Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Eine Nudel macht noch keine Pasta
Was tun, wenn die Teigwarenregale im Supermarkt leer geräumt sind? – Unser Autor hat Alternativen zu Spaghetti & Co. getestet
Die Menschheit hat ein gespaltenes Verhältnis zur Nudel – das zeigt sich in diesen Tagen so deutlich wie nie: Einerseits ist sie geschätztes Hamstergut, weil nahezu unbegrenzt haltbar und äußerst nahrhaft. Andererseits ist es genau diese Nahrhaftigkeit, die figurbewusste Leute abschreckt. Denn so ein gehäufter Teller Spaghetti Carbonara löst im Gehirn zwar ein wahres Feuerwerk der Glückshormone aus, aber auch der Blutzuckerspiegel macht Luftsprünge und die Leber sorgt dafür, dass die Kohlenhydrate in Fett umgewandelt und im Zweifel einstweilen auf den Hüften zwischengelagert werden. Insbesondere wenn Fitnessstudios geschlossen sind und man zur Unterbrechung von Infektionsketten am besten das Sofa hütet.
Die Industrie verspricht, das Dilemma zwischen Nudelliebe und Schlankheitsbestreben mit neuartiger Pasta zu beenden. Angeblich kann damit beides friedlich und waageschonend koexistieren. Wir haben uns diese Alternativen aus Drogerien und Reformhäusern genauer angesehen, ihr Kochverhalten untersucht, Konsistenz und Geschmack geprüft und sind zu einem eindeutigen Urteil gelangt.
Die Erkenntnis, dass sich aus grünen oder schwarzen Sojabohnen Nudeln herstellen lassen, ist nicht besonders weit verbreitet. Es könnte allerdings auch am Preis liegen, dass diese Teigware jenseits des Weizenklassikers bislang noch keinen Siegeszug beim Konsumenten angetreten hat: 100 Gramm kosten im konkreten Beispiel 2,17 Euro. Eine handelsübliche Nudel ist bereits für 15 Cent pro 100 Gramm zu haben – damit kostet die Sojapasta fast 15-mal so viel. Und ist sie es wert?
Das Kochverhalten ist unproblematisch: die Pasta, in diesem Fall feine Bandnudeln, in kochendes Salzwasser geben, umrühren. Während der Kochzeit von drei Minuten bildet sich ein Schaum, der ein bisschen nach Keller riecht. Was auffällt: Die Nudeln sind enorm saugfähig und quellen viel stärker als Teigwaren aus Weizen. In Butter geschwenkt und mit leichter Tomatensoße serviert, lässt sich sagen: Das Mundgefühl erinnert tatsächlich an echte Nudeln, wobei der typische Biss einer Pasta al dente fehlt. Außerdem tritt logischerweise keine Stärke aus den Sojabandnudeln aus, wodurch die Soße auch nicht die sonst so unwiderstehliche Liaison mit der Teigware eingeht.
Ernährungsphysiologisch hat Soja tatsächlich signifikant weniger Kohlenhydrate: Während Weizenpasta pro 100 Gramm Trockengewicht mehr als 70 Gramm davon aufweist, punktet die Sojanudel mit lediglich rund 15 Gramm. Dafür enthält sie jede Menge Eiweiß – fast 44 Gramm. Der Nudelklassiker aus Hartweizengrieß nur 12,5 Gramm. In der Kalorienbilanz liegen beide Sorten mit 334 (Soja) und 359 (Weizen) nahe beieinander. Bei den Ballaststoffen macht Soja mit nahezu 20
Gramm gegenüber drei beim Weizen die deutlich bessere Figur. Fazit: Für Diabetiker, die besonders auf ihren Blutzuckerspiegel achten müssen, kann die Sojanudel eine gute Alternative sein. Das Geschmackserlebnis einer guten Weizenpasta verfehlt sie aber, nicht zuletzt wegen des etwas muffigen Geschmacks.
