Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Feuer in der Ecke
Hoeneß steigert sich im Fall Neuer in die Rolle des Wut-Bayers – DFB kontert eiskalt
MÜNCHEN - Um sich die Sinnhaftigkeit und Dringlichkeit der neuesten Episode dieser urdeutschesten aller Fußballdebatten zu vergegenwärtigen, eine kurze Chronologie des Geschehenen:
Bundestrainer Joachim Löw setzt Marc-André ter Stegen, den aus Mönchengladbach stammenden „Welt-Weltklasse-Torhüter“(O-Ton Bayerntrainer Niko Kovac) in Diensten des FC Barcelona, im Jahr 2019 bisher nur eine Halbzeit lang in einem Freundschaftsspiel gegen Serbien ein. Löw betont mehrmals, dass auch ter Stegen zu seinen Einsätzen kommen werde.
In den EM-Qualifikationsspielen gegen die Niederlande (2:4) und in Nordirland (2:0) spielt jeweils Manuel Neuer, 33-jähriger aus Gelsenkirchen-Buer stammender „sensationell spielender“Weltklassetorhüter (wieder Kovac) in Diensten des FC Bayern und Kapitän sowohl des Rekordmeisters wie der DFB-Elf. Neuer überzeugt beide Male.
Ter Stegen ist enttäuscht, dass er nicht spielen durfte, bezeichnet die Länderspiele als „harten Schlag“.
Neuer zeigt beim 1:1 in Leipzig eine Weltweltweltklasse-Leistung (mindestens) und zeigt sich – mit Verweis auf den Mannschaftsgedanken – enttäuscht von ter Stegens Enttäuschung.
Ter Stegen ist enttäuscht, dass Neuer seine Enttäuschung infrage stellt und hält mit einer sensationellen Leistung (mindestens) beim 0:0 in Dortmund seinen Kasten sauber. In spanischen Zeitungen wird er als „echte deutsche Mauer“gefeiert.
Zwischen ter Stegens Enttäuschung und seiner sensationellen Leistung meldet sich Löw in der „Bild“zu Wort und stellt fest, dass er ter Stegens Enttäuschung verstehen könne, aber nur einer spielen könne. „Manu hat bei uns zuletzt sehr gute Leistungen gezeigt. Er ist unser Kapitän“, erinnert der Bundestrainer.
Neuer erhält beim 3:0 (1:0) der Münchner zum Champions-LeagueAuftakt gegen Roter Stern Belgrad (Tore übrigens: Kingsley Coman, Robert Lewandowski, Thomas Müller) nicht allzu viele Gelegenheiten, seine Mauerqualitäten zu offenbaren. Er erinnert aber daran, wieso er einst „Manu, der Libero“getauft wurde und hält seinen Kasten durch zwei technisch feine fußballerische Glanztaten (einmal selbst verschuldet durch einen vorherigen Stellungsfehler) sauber.
Und damit: Auftritt Uli Hoeneß. „Ich finde das einen Witz“, setzte er nach seinem vorletzten ChampionsLeague-Heimspiel als Präsident gleich den Ton: „Die westdeutsche Presse redet so, als hätte ter Stegen schon 17 Weltmeisterschaften gewonnen. Und von der süddeutschen Presse sehe ich gar keine Unterstützung für Manuel.“Das seit der legendären Pressebeschimpfungskonferenz 2018 bekannte Grundgesetz vom Tegernsee (Artikel 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar, außer er hat einen Scheißdreck, Verzeihung, einen Mist zusammengespielt) ergänzte Hoeneß um seine Interpretation der Pressefreiheit.
Ter Stegen, der ein „sehr guter Torhüter sei“, habe „überhaupt keinen Anspruch zu spielen“. Neuer sei „viel besser“und „viel erfahrener“: „Es gibt keine Diskussion, dass nur Neuer die Nummer 1 ist. Er wird immer der Beste sein.“Der Versuch, seinem Spieler in einer Debatte beizuspringen, die ohne seine Reaktion nie diese Dimension erreicht hätte. Deutschland, Land der Dichter und Keeper, war selten einig Torhüterland. Doch Neuer war – wie Thomas Müller anmerkte – „schon immer der Torwart in meinen Mannschaften“. Was auch für den Bundestrainer gilt.
Mit seinen nächsten Sätzen machte Wut-Bayer Hoeneß die Angelegenheit endgültig zur Staatsaffäre. „Ich hätte mir vom DFB auch mehr Unterstützung erwartet. Wir kriegen ständig vom DFB Theater, zuerst die unmögliche Ausbootung der drei Spieler (Boateng, Müller und Hummels, die Red.) und jetzt wieder mit Manuel Neuer.“Schließlich: „Wir werden es uns in Zukunft nicht mehr gefallen lassen, dass unsere Spieler beschädigt werden. Wir werden den Leuten schon ein bisschen Feuer geben.“
Anderntags legte Hoeneß noch mal nach: „Von den handelnden Personen hätte ich schon erwartet, dass man den Herrn ter Stegen mal in die Ecke stellt und ihm mal klar sagt, dass es so nicht geht.“Und zu guter Letzt: „Da werden sich manche noch wundern. Wenn das so weitergeht, spielt Neuer in fünf Jahren noch – und dann hat der ter Stegen wahrscheinlich schon einen grauen Bart.“
Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff konterte eiskalt: „Überrascht von den Vorwürfen“sei er, „Verständnis“dafür habe er nicht. Weil: „Der Bundestrainer hat schon Ende letzten Jahres gesagt, dass er bis zur EM auf Manu baut, wenn nichts Außergewöhnliches passiert.“
Und damit: alles auf Anfang.