Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Erkenntnisse in der Krise
Eine Osterzeit, wie wir sie noch nie erlebt haben, hat Kanzlerin Angela Merkel vor einer Woche angekündigt. Was das konkret bedeutet, spüren die Menschen Tag für Tag. Die Freude über den frühlingshaften Aufbruch an Ostern ist überschattet von schweren Gedanken. Von der Sorge um Familienangehörige, Freunde und Bekannte, für die das Coronavirus besonders gefährlich sein könnte. Von dem Wissen um Tausende Senioren, die in Heimen oder in ihren Wohnungen festsitzen und nicht mehr auf die Straße dürfen oder sollten. Von der Angst um den Arbeitsplatz und die wirtschaftliche Existenz – sollte die Krise noch länger andauern.
Das Coronavirus trifft die Gesellschaft, aber auch jeden Einzelnen, weil es scheinbare Selbstverständlichkeiten infrage stellt: dass wir das Recht haben, uns frei zu bewegen, Gottesdienste zu feiern, Freunde zu treffen. Dass Grenzen in Europa keine große Rolle mehr spielen. Dass wir unseren europäischen Nachbarn helfen, wenn sie in Not sind. Dass jedes Leben gleich schützenswert ist. Auf der anderen Seite steht die Erkenntnis, wie angreifbar sich selbst wirtschaftlich prosperierende Staaten gemacht haben, weil sie zu sehr auf Gewinn und Effizienz fokussiert waren in Branchen, die nun als systemrelevant gelten. Die Klagen über schlechte Löhne in der Pflege und über den Personalnotstand wurden verdrängt. Genauso wie das Wissen um die Nöte vieler Verkäuferinnen und Paketboten, die nun zum Erhalt der Normalität beitragen. Die Wertschätzung, die sie derzeit zu Recht erfahren, sollte sich künftig für sie auszahlen.
Hoffnung macht, dass die Zahl der Infizierten langsamer steigt als noch in den Tagen zuvor. Und so nimmt auch die Debatte über eine Exit-Strategie Fahrt auf. Diese kann allerdings nur gelingen, wenn statt der harten Einschränkungen, die derzeit gelten, andere, intelligentere Hilfsmittel das Virus an seiner Ausbreitung hindern – dazu gehören Mundschutze, Schutzkleidung, mehr Tests und auch eine Handy-App. Darauf sollten Politik und Wirtschaft ihre ganze Kraft richten. Wer stattdessen darüber räsoniert, nur ältere Menschen in ihren Rechten weiter einzuschränken, hat in dieser Krise nichts begriffen.