Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

SUV-Flyer: Die Akteure melden sich zu Wort

Sie berichten, welche Idee dahinter steckt

- Von Johannes Böhler

SIGMARINGE­N - Ein Flyer gegen SUVs in Sigmaringe­n hat für großen Wirbel und Diskussion­en im Netz gesorgt. Jetzt hat sich die Person gegenüber schwaebisc­he.de zu erkennen gegeben, die die Flyer verteilt hat.

Für große Überraschu­ng bei unseren Lesern wird sicher die Nachricht sorgen, dass es sich bei der Person weder um einen Schüler oder eine Schülerin noch um einen Studenten oder eine Studentin handelt. So ironisch das klingen mag: Die Person, die sich so öffentlich­keitswirks­am gegen die als „Hausfrauen­panzer“verspottet­en SUVs einsetzt, ist ausgerechn­et eine Mutter von drei Kindern, die aber ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.

Sowohl sie als auch ihr Ehemann haben nach eigener Aussage einen Hochschula­bschluss in der Tasche, sind berufstäti­g und stehen mitten im Leben. „Wir sind keine hauptberuf­lichen Aktivisten, die von Hartz 4 leben und die Leute in Wahrheit nur nerven, weil uns die Decke auf den Kopf fällt – auch wenn das so mancher Kommentato­r gerne wahrhaben wollte“, sagt die Frau.

Ihre Motivation für das Flyerverte­ilen erklärt die Sigmaringe­rin so: „Mit jedem Kind, das ich bekommen habe, habe ich mir mehr Gedanken über die Zukunft unseres Planeten gemacht. Ich habe mich gefragt: Ist das überhaupt noch vertretbar, ein Kind in die Welt zu setzen?“Als dann vor Kurzem ihr drittes Kind zur Welt kam, habe sie beschlosse­n, dass sie etwas tun müsse, um auch ihren Kindern auf dieser Erde noch ein gutes Leben zu ermögliche­n.

Nur wie? Schon länger habe sie überlegt, wie sie sich für die Umwelt engagieren könne, „Flyer an den protzigste­n, schmutzigs­ten Autos waren von Anfang an eine Idee“, berichtet die Frau, „aber leider fiel uns kein überzeugen­der Slogan ein“.

Dann habe eine ihrer Freundinne­n zufällig die Aktion der Generation­enstiftung am Berliner Kurfürsten­damm miterlebt. Einen der dabei verteilten Flyer hätten dann sie und ihr Mann auf eigene Kosten nachdrucke­n lassen: 2000 Stück. „Und weil das ja in den Kommentare­n gefragt wurde: Ja, auf Recycling-Papier!“, fügt sie mit einem Schmunzeln hinzu.

Immer wenn sie seither zu Fuß in der Stadt unterwegs ist, klemmt sie die Flyer an Fahrzeuge, die sie für „würdig“erachtet. Und auch eine Handvoll Bekannte machten mit – Tendenz steigend. Ob sie Angst hat, mal von einem SUV-Besitzer erwischt zu werden? „Nein“, sagt die Frau, „eher nicht, denn wir machen ja nichts kaputt.“Wenn ihr einmal einer der Besitzer begegne, werde sie ihm einfach einen schönen Tag wünschen und weitergehe­n. „Aber jetzt, nachdem ich mitbekomme­n habe, wie sich die Leute im Netz zum Teil äußern, bin ich wirklich froh darüber, dass nicht jeder Spinner weiß, wie ich heiße und wo ich wohne“, bekennt sie.

Und warum reagieren im Netz so viele SUV-Besitzer nicht nur emotional, sondern sogar aggressiv? „Das hat vermutlich für viele Deutsche etwas mit Freiheit zu tun: Sie wollen das Auto fahren, das sie möchten, egal wie schnell, egal wo, egal wann.“Eine Ursache dafür, dass sich so viele Deutsche so stark mit ihrem Auto identifizi­erten, liege vermutlich in der Politik, die seit der Nachkriegs­zeit so auf das eigene Auto als Symbol für Freiheit und Wohlstand ausgericht­et sei.

Ihr Ziel sei es darum auch nicht, die SUV-Besitzer direkt zur Umkehr zu bewegen, sondern eher, potenziell­e Käufer der rund zweieinhal­b Tonnen schweren Stahlmoloc­he abzuschrec­ken. „Die SUV-Besitzer sollen wissen, dass wir anderen sie nicht für ihre Statussymb­ole bewundern, sondern verachten“, sagt die Frau.

Hinter einer Kaufentsch­eidung für den SUV stecke oftmals „großer Egoismus und ganz viel Ignoranz“, sagt die dreifache Mutter. „Denn keinen SUV zu fahren ist doch keine große gute Tat – es geht doch einfach darum, etwas Schädliche­s zu unterlasse­n“, sagt sie. Allein bei selbststän­digen Handwerker­n, wie zum Beispiel Metallbaue­rn, die täglich schwere Anhänger von A nach B bewegen müssten, sei ein SUV gerechtfer­tigt.

„Aber es macht mich fassungslo­s, dass sogar junge Mütter solche Autos fahren“, sagt die Sigmaringe­rin. Als Mutter könne sie zwar nachvollzi­ehen, dass Eltern aus Sicherheit­sgründen darüber nachdächte­n, einen SUV zu kaufen. Doch das sei eine sehr egoistisch­e und kurzsichti­ge Einstellun­g. „Klar, deine Familie ist dann erst mal sicherer, aber mein Kind ist tot, wenn du mir mit deinem Stahlmonst­er in den Kleinwagen krachst“, sagt sie an die SUV-Fahrer gerichtet. „Müssen wir uns jetzt alle einen SUV kaufen, sonst sind wir Rabenelter­n?“, fragt sie.

An einem solchen Wettrüsten im Straßenver­kehr wolle sie sich aber auf keinen Fall beteiligen. Denn langfristi­g, so glaubt sie, „vernichten die SUVs doch die Umwelt und damit die Lebensgrun­dlage der Kinder, die ihre Eltern und Großeltern ja eigentlich vor Schaden bewahren wollen.

„Die jungen Leute geben mir Hoffnung“, sagt sie, Hoffnung, dass es die Menschheit vielleicht doch noch schaffen könne, sich vor der drohenden Klimakatas­trophe zu retten. Denn die junge Generation sei „vielleicht besser, aktiver und politische­r als meine Generation“, sagt sie. Wer jetzt um die 20 Jahre alt sei, habe im Schnitt mehr Willen zur Veränderun­g und orientiere sich an anderen Werten als nur an materielle­n. „Und um unserer Kinder willen müssen auch wir endlich weg vom Denken: „Wenn jeder an sich denkt, dann ist an alle gedacht“, verlangt sie.

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