Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Flammendes Abwarten
Jetzt brennt das Olympische Feuer in Japan, und immer mehr Athleten empfinden das Zeitspiel des IOC als skurril
TOKIO (SID/dpa) - Der Wind fegte heftig über den Militärflugplatz Matsushima, doch das Olympische Feuer flackerte ungestört vor sich hin. Die Ankunft der Flamme in Japan täuschte die Art Normalität vor, die IOC-Präsident Thomas Bach und all die Trotzigen brauchen, um weiter an der Austragung der Sommerspiele in Tokio vom 24. Juli bis zum 9. August festzuhalten – auch wenn 200 örtliche Schüler, die ursprünglich eingeladen waren, coronavirushalber nicht teilnehmen durften. Für viele Athleten ist im Symbol der Olympischen Bewegung allerdings längst jeder Hoffnungsschimmer verblasst.
Der Sturm der Entrüstung wird weltweit stärker, analog zur rasanten Ausbreitung des Coronavirus. Doch Bach bleibt dabei: Eine Entscheidung über eine Verlegung oder gar eine Absage der Spiele sei „verfrüht“. Er spielt auf Zeit. „Natürlich denken wir über unterschiedliche Szenarien nach, aber im Gegensatz zu vielen anderen Sportverbänden oder Profiligen sind wir noch viereinhalb Monate von den Spielen entfernt“, sagte der 66-jährige Tauberbischofsheimer der „New York Times“.
Diesen Samstag sind es noch genau 125 Tage bis zur geplanten Eröffnungsfeier, und die Anzahl der IOCKritiker wächst. Selbst unter denen, die Thomas Bach noch zu seinen Getreuen gezählt hatte. Nach Hayley Wickenheiser, Mitglied im Internationalen Olympischen Komitee, fordert jetzt auch die einstige Judoka Kaori Yamaguchi aus dem Vorstand des japanischen Nationalen Olympischen Komitees die Verlegung der Spiele. Denn: „Wer freut sich auf die Spiele, wenn die Menschen auf der ganzen
Welt nicht mal dem normalen Alltag nachgehen können?“
Jonathan Koch, Athletenvertreter im Deutschen Olympischen Sportbund, versucht Verständnis für das IOC und Thomas Bach aufzubringen – was ihm jedoch zunehmend schwerfällt. „Viele Athletinnen und Athleten sind zwiegespalten. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Mein Eindruck ist aber, dass ganz viele diese
Spiele schon innerlich abgehakt haben“, sagte der ehemalige Ruderer bei sportschau.de. Diesen Trend ignoriert das IOC offensichtlich. In einer Telefonkonferenz mit den hohen Herren aus Lausanne „wurde uns sinngemäß erklärt, dass das IOC möchte, dass Tokio als Symbol der überwundenen Krise und das Olympische Feuer als Licht am Ende des Tunnels wahrzunehmen ist“, berichtete Koch:
„Angesichts des Status quo halte ich solche Gedankengänge für skurril.“Die Hängepartie sei für die Athleten weltweit „kaum zumutbar“.
Das bestätigen Sportler wie etwa Turner Andreas Toba. Die Werte des Sports wie Fairness, Teamgeist und Respekt seien bei Spielen im Sommer nicht aufrechtzuerhalten. „Zu groß sind die internationalen Unterschiede, was die Trainingsmöglichkeiten anbelangt“, schrieb Toba bei Instagram und forderte: „Liebes IOC, bitte erlöst die weltweite Sportgemeinschaft vom Druck, alles für den Traum zu geben, auch wenn es in der aktuellen Situation unmöglich ist.“
Thomas Bach lässt sich von solchen emotionalen Aufrufen nicht beeindrucken, Unterstützung aus Deutschland erhält er in dieser Haltung von Thomas Konietzko, dem Präsidenten des Deutschen KanuVerbandes. „Stellen Sie sich vor, was das für ein positives Zeichen für die Welt wäre, wenn es uns gelingt, die Olympischen Spiele als erste Veranstaltung nach dieser weltweiten Krise stattfinden zu lassen“, sagte der Funktionär der Zeitung „Neues Deutschland“. Mit einem Erfolg von Olympia in Japan könne bewiesen werden, „was für eine verbindende Kraft Sport für eine Gesellschaft hat“.
Diesen Erfolg anzustreben, vertraut Thomas Bach seiner Taskforce, in der neben der Weltgesundheitsorganisation WHO auch das Organisationskomitee Tokio 2020 Platz hat. Dessen Präsident Yoshiro Mori nahm am Freitag in der Präfektur Miyagi die Flamme entgegen – in der Hoffnung, „dass sie für viele das Licht der Hoffnung repräsentiert“.
Der Fackellauf durch Japan startet am 26. März in Fukushima, Thomas Bach und seine verbliebenen Mitstreiter werden sich noch länger an diese Hoffnung klammern. Für Athletensprecher Koch das Kernproblem: „Alle geraten dadurch unter den Druck einer Sonderlösung für Training, Qualifikation und Wettkämpfe, obwohl es gerade nichts Wichtigeres gibt, als solidarisch zu sein und Ansteckungen zu verhindern.“