Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Jugendherberge bleibt nur ein Viertel der Buchungen
Herbergseltern zeigen sich trotz Corona optimistisch, auch wenn die Zukunft ungewiss ist
SIGMARINGEN - Am Fuße der Treppe zur Jugendherberge Sigmaringen steht auf einem großen Schild „Herzlich Willkommen“. Ein paar Stufen höher weist an der Eingangstür ein kleineres Schild darauf hin, dass die Einrichtung bis auf Weiteres geschlossen ist. Damit teilt sie das Schicksal mit allen anderen Jugendherbergen. Eine sehr emotionale und ungewisse Zeit für die Herbergseltern Katja und Enrico Netto, für das Deutsche Jugendherbergswerk (DJH) eine existenzbedrohende wirtschaftliche Notlage.
Vorerst bis 31. Mai ist die Schließung aufgrund der Corona-Verordnung durch die Landesregierung festgesetzt. Dann liegen zweieinhalb Monate des Nichts-tun-können hinter Katja und Enrico Netto. Das DJH hat neben einem Einstellungs- und Ausgabenstopp auch Kurzarbeit anordnen müssen. Die Nettos bleiben dennoch zuversichtlich. Vor neun Jahren übernahmen die Sozialpädagogin und der Küchenmeister, der bereits im Sterne-Segment gekocht hat, die Jugendherberge in Sigmaringen. Seitdem haben sie Jahr für Jahr die Übernachtungszahlen auf eine konstante Größe gehoben. „2011 lagen wir bei 10 000 Buchungen, mittlerweile haben wir uns auf fast 18 000 pro Jahr eingependelt“, erzählt Katja Netto. Und dieser positive Trend sollte sich fortsetzen. „Auch in 2020, für uns eigentlich ein ganz besonderes Jahr“, blickt Enrico Netto zu seiner Frau. Beide feierten im Januar ihren 40. Geburtstag, sie fühlen sich aber „höchsten zusammen wie 40“. Und gemeinsam freuten sie sich auf die kommende Saison, um wieder durchzustarten. Die Buchungszahlen ließen auf ein sehr gutes Jahr hoffen: Bis Mitte März waren bereits 14 500 verbindliche Zusagen im Planungskalender der Jugendherberge eingetragen. „Wir hätten locker wieder die 18 000 geschafft“, sagt Enrico Netto.
Ernüchterung kam dann ab dem 16. März, dem Tag der Schließung. Klassenfahrten, Schullandheim, Ferienfreizeiten – fast alles ist weggebrochen. „Es ging Schlag auf Schlag mit den Absagen, jetzt sind noch knapp 5000 Buchungen übrig“, erzählt Katja Netto. „Die wirtschaftlichen Einbußen sind enorm.“
Nettos und ihre zehn Angestellten sind in Kurzarbeit, so wie ein großer Teil der insgesamt fast 900 Mitarbeiter des DJH-Landesverbands. „Wir hoffen sehr, dass das DJH gerettet wird und uns jemand auffängt, damit es uns auch nach Corona noch gibt“, bleibt das Ehepaar vorsichtig optimistisch. Für beide sei es momentan „eine sehr emotionale Zeit“. Sie sehen sich als Herbergseltern mit Herzblut. Gern würden sie auch zu Corona-Zeiten unter Einhaltung der hygienischen Auflagen aktiv werden. „Wir könnten Essen anbieten oder auch Räumlichkeiten zur Verfügung stellen.“Unter Regie des DJH wurden beispielsweise in der Stuttgarter Herberge eine Fieberambulanz eingerichtet, in Freiburg vorübergehend Flüchtlinge untergebracht und in Mannheim Quarantäne-Stationen eingerichtet.
Bekanntlich hat jede Krise ja auch irgendwo etwas Gutes, daran glaubt Katja Netto ganz fest, deswegen ist sie noch guter Dinge. „Wenn die Reisemöglichkeiten eingeschränkt sind, besinnen sich die Leute vielleicht auf ihre Heimat und machen vermehrt in Deutschland Urlaub“, hofft die Sozialpädagogin. Und dann werden sich vielleicht auch die Buchungen in den Jugendherbergen wieder etwas positiver entwickeln.