Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Virtuelle Kontakte
Mountainbikeprofis von Centurion Vaude müssen zu Hause auf der Rolle trainieren
RAVENSBURG - Ben Zwiehoff schwitzt auf seinem Mountainbike, neben ihm fährt Daniel Geismayr. Die beiden Radprofis vom Team Centurion Vaude aus Ravensburg und Meckenbeuren sind auf gemeinsamer Trainingsfahrt. Alles sieht normal aus. Doch es ist derzeit alles andere als normal. Weil auch die Radprofis nicht in Gruppen draußen trainieren dürfen, treffen sie sich eben virtuell. Zwiehoff fährt nur im Fernseher neben Geismayr. Eigentlich fahren beide bei sich zu Hause auf einer Trainingsrolle. Die ist in Zeiten des Coronavirus übrigens ausverkauft.
Das liegt zum einen natürlich daran, dass wegen der Ausgangsbeschränkungen viele Sportler schauen, wie sie sich zu Hause fit halten können. Zum anderen hat aber auch Centurion Vaude seinen Anteil daran, dass die Rollen so beliebt sind. Denn Teammanager Bernd Reutemann und Trainer Clemens Hesse haben mit Sven Meyer die Firma Trainalyzed gegründet. Vereinfacht gesagt: Hesse und Meyer bieten Trainingspläne und Auswertungsmöglichkeiten für Radfahrer an – vom Amateur bis zum Vollprofi. „Der deutsche olympische Bahnradvierer wird von ihnen trainiert“, sagt Centurion-Vaude-Teamchef Richard Dämpfle nicht ohne Stolz.
Bei der ersten virtuellen Trainingseinheit schalteten sich fast 40 Radfahrer dazu. „Eine unglaubliche Resonanz“, meint Dämpfle. Dabei waren die Centurion-Vaude-Profis Zwiehoff, Geismayr, Jochen Käß, Philip Handl und Vincent Dorn, andere Radprofis wie der Namibier Tristan de Lange oder die Neuseeländerin Samara Sheppard, aber auch ganz viele Amateure wie etwa der Ravensburger Sportarzt Martin Volz und seine Frau Sigrun. Alle Sportler fahren zwar alleine zu Hause auf ihren speziellen Rollen, können sich aber sogar unterhalten. Keiner müsse laut Dämpfle Sorgen haben, abgehängt zu werden. „Das Programm ist so eingestellt, dass man mithalten kann, solange man fährt“, sagt der Teamchef. „Nur wer absteigt, der fällt natürlich zurück.“Weil die Resonanz so groß war, gibt es nun bis auf Weiteres montags bis freitags jeweils ab 18 Uhr eine virtuelle Trainingsstunde.
Zum einen dient die gemeinsame Ausfahrt in Zeiten des Coronavirus der Ablenkung. Man bleibt untereinander in Kontakt. Für manche derzeit elementar wichtig. „Philip Handl etwa sitzt zu Hause in Tirol fest und darf überhaupt nicht raus“, sagt Dämpfle. Geismayr, der zu Hause in Dornbirn ist, darf immerhin alleine an der frischen Luft trainieren. „Die
Fahrten bei Swift (so heißt das virtuelle Programm, Anm. der Red.) sollen Spaß machen“, meint Dämpfle. Allerdings sind sie für den Teamchef, seine Trainer und Betreuer auch aus einem anderen Grund wichtig: „Unsere Sportler sind angehalten, sich fit zu halten, wir können sie durch solche Programme überprüfen.“
Obwohl es die Möglichkeit gegeben hätte, für seine Profis Kurzarbeit anzumelden, hat Dämpfle bisher keine Schritte in diese Richtung unternommen. „Wir zeigen uns da solidarisch mit unseren Fahrern“, sagt der Teamchef. „Das Training ist dann eine Gegenleistung der Sportler.“Geismayr, Zwiehoff und Co. müssen auch Stories in den Sozialen Netzwerken posten und täglich ihre Trainingseinheiten online übermitteln. „Im Radsport ist in den vergangenen Jahren viel Geld investiert worden, um die Sportler aus der Ferne betreuen und steuern zu können“, sagt Dämpfle. Der Radsport ist dabei so etwas wie der Vorreiter. „Viele andere Sportarten wären froh, wenn sie auch solche Möglichkeiten hätten.“
Die Trainer wie Clemens Hesse achten derzeit darauf, dass die Mountainbikeprofis – aber auch die Sportler des Bahnradvierers – nicht auf absolute Höchstleistung trainieren. Stichwort Coronavirus. „Wir wollen nicht, dass die Sportler in Gefahr geraten, eine Lungenkrankheit zu bekommen“, sagt Dämpfle. Grundlagentraining sei derzeit das Wichtigste. „Wir überwachen unsere Sportler.“Klingt nach Big Brother und gläsernem Sportler, soll aber vor allem der Gesundheit dienen. Und der Fitness der Fahrer, die Geld von ihren Teams bekommen. Schließlich könnte es sein, dass die Saison im internationalen Radsport bald wieder losgeht.
Das ist derzeit zwar unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. „Unsere Fahrer sind im Saisonmodus“, sagt Dämpfle. Er ist im Nachhinein froh, seine Sportler früher als andere Teams aus Wettkämpfen zurückgezogen zu haben. Schon bevor Rennen offiziell abgesagt worden waren, hatte Centurion Vaude seine Fahrer nach Hause geschickt. Zum Cape Epic, dem traditionsreichen Etappenrennen in Südafrika, sind die Oberschwaben erst gar nicht hingeflogen. Nach langem Hin und Her wurde die Veranstaltung erst zwei Tage vor dem geplanten Start abgesagt. „Ein Desaster“, sagt Dämpfle über die Hinhaltetaktik der Organisatoren. Sollte die Saison weitergehen, sieht er seine Fahrer gerüstet. „Geismayr und Zwiehoff wären bei allen Rennen ein absolut siegfähiges Team.“Derzeit sehen sich die beiden Topfahrer aber nur virtuell.