Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Schlachtross im Schloss
Liqui-Moly-Chef Ernst Prost hat sich ganz dem Kampf gegen die Corona-Pandemie verschrieben
ULM - In der Corona-Krise ist Ernst Prost in seinem Element. Der Chef des Ulmer Ölspezialisten Liqui Moly hat sich ganz dem Kampf gegen die Pandemie verschrieben. Er schlafe nur noch wenige Stunden, sagt der Multimillionär im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“, und er versuche, dort zu helfen, wo es am meisten brennt. Zweifel kennt der kernige Bayer nicht. Kompromisse macht er ungern. Was treibt den Bewohner eines Schlosses an, der in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs, auch schon mal gegen große Aktiengesellschaften wettert und derzeit sogar auf sein Gehalt verzichtet?
„Ich ruf Sie an. Jetzt.“Im Kasernenton meldet sich Ernst Prost. Wenige Sekunden später steht die Leitung. Prost sitzt in seiner, wie er es selbst nennt, „Kommandozentrale“irgendwo in den Weiten seines Leipheimer Schlosses im Kreis Günzburg. Dort verbringt der 63-Jährige gerade die meiste Zeit, vor allem telefonierend. Aber auch Mails erreichen den Firmenlenker: Bis zu 1000 kämen täglich rein. Bei den meisten in der Betreffzeile: „Corona“.
Statt umherzuwandeln zwischen seiner über die Jahre angesammelten Kunst, stürzt sich Prost derzeit geradezu in Arbeit. Geschlafen werde zwischen zwei und fünf Uhr. Ab und zu was essen. „Ich brauche nicht viel“, sagt Prost. Dabei hat er ziemlich viel – vor allem Geld. In die Riege der Milliardäre sei er zwar noch nicht aufgestiegen. Aber sein Vermögen beläuft sich nach Schätzungen dennoch auf einen dreistelligen Millionenbetrag.
Vor 30 Jahren stieg der in Altötting geborene Sohn eines Maurers und einer Fabrikarbeiterin bei Liqui Moly als Vertriebs- und Marketingchef ein – und schnell auf. Das Ulmer Unternehmen stellt in Baden-Württemberg und im Saarland Schmierstoffe, Öle, Additive und andere Produkte für Maschinen und Motoren aller Art her. Auch die amerikanische Luftwaffe gehört zu den Kunden. Umsatz im Jahr 2019: 569 Millionen Euro, ein neuer Rekord und doppelt so viel wie vor zehn Jahren.
Nach und nach hatte Prost Firmenanteile von der Gründerfamilie übernommen und die Zeichen auf Expansion gestellt. Wobei er sich selbst hoch verschuldete. Er baute den Vertrieb um und aus, entwickelte Liqui Moly zu einem international agierenden Unternehmen – und verkaufte es vor zwei Jahren an den schwäbischen Unternehmer Reinhold Würth. Prost – um seine Firma ärmer, jedoch um viele Millionen reicher – blieb aber Geschäftsführer. Was erst im Nachhinein bekannt wurde: Die sukzessive Übernahme von Liqui Moly war für Prost nur dank einer stillen Beteiligung der Würth-Gruppe zu stemmen.
Das sei das Schöne an seinem Job als Chef, sagt Ernst Prost am Telefon: „Dass alle machen, was ich will.“Despektierlich will der 63-Jährige dies aber nicht verstanden wissen. Vielmehr gehe es darum, das Richtige zu tun. Und in Zeiten der Corona-Pandemie sei doch ganz klar, was dies sei, das Richtige: Den Menschen zu helfen, denen es krisenbedingt dreckig geht. Deshalb könne er es derzeit nicht gebrauchen, sich mit dem Virus anzustecken. Nicht jetzt, da das Coronavirus über die Welt hereingebrochen sei wie eine „Naturkatastrophe“. Zeiten für Entscheider, Zeiten für Helfer mit großen Händen und breiten Schultern. Wie er sie habe.
Dementsprechend dirigiert und vertritt er sein Imperium nach außen, in Interviews und TV-Beiträgen. Es vergeht kaum ein Tag ohne neue Meldung aus dem Hause Liqui Moly, wie der Unternehmer selbst und die Firma versuchen, in der Corona-Krise zu helfen. Prost verzichtet auf sein Geschäftsführer-Gehalt, das wird gespendet. Seinen Mitarbeitern zahlte er im Gegenzug einen Corona-Bonus von je 1500 Euro. Geld aus der Unternehmenskasse und von Prost selbst floss unlängst ins schwer Corona-gebeutelte Norditalien. Millionenschwere Sachspenden in Form von Ölen und Schmierstoffen gingen an Rettungsdienste, damit deren Fahrzeuge laufen. Prost unterstützt Menschen in Südostasien mit Produkten seiner Firma. Dieser Gedanke gefalle ihm: Ein vietnamesischer Bauer fährt mit seinem Traktor durch die Gegend und hinten drauf ein Aufkleber, auf dem steht: „Sponsored by Liqui Moly“.
Bei all seinen Hilfaktionen pflegt Prost seine Feindbilder – und greift die an, die nicht wie er in gleicher Weise mit anpacken. Sein Furor gilt der „geldgeilen Seite eines unkontrollierten Kapitalismus“– in diesem Fall Großkonzernen: „Man kann doch nicht mit der linken Hand Kurzarbeitergeld kassieren oder anderweitige Staatshilfen einfordern und mit der rechten Hand zugleich Millionen und Milliarden Euros an Anleger verteilen.“Verteilen: ja! Aber bitte an jene, die es bräuchten: an Krankenhäuser, Pflegekräfte, Feuerwehren.
