Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
„Ein sehr wichtiger Befund“
RAVENSBURG - Verschiedene Wissenschaftler melden zu Covid-19Therapien neue Erkenntnisse. Der Virologe Professor Thomas Mertens schätzt sie im Gespräch mit Daniel Hadrys ein.
Einer neuen Studie aus Hamburg zufolge sterben Covid-19-Patienten häufig an Blutgerinnseln. Was könnte das für die Therapie von Erkrankten bedeuten?
Dies ist ein sehr wichtiger Befund, der auch frühere Laborergebnisse bestätigt, nämlich dass Sars-CoV-2 auch Endothelzellen von Blutgefäßen infizieren kann. Endothelzellen sind diejenigen
Zellen, die
Gefäßwände innen auskleiden und die auch eine große Bedeutung bei anderen
Gefäßerkrankungen, wie der Arteriosklerose, besitzen. Die Infektion kann dazu führen, dass sich an den durch das Virus „verletzten“Blutgefäßwänden Blutgerinnsel bilden können, mit der Gefahr eines Gefäßverschlusses, einer Thrombose oder Embolie. Ähnliches kennt man auch von anderen gefährlichen Virusinfektionen. Eine Konsequenz dieser Tatsache ist, dass man Covid-19-Patienten unter Umständen zusätzlich mit Gerinnungshemmern behandeln muss, die der Bildung derartiger Blutgerinnsel vorbeugen.
In Graz haben sich Covid-19Patienten nach einer Behandlung mit dem Blutplasma geheilter Menschen erholt. Welche Patientengruppen könnten von dieser Methode profitieren?
In der 35. Folge dieser Kolumne vom 7. April sprachen wir über die äußerst naheliegende und sinnvolle Idee, Antikörper in Blutplasmen von Genesenen zur Therapie von Covid-19Patienten einzusetzen. Dieser Therapieansatz wird vielerorts intensiv verfolgt. Nach meiner Kenntnis sollen weltweit mindestens zehn Studien mit insgesamt mehr als 1400 behandelten Patienten in diesem Jahr abgeschlossen werden. Einige dieser Studien vergleichen die Therapieerfolge in der Gruppe der so Behandelten mit einer unbehandelten Vergleichsgruppe, was für die Beurteilung eines Therapieverfahrens sehr wichtig ist. Übrigens wird die erste derartige vom PEI genehmigte Studie (Studienname CAPSID) in Deutschland am Universitätsklinikum Ulm durch das Institut für Klinische Transfusionsmedizin und Immungenetik koordiniert. Von anderen Viruserkrankungen wissen wir, dass eine Behandlung mit antikörperhaltigen Blutplasmen oder daraus hergestellten Immunseren besonders gut funktioniert, wenn diese Immunseren möglichst frühzeitig nach der Infektion gegeben werden. So gesehen wäre es nicht ideal zu warten, bis ein Patient ganz schwer erkrankt ist, sondern besser, Risikopatienten eher früher zu behandeln. Die Frage, wer wann am besten behandelt werden sollte, soll mit den oben erwähnten Studien auch geklärt werden. Mehrere Pharmaunternehmen, die auf Therapeutika aus Blutplasmen spezialisiert sind, haben bereits damit begonnen, entsprechende „Sars-CoV-2Hyperimmunseren“herzustellen.
Die Universität London berichtet, dass sich das Virus offenbar viel früher im Jahr 2019 ungehindert ausbreiten konnte. Lassen sich diese Erkenntnisse zur Eindämmung von Sars-CoV-2 nutzen?
Diese Ergebnisse weisen erneut darauf hin, dass es bei allen Infektionen – neuen und alten – extrem wichtig ist, das Auftreten, die Ausbrüche und die Ausbreitung möglichst früh zu erkennen. Dazu gehört auch, die Art und Dauer der Übertragung rasch zu untersuchen, sowie Krankheitsverläufe und mögliche Risikogruppen zu bestimmen. Dieses Wissen ist eine entscheidende Voraussetzung für alle Maßnahmen, die zur Eindämmung eingeführt werden können. Das Erkennen einer Infektion erfordert natürlich, dass diagnostische Verfahren zuvor sofort entwickelt und verfügbar gemacht werden.