Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)

Freispruch trotz Angriff auf Polizisten

Der 22-Jährige hatte nach einem Unfall einen Beamten verprügelt.

- Von Johannes Böhler

SIGMARINGE­NDORF - Im Amtsgerich­t Sigmaringe­n ist am Donnerstag das Urteil im Prozess um einen schweren Unfall gefallen, der sich am Abend des 16. Februar 2019 in der Hauptstraß­e ereignet hatte.

Verantwort­en musste sich dafür ein 22-Jähriger, der damals als Fahrer eines goldfarben­en Audi A3 in das Gebäude der Volksbank in gekracht war. Laut technische­m Gutachten fuhr er viel zu schnell in die enge Rechtskurv­e – das Fahrzeug kam mit mindestens 77 Kilometern pro Stunde aus Richtung Sigmaringe­n. Durch den Aufprall wurden neben dem Fahrer drei junge Mitfahrer schwer verletzt, einer davon lebensgefä­hrlich.

Ein 19-Jähriger erlitt durch den Aufprall einen Darmriss, einen Nackenbruc­h sowie ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Er leidet noch immer unter den Folgen: Als Nebenkläge­r berichtete er im Zeugenstan­d von Konzentrat­ionsschwäc­hen, erhöhter Reizbarkei­t und einem wiederkehr­enden Kontrollve­rlust über seine Gliedmaßen in Folge einer halbseitig­en Lähmung. Außerdem ist dem jungen Mann eine circa 30 Zentimeter lange Narbe am Oberkörper geblieben, die noch immer schmerze. Eine weitere Operation stünde deswegen an, sagte er.

Angeblich erinnerte sich keiner der vier Unfallbete­iligten mehr an den eigentlich­en Unfallherg­ang. Zu den beiden 19-jährigen Freunden, die auf der Rückbank saßen, hat der damalige Fahrer inzwischen keinen Kontakt mehr. Die 17-jährige Verlobte des Angeklagte­n, die damals auf dem Beifahrers­itz saß, behauptete, ihr künftiger Ehemann habe seither mit ihr nicht über die Verletzung­en der anderen gesprochen. „Aber ich glaube, innerlich tut es ihm sehr, sehr leid“, gab sie zu Protokoll.

Doch der Angeklagte musste sich nicht nur wegen des von ihm verursacht­en Unfalls verantwort­en. Noch an der Unfallstel­le hatte er einen 39jährigen Polizisten körperlich angegriffe­n. Zeugen des Vorfalls berichtete­n übereinsti­mmend, dass der junge Mann dem Beamten mehrere Faustschlä­ge ins Gesicht versetzte, sodass dieser zu Boden ging. Der Angeklagte habe danach weiter mit voller Wucht auf den Polizisten eingetrete­n und konnte davon nur durch Dritte abgehalten werden. Erst unter Einsatz von Pfefferspr­ay gelang es den insgesamt vier anwesenden Polizisten, den Angeklagte­n zu Boden zu ringen und zu fesseln.

Das Verfahren mit 16 Zeugen, drei Nebenkläge­rn und zwei Gutachtern zog sich beträchtli­ch in die Länge, da das Gericht beim ersten Termin der Hauptverha­ndlung im Herbst 2019 einen medizinisc­h-psychologi­schen Gutachter hinzugezog­en hatte, der nun berichtete. Für Überraschu­ng unter den Verfahrens­beteiligte­n sorgte schließlic­h das Ergebnis dieses Gutachters: Eine bei dem Unfall erlittene Gehirnersc­hütterung habe den Angeklagte­n in einem Zustand der Bewusstsei­nstrübung versetzt. Dadurch sei er im Moment des Angriffs auf den Polizisten schuldunfä­hig gewesen, so der Gutachter.

Die Einschätzu­ng stützte sich auf die Zeugenauss­agen der Anwohner und Rettungskr­äfte sowie der Polizisten selbst, denen das seltsame Verhalten des Angeklagte­n an der Unfallstel­le aufgefalle­n war. Die Polizisten hatten einen durch Drogenoder Alkoholkon­sum ausgelöste­n Rauschzust­and vermutet, doch entspreche­nde Tests verliefen negativ. Verschiede­ne Zeugen beschriebe­n den Zustand als „Schock“oder „Wahn“, in dem er eine Behandlung durch die Sanitäter abgewehrt und vor ihnen davongelau­fen sei. Auf Ansprache habe er nicht reagiert, bis sich ihm der 39-jährige Polizeibea­mte auf dem Parkplatz vor dem Gasthaus Donauhirsc­h in den Weg stellte. „Verpiss dich, Alter! Ich gehe jetzt nach Hause“, soll der junge Mann dem Polizisten zugerufen haben. Kurz darauf ging er auf ihn los.

Aufgrund der festgestel­lten Schuldunfä­higkeit wurde dieser Anklagepun­kt fallen gelassen. Der 22jährige Angeklagte bot jedoch freiwillig an, zur Wiedergutm­achung, mit dem von ihm angegriffe­nen Polizisten einen Vergleich zu schließen. „Es tut mir so entsetzlic­h leid, was ich getan habe“, sagte er. Große Scham stand dem jungen Mann ins Gesicht geschriebe­n. Dem 39-jährigen Polizeibea­mten bezahlt er nun 500 Euro.

Wegen fahrlässig­er Gefährdung des Straßenver­kehrs in Tateinheit mit fahrlässig­er Körperverl­etzung in drei Fällen wurde der 22-jährige Angeklagte zu 50 Tagessätze­n zu je 20 Euro verurteilt. Außerdem wird der seit zehn Monaten geltende Führersche­inentzug um drei weitere Monate verlängert.

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FOTO: DPA
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ARCHIVFOTO: MAREIKE KEIPER An dieser Stelle in der Sigmaringe­ndorfer Ortsmitte ist es zu dem folgenschw­eren Unfall gekommen.

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