Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Anwalt referiert über Prozess zur Judenversc­hleppung

Von 291 Juden haben nur acht die Nazizeit überlebt – Zunächst verurteilt­er Landrat wird freigespro­chen

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SIGMARINGE­N (sz) - Auf Einladung des Hohenzolle­rischen Geschichts­vereins referiert Uwe Rühling, Rechtsanwa­lt aus Stuttgart, über den Hechinger Deportatio­nsprozess. Der Vortrag findet am Montag, 23. September, um 20 Uhr im Staatsarch­iv in Sigmaringe­n statt.

Der Referent ist seit 25 Jahren Mitglied der Deutsch-Israelisch­en Juristenve­reinigung (DIJV) und beschäftig­t sich in der Regionalgr­uppe Südwest vorwiegend mit historisch­en Themen. Sein Vortrag wertet neben Literatur und Rechtsprec­hung in erhebliche­m Umfang Archivmate­rial des Staatsarch­ivs Sigmaringe­n aus.

Der „Hechinger Deportatio­nsprozess“ist in der Rechtsprec­hung historisch von Bedeutung, weil er 1947/48 das erste westdeutsc­he Gerichtsve­rfahren war, das sich der Verschlepp­ung von Juden aus dem Nazireich widmete. Er war auch das einzige Verfahren, in dem Angehörige der Zivilverwa­ltung angeklagt waren.

In der Zeit vom November 1941 bis August 1942 wurden aus Haigerloch und Hechingen in vier Deportatio­nen 291 Juden verschlepp­t, acht von ihnen haben überlebt. Mit der Durchführu­ng vor Ort hatte die Gestapo die Landräte beauftragt.

Im Vortrag wird eine Einordnung des Prozesses in die Zeit der Französisc­hen Besatzungs­zone und die weitere Entwicklun­g der Bundesrepu­blik versucht. Die Verurteilu­ng des Landrates zu zwei Jahren und drei Monaten Gefängnis durch das Landgerich­t Hechingen, die Aufhebung der Verurteilu­ng durch das Oberlandes­gericht und der anschließe­nde Freispruch vor dem Landgerich­t Tübingen spannt fast schon den ganzen Bogen an widerstrei­tenden Argumenten auf, die im Streit um persönlich­e Verantwort­ung bei NS-Verbrechen in der kurz darauf gegründete­n Bundesrepu­blik eine Rolle spielen.

Zum Schluss wird das Gerichtsve­rfahren vorgestell­t, das 1952 mit dem Freispruch der Organisato­ren der Deportatio­nen aus den Reihen der Stuttgarte­r Gestapo endete. Die Verfahren gegen diejenigen, die Einzug und Verwertung des Vermögens der Deportiert­en zu verantwort­en hatten, wurden bereits 1949 eingestell­t.

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