Schwäbische Zeitung (Sigmaringen)
Babybrei-Erpresser erneut vor Gericht
Nach erfolgreicher Revision am BGH – Strafmaß wird neu ermittelt
RAVENSBURG - Mit rund zweimonatiger Verzögerung ist die Neuauflage des Prozesses gegen den BabybreiErpresser gestartet. Während Pflichtverteidiger Gerd Prokop bei Gericht erschienen war, blieb der Platz der vom Angeklagten gewählten Verteidigerin leer. Der ProzessNeuauflage geht eine erfolgreiche Revision am Bundesgerichtshof voran. Diese spricht dem Täter seine Tat nicht ab, sondern stellt das Strafmaß infrage (siehe Kasten).
Smart mit weißem Hemd und blauen Pullover bekleidet, nimmt der Mann Platz, den die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Ravensburg im Oktober 2018 wegen versuchten Mordes und räuberischen Erpressung zu zwölfeinhalb Jahren Haft verurteilt hat. Allein die Fußfessel, die seinen Gang schwerfällig wirken lässt, stören das Bild des netten Mannes von nebenan. Auch sie werden im Verlauf der eineinhalb Stunden dauernden Verhandlung Thema sein.
Während die Verteidigerin zum Prozessauftakt Anfang März krankheitsbedingt fehlte, sei sie nun verhindert, erklärt Richter Franz Bernhard. Das Gericht sei nicht auf die von ihr vorgeschlagenen Verhandlungstermine eingegangen. „Allerdings kann ich nicht auf ihre Befindlichkeiten Rücksicht nehmen“, erklärt der Vorsitzende Richter.
Der Angeklagte nutzt gleich zu Beginn die Gelegenheit, erste Anträge zu stellen. Mit diesem Verhalten
bleibt er sich und seiner diagnostizierten narzisstischen Persönlichkeitsstörung treu. Denn schon im ursprünglichen Prozess 2018 nutzte er jede Gelegenheit einzuhaken, lange Vorträge zu halten und eine Flut an Anträgen zu stellen. An diesem Tag fordert der Babybrei-Erpresser das Gericht möge die Verhandlung aussetzen, da er unverteidigt sei. Nervös huschen seine Augen hin und her als er erklärt, sein Pflichtverteidiger habe keinerlei Kontakt zu ihm aufgenommen und damit seine Berufspflichten vernachlässigt: „Er vertritt nicht meine Interessen und kann mich somit nicht verteidigen.“
Es folgt die erste Unterbrechung. Die Herrschaften auf der Richterbank
ziehen sich zur Beratung über die geforderte Entpflichtung des Verteidigers sowie den zweiten Antrag, über die Abnahme der Fußfesseln, zurück. Diese würden ihn in seinen Rechten einschränken, so der Angeklagte.
Kaum eine halbe Stunde hat die Verhandlung bis dahin gedauert. Richter Bernhard versucht vom
Verhandlungsbeginn an durch eine strikte Gesprächsführung klar zu machen, wer in seinem Gerichtssaal das Sagen hat. Unterbrechungen oder abschweifende Reden des Angeklagten erstickt er im Keim. Nach zehnminütiger Beratung ist klar: Das Gericht lehnt beide Anträge ab. Dann ist Gutachter Hermann Assfalg an der Reihe. Wie auch im Prozess 2018 bescheinigt er dem 55-jährigen Angeklagten eine narzisstische und dissoziale Persönlichkeitsstörung. Er schildert auf Grundlage der Gefängnisakte den Haftverlauf seit 2017 und zeichnet den Anwesenden so ein Bild von dem Angeklagten. Der Sachverständige schildert suizidale Androhungen, daraus resultierende verstärkte Überwachung, depressive Episoden, Hungerstreiks, die zweimalige Verweigerung von Flüssigkeit, Verlegungen und durchaus ernstzunehmende Selbstmordversuche, die im Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg endeten. „Wird der Angeklagte gesehen oder gehört, ist er stabiler. Dann zeigt er sich als angenehmer Gesprächspartner“, schildert Assfalg. „Schwieriger wird es, wenn über ihn bestimmt wird.“
Assfalg berichtet von regelmäßigen Zuspitzungen der Situation: „Im letzten halben, dreiviertel Jahr allerdings nicht mehr so ausgeprägt.“Aus seiner Sicht stehe das im Zusammenhang mit der stattgegebenen Revision. Assfalg: „Das Strafmaß zu reduzieren ist für den Angeklagten ein Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnt.“