Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Ronaldo wäre höchstens Kreisliga

Fabian Hambüchen über die Unterschie­de zwischen Turnen und Fußball

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MÜNCHEN - Fabian Hambüchen ist Olympiasie­ger und Weltmeiste­r am Reck, Turn-Ruheständl­er seit Längerem. Und Sympathisa­nt des 1. FC Köln. Was insofern nicht unspannend ist, als er das in München (!) geworden ist – dort, wo die Kölner am Samstag (15.30 Uhr/Sky) um Bundesliga­Punkte spielen. Darüber, über Lionel Messi, Simone Biles und die Rückfallge­fahr angesichts bevorstehe­nder Olympische­r Spiele sprach Florian Kinast mit dem 31-Jährigen.

Herr Hambüchen, es heißt, Ihre Liebe zum 1. FC Köln sei ausgerechn­et in München entstanden?

Das war 2005, rund um die Eröffnung der Allianz Arena. Ich war als frisch gebackener Europameis­ter am Reck Gast im „Sportstudi­o“, das aus der Arena kam, und da fragte mich der Poschmann: „Fabi, von welchem Club bist Du Fan?“Ich war gerade 17, mich hat Fußball ja null interessie­rt, für mich gab es nur Turnen. Bayern wollte ich nicht sagen, aber als gebürtiger Rheinlände­r sagte ich Köln. Die Münchner Zuschauer haben mich zwar ausgebuht, aber zwei Tage später kam schon ein Brief vom Präsidente­n Wolfgang Overath, der mir die Ehrenmitgl­iedschaft anbot.

Das ging ja schnell. Sind Sie jetzt auch oft im Stadion?

Ja, immer wieder, ich genieße die Stimmung im Stadion. Die FC-Hymne von den Höhnern vor dem Spiel, die ganze Atmosphäre, da ist immer Karneval. Macht mega Spaß. Ich habe mich verliebt in das Ambiente.

Was elektrisie­rt Sie mehr, ein Champions-League-Finale oder ein WM-Endkampf am Reck?

Letzteres. Würde ich etwas anderes behaupten, würde ich lügen. Turnen ist mein Leben. Da kommt nichts an dagegen.

Und was ist ästhetisch­er? Ein Dribbling von Lionel Messi oder ein Doppelsalt­o mit Dreifachsc­hraube von Simone Biles?

Auch da schlägt die Turnerin den Fußballer. Klar ist das toll, wenn der Messi von der Mittellini­e alleine aufs Tor läuft. Dennoch, so ein Sprung wie von Simone Biles übertrifft jede noch so grandiose Aktion auf dem Fußballpla­tz. Ich weiß, was das bedeutet, ich habe den Sprung im Training auch geschafft, aber nie so, dass ich ihn auch im Wettkampf gewagt hätte.

Ist so ein Sprung in seiner Schönheit dann Kunst-Turnen im wahrsten Wortsinne?

Teilweise ja. Allerdings muss man bei der Entwicklun­g auch aufpassen, dass es nicht zu viel Zirkus wird. Die Tendenz geht gerade zum immer höher, schneller, weiter. Denken Sie nur an Epke Zonderland, meinen großen Rikeln valen und guten Freund, Olympiasie­ger 2012. Meist zieht er am Reck einfach eine große Flugshow ohne große Abwechslun­g durch. Es sollte nicht um noch einen Salto und noch eine Schraube mehr gehen. Sondern um die Ausführung, die Präsentati­on, die Vielseitig­keit.

Noch mal zum Fußball, wenn Sie sich den Körper etwa von Cristiano Ronaldo ansehen, hätte er physiognom­isch beste Voraussetz­ungen, um ein guter Turner zu werden?

Muskulatur ist ja nicht alles. Geht ja schon damit los, dass er zu groß ist. Was misst der? Einsfünfun­dachtzig?

Einssieben­undachtzig.

Na sehen Sie. Und das Grundprobl­em ist, dass man im Turnen von klein auf die Koordinati­on zwischen den Muslernen muss, den Synapsen, den Nerven. Da hilft auch ein toller Body nichts. Wenn du nicht schon als Kind anfängst, hast du keine Chance. Bei mir würde es im Fußball auch höchstens zur Kreisliga reichen. Bei Ronaldo im Turnen auch.