Prost sagt, er „danke dem Herrgott jeden Tag“, dass er mit seiner Firma als „systemrelevant“eingestuft werde. Stillstand: für ihn eine schwer zu ertragende Vorstellung. Unvorstellbar sei es für ihn, sagt der gelernte Kfz-Mechaniker, „nur auf meinem Geld zu sitzen“und zu warten, bis sich der Corona-Sturm verzogen hat. Warum er sich so dem Kampf gegen das Virus verschrieben hat? „Mir macht das Spaß“, sagt Prost. Er fühle sich vital wie lange nicht – „wie ein junger Hund“. Und wird gleichsam nachdenklich.
Man dürfe das jetzt nicht falsch verstehen, schickt er voraus. Doch er habe ein wenig Angst vor einer Welt nach der Pandemie, vor der Zeit, wenn Corona überwunden sein wird. Denn es gefalle ihm, dass die Gesellschaft derzeit zusammenstehe, dass sich die Menschen fragten, wie sie ihren Nächsten helfen können, worauf es wirklich ankomme. Es ist so, als ob Prost das Bonmot Helmut Schmidts mit Leben füllen will. „In der Krise beweist sich der Charakter“, hatte der verstorbene Altkanzler über Menschen in fordernden Zeiten gesagt. Mehr denn je kommt bei Prost dieser Tage das „alte Schlachtross“durch. So nennt Prost sich selber. Der Kampf gegen Corona hat seinen Lebensgeistern neuen Schwung verliehen.
Doch ganz sorgenlos ist auch der Vater eines Sohnes nicht. Seine Gesundheit treibt ihn um. Auch er habe Angst, sich mit dem Virus anzustecken. Wohl dem, der in einer solchen Situation dicke Burgmauern um sich weiß. Gekauft hat Prost sein auf einer Anhöhe thronendes Schloss (30 Zimmer, 1000 Quadratmeter) vor 14 Jahren. Rund 350 000 Euro hat es gekostet, die anschließende Renovierung das Sechsfache. Es ist vollgepackt mit Kunst. Über seine Sammelleidenschaft zu sinnieren, hält Prost angesichts der Corona-Krise für deplatziert. Prost steht auch auf Motorräder
und nennt einen Nachbau der Harley-Davidson sein Eigen, die Peter Fonda in „Easy Rider“fuhr. In dem Film begehren zwei Rebellen gegen das Establishment auf.
Auch Prost polarisiert, auch sein Wirken wirft Schatten. Öffentliche Kritik brachte ihm vor einigen Jahren eine interne Mail ein, in der er einen gefeuerten Mitarbeiter gegenüber der Belegschaft an den Pranger gestellt hatte. „Nachtragend und herablassend“sei sein Ton, urteilte der „Stern“. Prost hatte sich seitenweise über das angebliche firmenschädigende Gebaren des geschassten Mitarbeiters echauffiert („ein jämmerlicher Spesenbetrüger“). Sitzt da am Ende gar kein Unternehmer mit Herz im Leipheimer Schloss – sondern ein rachsüchtiger Choleriker? Prost gestand zumindest ein, sich einer etwas „unflätigen“Wortwahl bedient zu haben. In der Sache aber: kein Zurückrudern.
Wie viel ihn und seine Firma Corona kosten wird, ist schwer abzuschätzen. Im April aber brach der Umsatz um 50 Prozent ein. Prost bleibt trotzdem zuversichtlich. Man sei schuldenfrei und habe in den vergangenen Jahren stets um die 50 Millionen Euro Gewinn erwirtschaftet, davon lasse sich im Moment noch zehren.
Wie die Gesellschafter von Liqui Moly das Engagement von Ernst Prost sehen? Auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“will sich Reinhold Würth nicht zum CoronaKampf seines angestellten Managers äußern. Vor der Krise gab sich Prost mit Blick auf das Verhältnis zum schwäbischen Schraubenmilliardär betont gelassen. Liqui Moly habe eine Rendite von zehn Prozent vorzuweisen. „Was soll Herr Würth mir da ins Handwerk pfuschen?“, fragte Prost.
Angesichts von Tausenden Corona-Toten und vernichteten Existenzen klingt Ernst Prost heute nüchtern. „Ich bin 63, ich hab nichts mehr zu verlieren.“Doch auch zu gewinnen gibt es in Krisen viel. Seine Firma setzt nun nicht mehr nur auf das solide Siegel „Made in Germany“, sondern auch auf den Ruf, ein zuverlässiger und – auch dank der vielfach publizierten Spendenaktionen – solidarischer Partner zu sein, vor allem dann, wenn es mal nicht läuft. Deshalb hält Prost den Zeitpunkt der aktuell laufenden Werbekampagne für richtig. Zehn Millionen Euro habe die gekostet. Gut angelegtes Geld, findet Prost. Geworben wird mit dem Umstand, dass Liqui Moly von Autofahrern in Deutschland wieder zur „besten Ölmarke“gewählt werde. Seit zehn Jahren sei das schon so.
Tue Gutes und rede darüber, danach handelt der Stift, der es zum Stifter gebracht hat, wie sich Ernst Prost selbst beschreibt. Seine ErnstProst-Stiftung hilft Menschen in Not: Armen, Kranken, Arbeitslosen. Mit einer zweiten Stiftung engagiert er sich in Afrika.
Worauf er sich am meisten freue, wenn die Krise überwunden ist? Was er derzeit am meisten vermisse? Es kommt wie aus der Pistole geschossen: „Nichts – im Moment flutscht es“, sagt das Schlachtross, es hat Fahrt aufgenommen. Ernst Prost ist in seinem Element.