Mit Nudeln aus Karotten oder Zucchini setzen Low-Carb-Freunde ganz auf den äußeren Schein. Aber nur weil etwas lang und dünn ist, sich auf eine Gabel wickeln lässt, handelt es sich noch lange nicht um Spaghetti. Die Illusion funktioniert jedenfalls nicht. Das Ganze korrekt zu bezeichnen, nämlich als in Spiralen geschnittenes Gemüse, ist ja auch nicht verkehrt. Nur mit Pasta hat das natürlich nichts zu tun. Die Zubereitung ist ganz einfach: Unter Zuhilfenahme eines recht praktischen Spiralschneiders – erhältlich unter zehn Euro das Stück – ahmt längliches Gemüse Nudeln nach. Zucchini sind nach zwei Minuten im kochenden Salzwasser servierfertig, Karotten nach drei bis vier. Abseihen und mit Soße versehen, ist es eine hübsche Gemüsemahlzeit und sicher auch schmackhaft, allerdings: Ein Nudelgericht geht definitiv anders: Mundgefühl, Biss und Konsistenz erinnern höchstens entfernt an das Original aus Hartweizengrieß.
Die interessanteste Erscheinung unter den Testobjekten ist sicherlich die Konjaknudel – wobei sie nichts mit französischem Weinbrand zu tun hat. Glaubt man den Verheißungen der Hersteller, wird mit ihr das Schwelgen im Pastaglück ohne Reue möglich. In der Tat hat das Mehl aus der in den Tropen wachsenden Konjakwurzel ganz erstaunliche Eigenschaften. Allen voran: Es kann das 200-Fache des eigenen Volumens an Flüssigkeit aufnehmen. Da muss jeder Schwamm vor Neid erblassen. Die Nudeln werden in Beuteln geliefert. Unser konkretes Beispiel soll an Spaghetti erinnern. Die Zutatenliste ist äußerst übersichtlich: Bis auf drei
Prozent Konjakmehl, E330 und E526 besteht der Nudel-Glibber aus Wasser. Die beiden Zusatzstoffe sind Säureregulator (Zitronensäure) und Festigungsmittel (Calciumhydroxid). Eine echte Nudel aus Hartweizengrieß hat solche Zusätze, wenn auch im konkreten Fall von der eher unbedenklichen Sorte, natürlich nicht nötig. Aber: Das Nudelplagiat hat pro 100 Gramm nur schlanke sechs Kalorien. Man könnte also sage und schreibe 60-mal mehr davon essen, um auf die Energiesumme herkömmlicher Nudeln zu kommen.
Die Zubereitung geht so: Nudelbeutel aufreißen, abgießen. Die Konjakpasta ist geruchlos und wirkt transparent. Pur probiert, gibt sie tatsächlich keinerlei Geschmacksimpuls an den Gaumen weiter. Auf der Zunge fühlen sich diese Nudeln wurmartig an, ein bisschen wie die Konsistenz von Mandarinen aus der Dose. Es quietscht merkwürdig beim Kauen, sie ist auf eine eigentümliche Art weich und matschig und erinnert an Aspik. Damit ist die Konjaknudel von echter Pasta so weit weg wie das Ulmer Münster vom Petersdom in Rom. Um das Konjakprodukt einigermaßen geschmeidig essen zu können, braucht es unbedingt eine Soße mit Charakter. Dann weicht das wässrige Etwas ein wenig in den Hintergrund. Spaß macht das keinen, selbst mit dem Bewusstsein, einen Teller Nudeln von derart marginaler Kaloriendichte gegessen zu haben. Die Sättigung ist übrigens gar nicht mal schlecht – quillt die Konjaknudel doch laut Hersteller noch weiter im Magen nach, weshalb auch empfohlen wird, ausreichend zu trinken. Geschmacklich ein Hauch von gar nichts, eine Textur, die mit glibberig noch wohlmeinend umschrieben ist. Freilich spricht auch der Preis nicht gerade für Konjak: Verzehrfertig kosten 100 Gramm 66 Cent – einmal mehr ein Vielfaches des Preises einer Weizennudel.
Am Schluss der Versuchsreihe ist klar: Es kann nur eine echte, wahre Nudel geben. Und die ist aus Hartweizengrieß, Wasser, wahlweise auch Eiern. Wer das Glück einer sämigen Pasta auf dem Teller haben möchte, kommt am Klassiker nicht vorbei. Und auch die Corona-Krise wird den merkwürdigen Alternativen wohl kaum zum Durchbruch verhelfen. Denn nur weil etwas aussieht wie Nudeln, ist es doch noch lange keine Pasta.