Der frühere 400-Meter-Europameis­ter Ingo Schultz sagte einmal, jeder Spitzenspo­rtler sei ein Narzisst, der seinen Körper gerne zeigt und es genießt, wenn die Zuschauer ihn dafür bewundern. Ist das so?

Ja, das würde ich so unterschre­iben. Die Eitelkeit gehört dazu. Ich brauchte die Muskeln ja zwingend für meinen Sport, aber wenn du merkst, dass der Körper nicht nur dir, sondern auch anderen gefällt, dann stellt man ihn auch gern zur Schau. Man muss nur aufpassen, nicht zu selbstverl­iebt zu werden. Dass du weißt, dass es auf mehr ankommt, als nur mit deinem Körper bei den Fans zu punkten. Oder bei den Mädels. Was ich furchtbar finde, ist dieser momentane Fitnesswah­n, diese Idealvorst­ellungen, die durch die sozialen Netzwerke geistern, wie man auszusehen hat. Gepostet von Influencer­n auf Instagram, die noch nie irgendetwa­s geleistet haben. Diesen ganzen Mist kann ich nicht mehr sehen.

Sie sehen auch drei Jahre nach Ihrem Karriereen­de noch extrem fit aus, Fußballer hingegen schieben schon drei Monate nach ihrem Rücktritt eine mächtige Plauze vor sich her. Haben Turner ein anderes Körperbewu­sstsein?

Nein, da ist auch jeder anders. Mein Bruder war ja auch Turner, aber als er mit 21 aufhörte, ging er erst einmal auf wie ein Hefekloß – mittlerwei­le hat er die Kilos aber wieder runter. Ich gehe drei-, viermal die Woche pumpen. Für mich ist der Körper ja immer noch mein Kapital, für Fotoshooti­ngs, für Sponsorent­ermine oder für die Pro7-Show „Renn zur Million“. Da muss ich mich ja fit halten. Ich habe aber nicht vor, irgendwann auszusehen wie Hulk.

Wie geht’s am Reck, könnten Sie da nicht noch locker mithalten?

Ich bekomme da noch erstaunlic­h viel auf die Reihe, gerade die Flugbewegu­ngen gehen fast alle noch.

Reizt es Sie da nicht, nicht doch noch einmal anzugreife­n? Für Sommer 2020, Olympia in Tokio?

Tatsächlic­h war das eine Überlegung. Ich bin doch Botschafte­r für die Turn-WM im Oktober in Stuttgart. Im August hatte ich die Ehre, das Modell der Goldmedail­le selbst zu prägen. Dabei hatte ich auch meine Goldmedail­le von der WM 2007, und als ich die beiden so nebeneinan­der hielt, ging innerlich etwas ab in mir. Ich merkte, ich hätte schon Lust, das noch einmal zu erleben.

Und?

Dann habe ich mich mit meinem Vater hingesetzt und überlegt, ob es nicht mit den Qualifikat­ionskriter­ien doch noch eine Möglichkei­t gibt, zu Olympia zu kommen. Ich habe in der Tat mit dem Gedanken gespielt, was wäre wenn. Das Problem ist nur: Würde ich jetzt mein Comeback planen, müsste ich mich bei der Wada wieder anmelden und wäre dann erst einmal ein halbes Jahr gesperrt, bis sie mich komplett für alle internatio­nalen Wettkämpfe zulassen. Dann ist März, April, und dann noch die Kriterien zu erfüllen, ist unmöglich. Darum habe ich dann einen finalen Haken dahinterge­setzt. Das Ding ist jetzt durch.

Wie lange dauerte die Phase, in der Sie ernsthaft ein Comeback erwogen?

Ein paar Wochen schon, bis zuletzt. Ich hatte mir schon oft gedacht: Wer weiß, wenn ich mal wieder einen Schub bekomme und Bock habe, warum nicht. Und wenn du siehst, was du am Reck noch draufhast, und dass da noch was geht, dann reizt das. Das ist wie bei allem im Leben, was man einmal gern gemacht hat. Dass man irgendwann eine große Motivation spürt, das noch mal zu versuchen. Aber dann müsste ich wieder viel disziplini­erter leben, auf die Ernährung achten, auf viel verzichten, wahrschein­lich kämen dann wieder die Fragen, warum ich mir das antue. Es waren nur ein paar Gedankensp­iele. Aber meine Karriere war halt einfach eine geile Zeit.

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