Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Stresstest für die Netze
Homeoffice und Videostreaming treiben den Datenverkehr während der Corona-Pandemie nach oben
RAVENSBURG - Es dürfte nicht viele geben, denen die Abkürzung DECIX geläufig ist. Doch die vergangenen Tage haben die bislang vor allem Insidern bekannte Firma ins Rampenlicht gezerrt. Die DE-CIX (Deutsche Commercial Internet Exchange) ist ein Internetknoten in Frankfurt – und gemessen am Datenvolumen der größte der Welt. In fast drei Dutzend Rechenzentren in der Mainmetropole regelt die DE-CIX den Datenaustausch zwischen den Netzbetreibern. Und der wird immer mehr, weil die Coronavirus-Pandemie Hunderttausende in die eigenen vier Wände zwingt, von wo aus sie über das Netz arbeiten, spielen oder Videos schauen.
Am DE-CIX hat sich seitdem der Datenverkehr von Videokonferenzen etwa über Skype verdoppelt, bei Onlinespielen und Social-MediaPlattformen ist es rund ein Viertel mehr und durchschnittlich ist er um zehn Prozent gestiegen. „Die Nutzer sind nun auch tagsüber häufiger und länger online, das merken wir stark“, berichtet DE-CIX-Technikchef Thomas King. Der Datenverkehr verteile sich nicht wie früher in Wellen über den Tag sondern sei konstant und steige im Durchschnitt an.
In vielen Firmen und Haushalten steht die bange Frage im Raum: Halten die Netze dem Ansturm stand? Oder bricht nach dem Shutdown in vielen Werkshallen auch noch die Bastion Homeoffice weg? Die Sorge scheint nicht aus der Luft gegriffen, schließlich hat die Netzinfrastruktur in Deutschland nicht den besten Ruf.
Zumindest Thomas King gibt Entwarnung. An Kapazitätsgrenzen stößt der Internetknoten in Frankfurt nicht. Die notwendigen Bandbreiten könnten bereitgestellt werden, „selbst wenn alle Firmen Europas ausschließlich aus dem Homeoffice arbeiten und nebenher noch ein weltweites sportliches Großevent übertragen werden würde“.
Auch große Netzbetreiber hatten in den vergangenen Tagen dahingehende Befürchtungen zerstreut. „Die Netze der Telekom sind stabil“, erklärte ein Firmensprecher. Zwar verzeichne das Unternehmen insbesondere im Festnetz eine deutliche Zunahme des Datenverkehrs und der Menge und Dauer an Telefonaten. Dies sei aber nicht kritisch. Vodafone stellt ebenfalls einen zunehmenden Datenverkehr im Festnetz fest, registriert vor allem aber Änderungen in der Tagesverteilung. „Die Kurve der Datennutzung am Montag glich eher der eines regulären Sonntags“, sagte ein Sprecher.
Auch regionale Netzanbieter sehen sich für das hohe Datenaufkommen gut gerüstet. „Die Netzauslastung hat sich zu Stoßzeiten fast verdoppelt. Wir haben in der Vergangenheit aber ausreichend Bandbreitenkapazitäten vorgesehen, die uns jetzt zu gute kommen“, teilte Teledata-Geschäftsführer Stephan Linz auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“mit. Der Dienstleister mit Sitz in Friedrichshafen versorgt rund 2000 Geschäfts- und 12 500 Privatkunden in der Region BodenseeOberschwaben-Hegau mit Telekommunikationslösungen.
Linz gibt aber zu, dass es insbesondere an den Netzgrenzen, wo die Betreiber ihre Datenverkehre zusammenschalten, in Stoßzeiten zu Engpässen komme. Die individuelle Einflussnahme der Betreiber auf das Routing, also auf den Weg, auf dem die Daten ihr Ziel erreichen, verstärke die Probleme.
Funktionsstörungen, wie sie derzeit von etlichen Internetnutzern erlebt werden, haben ihre Ursachen aber häufig außerhalb des Einflussbereichs der Netzbetreiber. So sind nicht in allen Firmen die Kapazitäten für ein Arbeiten im Homeoffice bereits so dimensioniert, dass sie für ein gesamtes Unternehmen ausreichen. Es kann zudem sein, dass einzelne Internetzugänge nicht über ausreichende Up- oder Downloadgeschwindigkeiten verfügen.
Allerdings zeigen Nachbarländer, wie eine massive Gaming- und Streamingnutzung Last auf die Netze bringen kann. In der Schweiz hat das bei Swisscom, dem größten Telekommunikationsbetreiber des Landes, bereits zu empfindlichen Störungen geführt. Nach Informationen der „Neuen Züricher Zeitung“wird deshalb erwogen, nicht versorgungsrelevante Dienste wie Netflix oder Amazon Prime Video bei gravierenden Engpässen einzuschränken oder zu blockieren.
Ausgeschlossen wird das auch in Deutschland nicht. Der Chef der Bundesnetzagentur, Jochen Homann, teilte am Mittwoch mit, dass die Telekommunikationsunternehmen
bei Überlastsituationen „Maßnahmen für ein zulässiges Verkehrsmanagement“ergreifen können.
In der EU hatte Industriekommissar Thierry Breton die US-Internetgiganten vor einigen Tagen aufgefordert, zu einer Entlastung des Internets beizutragen. Die Streaming-Anbieter Netflix und Amazon Prime Video sowie das Videoportal Youtube hatten daraufhin ihre Bildqualität und damit den Datendurchsatz im Internet reduziert. Die Social-Media-Kanäle Facebook und Instagram zogen wenige Tage später nach.
Zuvor hatte der Frankfurter Internetknoten DE-CIX eine Verdoppelung der Kapazitäten seitens der Streaminganbieter registriert und am 10. März mit 9,1 Terabit pro Sekunde einen neuen Rekord im Datendurchfluss aufgestellt. Technik-Chef King zufolge entspricht das zwei Millionen paralleler Videostreams in HD-Qualität. Allerdings führt das der Manager nur zum Teil auf die Corona-Krise zurück: Am Abend dieses Tages wurde ein neuer Teil des PCSpiels „Call of Duty Warzone“veröffentlicht, für das Spieler die gewaltige Datenmenge von bis zu 101 Gigabyte herunterladen mussten.