Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Gemeinsamer Ruf nach offenen Grenzen
Politiker im Südwesten fordern ein Ende von „Gitterzäunen und Schlagbäumen“in Europa
BERLIN - Politiker von CDU und SPD aus dem Südwesten Deutschlands drängen auf eine weitergehende Öffnung der Grenzen. Nachdem bereits vor zwei Wochen drei baden-württembergische Abgeordnete in einem offenen Brief an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) auf Erleichterungen bei den Grenzkontrollen gedrängt hatten, ging nun erneut ein offener Brief ein, diesmal unterzeichnet von zwölf Bundestags- und Europaabgeordneten der Union. „Nach über sieben Wochen muss Schluss sein mit Gitterzäunen und Schlagbäumen im Herzen Europas“, heißt es darin. Unterzeichner sind unter anderem Ex-Fraktionschef Volker Kauder und Vizefraktionschef Andreas Jung (beide CDU). Weiter heißt es: „Deshalb fordern wir jetzt die sofortige Wiedereröffnung aller geschlossenen Grenzübergänge an den Grenzen zur Schweiz, nach Frankreich und nach Luxemburg. Spätestens mit dem 15. Mai müssen alle als Notmaßnahmen befristet verhängten Grenzbeschränkungen dann entfallen.“
Ähnliche Forderungen erhoben auch die beiden SPD-Landeschefs Anke Rehlinger (Saarland) und Andreas Stoch (Baden-Württemberg) sowie der SPD-Fraktionschef Alexander Schweitzer aus RheinlandPfalz. Die „Verbarrikadierung kleiner Grenzübergänge – begleitet von martialischer Rhetorik mancher“habe „zu massiver Verstimmung geführt“, schreiben sie in einer gemeinsamen Erklärung. Die Grenze habe nichts Trennendes mehr, sondern sei „längst eine Schweißnaht unserer engen Verbindung mit Frankreich“. Das gelte ebenso für andere Grenzen wie die nach Luxemburg. Auch die FDP machte sich für Grenzöffnungen stark: „Es muss möglich sein, wieder über die Grenze pendeln zu können“, sagte Parteichef Christian Lindner am Donnerstag in Berlin.
Seehofer hatte die Mitte März eingeführten Grenzkontrollen schon mehrfach verlängert, zuletzt bis zum 15. Mai. Bislang muss jeder, der aus dem Ausland nach Deutschland einreist, für zwei Wochen in Quarantäne, um eine mögliche Infektion mit dem Coronavirus nicht weiterzutragen. Ausnahmen gibt es für Arbeitspendler und Warentransporte. Andere Einreisende müssen einen „triftigen Reisegrund“nachweisen. Das führt unter anderem dazu, dass Lebenspartner aus unterschiedlichen Staaten einander nicht mehr besuchen können, und Elternteile vom Besuch ihrer getrennt lebenden Kinder abgeschnitten sind. Auch für die Pflege von Angehörigen jenseits der Grenze gibt es außer einer medizinisch notwendigen Betreuung keine Ausnahmen. Dies hatten die drei baden-württembergischen CDU-Abgeordneten Andreas Jung, Felix Schreiner und Armin Schuster bereits Mitte April angeprangert.
Das Kanzleramt und die EU-Kommission bremsen, die Grenzkontrollen schnell wieder einseitig einzustellen. Das dürfe nur im Gleichschritt mit den Corona-Öffnungen in den jeweiligen Nachbarstaaten geschehen, hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kürzlich gesagt. Sonst komme es zu einer Überfüllung der Läden in dem Land, das die Läden bereits wieder geöffnet habe. Das könnte zu einer neuen Infektionswelle führen.
Seehofer sieht keine Veranlassung, vor dem 15. Mai zu handeln. „Die Grenzkontrollen haben etwas bewirkt und sind Teil unseres bisherigen Erfolgs bei der Eindämmung des Infektionsgeschehens“, sagte er. Die Bundesregierung habe diese Entscheidung mit den Ländern abgestimmt. „Wir führen Gespräche mit den Bundesländern und den angrenzenden Nachbarstaaten und werden in der kommenden Woche über das weitere Vorgehen entscheiden“, sagte Seehofer. Seit Beginn der Grenzkontrollen sei mehr als 100 000 Personen die Einreise verweigert worden.
Virologen bezweifeln, dass der Kampf gegen die Pandemie durch Grenzschließungen gewonnen werden kann. Der Direktor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom Ghebreyesus, wiederholt seit Wochen, dass es für solche Maßnahmen keinen Grund gebe. Das ist bei vergangenen Grippeausbrüchen und Sars-Epidemien hinreichend belegt worden – und auch in der Corona-Krise ist es zu sehen: Während Italien früh die Grenzen für China-Reisende schloss, haben Frankreich und Spanien zunächst nicht zu diesem Schritt gegriffen. Am Ende waren alle drei Länder ähnlich schwer von der Pandemie getroffen. Abstandsgebote und Hygieneregeln seien deutlich effektiver als Grenzschließungen, solange sich die Bevölkerung daran halte, heißt es vonseiten der Experten.