Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Spenden statt Triumphe
Die Nationalmannschaft spielt nicht, erweist sich in der Zwangspause aber als feines Team
Ein Leckerbissen zur Primetime, einer mit Würze. Spanien gegen Deutschland am Donnerstagabend, 20.45 Uhr im Atlético-Stadion „Wanda Metropolitano“von Madrid. Ein hochklassiges Freundschaftsspiel als Vorbereitung auf die EM im Sommer. Hach – was wäre das schön gewesen. Schlicht und einfach Normalität (die man vor der CoronaPandemie nicht bis zu selten geschätzt hat!).
Millionen TV-Bundestrainer hätten über Einstellung, Aufstellung und Taktik diskutieren können, über die Chancen der Nationalelf in diesem Sommer. Oder via Social Media lästern. Etwa über Jogi Löws dichtes Haar, Präsident Fritz Kellers bunte Socken oder die Ergebnisse der von wo auch immer eingeflogenen StarFriseure. Auch dieser Berufszweig steht ja momentan still, im doppelten Sinne.
Zurück zur Nationalelf. Hätte, hätte, Viererkette – das könnte über dem ersten Nationalelf-Halbjahr 2020 stehen. Keine spannenden Freundschaftskicks, auch das gegen Italien am 31. März in Nürnberg ist natürlich abgesagt. Die geplanten EM-Testspiele Ende Mai beziehungsweise Anfang Juni braucht auch keiner mehr, weil sie ja – dem Wortsinn nach – zum Testen sind. Für ein Event, das auf den Sommer 2021 verschoben wurde. Die Verbände mit ihren Nationalmannschaften und deren Sponsoren mussten in den letzten Wochen erkennen, dass ihre Spiele und Wettbewerbe im großen Ganzen der Weltfußball-Industrie am verzichtbarsten sind. Freiraum und Puffer schaffen für die Vereinswettbewerbe, lautete da die Losung.
Die nationalen Ligen und ihre bei ausbleibenden TV-Geldern von der Insolvenz bedrohten Vereine müssen zuerst gerettet werden, dann die europäischen Bewerbe wie die Champions League und die Europa League. Erst danach kommen die Nationalmannschaften mit ihren von der FIFA festgelegten Abstellungsperioden, die den Clubs seit jeher wegen der Überlastung ihrer kickenden Millionäre
und daraus resultierenden Verletzungsgefahr Magenschmerzen bereiteten. Diese Zwangstermine fallen im März und im Juni weg.
Die Vereine wollen (und, aus ihrer Sicht: müssen!) innerhalb weniger Wochen – wenn es die Behörden erlauben – im Geisterspiel-Modus ihre Saison zu Ende spielen, in der Not sollen die jetzt zum Hometraining verdonnerten Profis dann jeden zweiten Tag ran. Und im Juni/Juli noch schnell die Europapokale finalisieren. Wer denkt da noch an die Auswahlteams der Länder?
Der letzte Eindruck zählt, sagt man so. Und der war richtig gut von der Nationalelf. Ein überzeugendes wie unterhaltsames 6:1 gegen Nordirland am 19. November 2019 in Frankfurt. Serge Gnabry traf dreimal (und steht damit bei 13 Toren in 13 Länderspielen, eine Bilanz wie vor exakt 50 Jahren Gerd Müller!), Leon Goretzka zweimal und Julian Brandt in der Nachspielzeit zum Endstand. „Oh, wie ist das schön“, sangen die Fans. Festtagsstimmung dank des Gruppensieges vor den Niederlanden. Eine junge Nationalelf, die begeistert, noch im Umbruch – und zugleich im Aufbruch zu goldenen Zeiten? Der kleine Lauf wurde von der Ausbreitung des Coronavirus jäh gestoppt.
Der nächste Länderspieltermin? Wenn alles gutgeht, im September: Am 3. 9. soll es in der zweiten Auflage des UEFA-Wettbewerbs „Nations League“gegen Spanien gehen. Es sei denn, dieses zur besseren Vermarktung ins Leben gerufene Pflichtspielkonstrukt fällt auch noch zugunsten der Vereinsteams flach. Schließlich kann das „Final Four“im Juni 2021 wegen der Verschiebung der EM ohnehin nicht stattfinden.
Mehr als 2,5 Millionen Euro für soziale Zwecke hat die Nationalelf im Zuge der Coronavirus-Pandemie gespendet, und ihre Fans aufgerufen, sich ebenfalls zu engagieren. „Wir alle sind ein ganz großes Team, nicht nur auf dem Fußballplatz, sondern auch in unserer Gesellschaft“, sagte Kapitän Manuel Neuer, „das merkt man in Zeiten wie diesen.“
2020 zählen Gesten und Spenden mehr als Titel und Triumphe.