Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Herr stärke mich, Dein Leiden zu bedenken“
Die vergangenen Tage und Wochen waren für viele Menschen sehr belastend, die Enge der Wohnung, die Frage, wie es weitergeht, die Sorge um den Arbeitsplatz und ja, auch die Angst um das Leben der Lieben. Dies ist zurzeit die Hintergrundmusik unseres Alltags, die sich immer wieder quälend in den Vordergrund drängt.
Die Fragen lassen auch die Passionszeit, die morgen mit dem Tod Jesu
ihren Höhepunkt erreicht, nochmals in anderem Licht erscheinen. „Die ganze Schöpfung seufzt und hofft auf Erlösung“, so schrieb Paulus an die Römer. Und genau dieses Seufzen können wir heute hören. Und es führt uns unsere eigene Verletzbarkeit vor Augen.
„Herr stärke mich, Dein Leiden zu bedenken“. Dieses über 250 Jahre alte Lied von Christian Fürchtegott Gellert hat für mich nochmals einen tieferen Sinn bekommen. Ich muss zugeben, die Bedeutung des Leidens Jesu ist für mich in den vergangenen Jahren in den Hintergrund getreten. Dies liegt auch daran, weil wir gewohnt sind, Karfreitag von Ostern her zu sehen. Gott hat uns ja bereits erlöst. Ende gut, alles gut – uns fehlt doch nichts! Weshalb brauchen wir da einen Gott, der mit und für uns leidet? Wenn wir so denken, wird die Verzweiflung der Jünger und die Gottverlassenheit der Welt nur zu einer kurzen Übergangsphase hin zum Osterlicht. Doch Karfreitag hat sein eigenes Gewicht und mit ihm die Macht des Bösen: Pilatus, der seine Hände in falscher Unschuld wäscht. Die Jünger, die den Glauben verlieren. Die Menge, die Gott lästert. Das Leben, das zerbricht.
Gerade erfahren wir die gesamte Brüchigkeit der Welt neu. Und diese lässt sich nicht einfach aus der Welt schaffen – jedenfalls nicht von uns Menschen, auch wenn wir das gerne wollten. Das müssen wir aushalten. Karfreitag und die Corona-Krise stellen unseren Machbarkeitswahn infrage. Sie können für uns aber auch zur Möglichkeit werden, neu auf Gott zu vertrauen.
Denn Gott stellt dem Bösen seine Liebe entgegen. Gott ist ein Gott, der im Leiden da ist und es mit uns aushält. Und deshalb möchte ich Sie gerade heute einladen, allen Sorgen, die Sie belasten, das „Trotzdem“der Liebe Gottes und das Wissen um sein Nahesein in schwerer Zeit entgegen zu stellen.