisse“, glaubt Oliver Spieß (Freie Wähler), Vorsitzender des Zweckverbands Breitband im Landkreis Ravensburg.